Kein Musical hat so viele Stars hervorgebracht wie "Cabaret". Bei der Londoner Premiere 1968 debütierte die blutjunge Judi Dench. Liza Minnelli und Fritz Wepper gelang mit der Verfilmung 1972 der internationale Durchbruch. In den Achtzigern eroberte Ute Lemper mit der Rolle Paris.
In der Zwischenzeit hat sich das Verhältnis umgekehrt, es sind die großen Film- und Popstars, die sich den diversen Revivals als Zugpferde zur Verfügung stellen: Alan Cummings, Emma Stone, Michelle Williams, Sienna Miller, Billy Porter oder Eddie Redmayne ließen das Stück in unterschiedlichen Produktionen glänzen.
Der Berliner Kit Kat Club ist am Broadway zuhause
Seit vergangenem Jahr ist "Cabaret" am Ort seiner Uraufführung, dem New Yorker Broadway, zurück und feiert Publikumserfolge. Das gesamte August Wilson Theatre in der 52. Straße wurde in eine schillernde Version des literarischen Berliner Kit Kat Clubs verwandelt, vor allem die wechselnde Besetzung des Conférenciers, im Englischen "Emcee" genannt, sorgt immer wieder für Aufsehen. Zur New Yorker Premiere lieferte Eddie Redmayne ("Phantastische Tierwesen", "Die Entdeckung der Unendlichkeit") eine außergewöhnlich linkische und diabolische Version, die Fans und Kritiker aber auch aufgrund seiner Intonation verstörte. Mit Queen-Frontman Adam Lambert erhielt die Figur ihre große Stimme zurück.
Nun aber fiebern maximal unterschiedliche Fan-Gruppen der Neubesetzung entgegen, nämlich Musical- wie Country-Begeisterte, die sonst wenig eint. Orville Peck, der schwule und schillernde Countrystar, schlüpft ab 31. März in die Rolle des Conférenciers, der mit dem weltberühmten "Willkommen, Bienvenue, Welcome" den Reigen eröffnet. Seit Wochen wird heiß in den einschlägigen Foren debattiert, wie das funktionieren soll. Denn Pecks Karriere hat auch viel mit seiner geheimnisvollen Identität zu tun. Keiner weiß genau, wer sich hinter dem Künstlernamen und einer obligatorischen Gesichtsmaske, oft mit langen Kordeln bis übers Kinn, versteckt. Erste Kritiker mahnten an, die Starbesessenheit der Produktion dürfe nicht die "vierte Wand" des Stücks durchbrechen. Damit ist die Übereinkunft von Darstellern und Publikum gemeint, sich gemeinsam an der Illusion der Vorführung zu beteiligen.
Orville Peck und die "vierte Wand"
Ein signifikantes Markenzeichen wie Orville Pecks Maske würde dem entgegenstehen, was der Sänger wohl selbst erkannt hat. "Die Maske ist Teil meines persönlichen Ausdrucks als Künstler und ein wichtiger Teil meiner Persönlichkeit", sagte Peck nun der "New York Times". "Aber ich bin hier, um diese Rolle zu spielen und ihr Respekt, Integrität und hoffentlich eine gute Leistung zu verleihen. Es geht nicht um mich. Ich versuche nicht, daraus eine Orville-Peck-Show zu machen." Die Promotion-Abteilung des August Wilson Theatre hat die Sensation inzwischen zum Teil des Werbekonzepts gemacht und triggert die Fangemeinde mit ersten Kurzclips.

Doch was wird die Enthüllung für den Countrystar Peck bedeuten? Der Moment des künstlerischen Mummenschanzes ist für viele Popfiguren ausschlaggebend. Man stelle sich vor, der deutsche Rapper Cro würde ohne seine ikonographische Panda-Maske auftreten. Für die Rocker der Band Kiss geriet ein Konzert ohne Maskerade zum Karriereknick. Umso mutiger und professioneller ist dieser Schritt zu bewerten. Dass Orville Peck nicht viel von Konventionen hält, ist allerdings auch der Grund für seinen Erfolg. Seine offensive Queerness im traditionell konservativen Country-Metier war bereits ein Wagnis. "Ich hätte das nicht unbedingt für jeden Anlass gemacht", erklärt Peck. "Aber das ist mein Lieblingsmusical aller Zeiten."
Aktueller Stoff in den USA Donald Trumps
Die Handlung des Stücks "Cabaret" spielt im Berlin der frühen Dreißiger kurz vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten und basiert auf der Sammlung von Kurzgeschichten des homosexuellen britischen Autors Christopher Isherwood, der seine Einrücke im damaligen Berlin aufschrieb. Der jüdische Sänger und aktuelle "Emcee" Adam Lambert betonte bereits die aktuelle Bedeutung des Stücks in den USA. Er wolle dem Publikum jeden Abend "eine Art warnendes Beispiel" geben, sagt er dem Magazin "Variety": "Sie sollen sehen, es kann alles außer Kontrolle geraten."