Sie war der Star der diesjährigen Berlinale: Cate Blanchett konnte nicht nur optisch ihre Vielseitigkeit in zwei komplett konträren Rollen beweisen. Mit schwarzen Haaren spielt sie die geheimnisvolle und Männer um den Finger wickelnde Jüdin Lena in "The Good German". Naturblond ist sie in "Tagebuch eines Skandals" zu sehen, als offenherzige Lehrerin Sheba Hart, die aus der Enge ihres Familienalltags ausbricht und ein Tabu bricht. Sie hat eine Affäre mit einem minderjährigen Schüler.
Während sie in "The Good German" ihr männliches Pendant George Clooney lässig an die Wand spielen konnte, hat sie in "Tagebuch eines Skandals" eine mehr als ebenbürtige Gegnerin: Die großartige britische Schauspielerin Judi Dench spielt eine verhärmte, lesbische Lehrerin kurz vor der Pensionierung, die in ihrer Suche nach Liebe zu extremen Mitteln greift.
Engelsgleich ist der Auftritt von Sheba Hart (Cate Blanchett) in der heruntergekommenen Londoner Schule inszeniert: Die Kamera fängt sie sanft ein, ihre Alabasterhaut, ihre blonden Haaren, ihre Verletzbarkeit. Dem rauen Umgang an der Lehranstalt ist sie nicht gewachsen. Ihre unschuldige Schönheit bringt nicht nur ihre minderjährigen Schüler dazu, sich um sie zu prügeln, auch das Kollegium, egal ob männlich oder weiblich, buhlt um ihre Zuneigung.
Engelchen und Schul-Drachen
Nur Barbara Covett (Judi Dench) hält sich zunächst im Hintergrund. Sie gilt als Drachen, der mit eiserner Disziplin seine Schüler in Schach hält. Die alt gediente Erzieherin steht kurz vor der Pensionierung. Mit einer gehörigen Portion Zynismus schützt sie sich vor den Angriffen der rebellierenden Teenager. Als sie eines Tages am Klassenzimmer vorbei kommt, in dem Sheba Hart in eine Rangelei mit Schülern verwickelt ist, greift sie beherzt ein und sichert sich so die lang ersehnte Zuneigung der überforderten Lehr-Anfängerin.
Zuneigung durch emotionale Erpressung
Man ertappt sich als Zuschauer dabei, Sheba Hart warnen zu wollen, sich nicht im Netz dieser Schwarzen Witwe zu verheddern, dieser Hexe, die sich als liebenswürdige alte Dame und gute Freundin tarnt. Sie ist misstrauisch, verbittert, berechnend und vor allem: sehr sehr einsam und dadurch so zwiespältig - ein "verletzliches Monster mit bodenloser Sehnsucht nach Liebe", sagte Judi Dench über ihre Rolle. Um Zuneigung zu bekommen, greift Barbara Covett zu drastischen Mitteln: emotionale Erpressung. Den Anlass bietet ihr Sheba Hart selbst: Covett beobachtet sie heimlich durchs Schlüsselloch beim Sex mit einem minderjährigen Schüler.
Tabu-Sex mit dem minderjährigen Schüler
Es ist eine fein beobachtete Psychostudie, die Regisseur Richard Eyre vor den Augen der Zuschauer entfaltet, über ganz normale Menschen mit eigentlich ganz normalen Gelüsten, die sie allerdings an den falschen Menschen ausleben und die sie an den Rand des Abgrunds bringen. Obwohl Sheba Hart ein Verbrechen begeht, ein gesellschaftliches Tabu bricht, indem sie Sex mit einem Minderjährigen hat, ist ihr Verhalten so unglaublich nachvollziehbar. Verheiratet mit einem 20 Jahre älteren Mann, die besten Jahre ihres Lebens der liebevollen Pflege ihres behinderten Sohnes gewidmet, möchte man ihr beinahe zurufen, ja, genieße es.
Großartig spielt auch Steven Connolly als berechnender Teenager, der mit Komplimenten und seiner Jugend verführt, sich eine gute Zeit mit der schönen Frau macht, aber das Weite sucht, sobald es kompliziert wird. Stringent und ohne über seine Protagonisten zu urteilen entwickelt Regisseur Richard Eyre die fatalen Begierden, die Obsessionen der beiden Frauen, die sich ein bitterböses Psycho-Duell liefern. Dabei darf auch Cate Blanchett ihre düsteren Seiten auspacken.
Oscar-Nominierungen für die Darstellerinnen
Auf der Berlinale lief "Tagebuch eines Skandals" außer Konkurrenz. Für die Oscars sind beide Schauspielerinnen nominiert, Cate Blanchett für die Beste Nebenrolle - warum Nebenrolle, ist allerdings nicht ganz nachvollziehbar -, und Judi Dench für die Beste Hauptrolle. Regisseur Richard Eyre hat Dench schon mal eine Nominierung in eingebracht. Für ihre Rolle als Schriftstellerin Iris Murdoch in "Iris" wurde sie 2001 nominiert, verlor aber gegen Halle Berry in "Monster's Ball". Ob Judi Dench diesmal eine Chance gegen Helen Mirren in der Rolle der englischen Queen hat, wird spannend. Verdient hätten beide es.