Energiepunkte: Um mit Berlinale-Chef Dieter Kosslick zu sprechen: "Einen richtigen Tiefpunkt gab es zum Glück nicht."
Like:
Der Silberne Bär für Christian Petzold, der die Regie bei "Barbara" geführt hat. Das DDR-Drama über eine junge Ärztin, die sich mit Kopf und Bauch zwischen Ost und West entscheidet, hat die Jury zu Recht überzeugt. So liebevoll war Petzold selten. Und auch für Muse Nina Hoss ist dieser Film ein Meilenstein. Sie hätte den Silberbären für die beste Darstellerin genauso verdient wie die Gewinnerin, die 15-jährige Rachel Mwanza für ihr beeindruckendes Spiel in dem bedingungslosen Kindersoldatendrama "War Witch". Aber Hoss wurde bereits 2007 für ihren Auftritt in Petzolds Kapitalismuskritik "Yella" geehrt. Wohlverdient ist auch der Preis der Großen Jury für den ungarischen Film "Just the Wind", der Mord, Gewalt und Unterdrückung gegen Roma thematisiert. Den Amnesty-Filmpreis gab es dazu, weil (Regisseur) "Bence Fliegauf uns auf eindringliche Weise daran erinnert, was es für Menschen bedeutet, zwischen alltäglicher Diskriminierung und rassistischem Terror zu leben."
Dislike:
Der Hauptpreis, der Goldene Bär für den besten Film für "Cäsar muss sterben". Der Film über eine Theateraufführung im Hochsicherheitstrakt eines italienischen Gefängnisses ist okay, aber letztlich gut abgehangenes Altmänner-Festivalkino, für das nach dem Filmfest niemand ein Ticket kaufen wird. Zumal die Aussage, dass Shakespeare modern ist und Menschen, die im Gefängnis sitzen, auch gute Schauspieler sein können, ehrlich gesagt ein bisschen banal ist. Der Preis wirkt wie eine Auszeichnung fürs Lebenswerk und fühlte sich zudem "ge-wulfft" an, als die Regie-Brüder Taviani sich bei ihrem Freund, dem Jurypräsidenten Mike Leigh und weiteren langjährigen, engen Freunden aus der Jury bedankten. Das war künstlerisch nicht so überzeugend, zumal der von Publikum und Presse favorisierte "Sister" von Ursula Meier einen neu eingeführten Extra-Silberbären bekommen hat, was ein bisschen nach Entschuldigung klingt. Aber vielleicht machen die aktuellen Ereignisse auch ein bisschen paranoid.
Filmmoment:
Dass mit Mikkel Boe Fölsgaard ein absoluter Außenseiter den Silbernen Bären für den besten Darsteller gewonnen hat. Der Däne spielt in "Eine königliche Affäre" einen zwischen kindlichem Irrsinn und erwachsenem Selbstbewusstsein gelagerten König. Und das überzeugender als Ex-Bond-Bösewicht Mads Mikkelsen seinen Helden.
Zitat der Tages:
Nummer 1: "Lasst uns nicht aufarbeiten, lasst uns erzählen." ("Barbara"-Regisseur Christian Petzold über den Umgang des Kinos mit der deutsch-deutschen Geschichte)
Nummer 2: "Aber ich wollte doch eigentlich einen altmodischen Film machen." (Der portugiesische Regisseur Miguel Gomes, nachdem er für sein Schwarz-Weiß-Drama <linkextren adr="http://www.critic.de/film/tabu-3587/trailer/">"Tabu" den Alfred-Bauer-Preis für Innovation im Kino gewonnen hat.
Fazit:
Es war ein starker Wettbewerb, es war ein spannendes, rundes Festival mit einer wunderbaren Bandbreite an Kino, die bei der großartigen Dokumentation "The Reluctant Revolutionary" anfing, die vom Arabischen Frühling in Jemen erzählt und die die Geschehnisse und die Menschen so nah ranholt, wie ein fiktionaler Film es niemals könnte. Hollywood zeigte seinen starken Rücken mit dem 9/11-Drama "Extrem laut und unglaublich nah". Und es war auch Platz für den Sci-Fi-Trash von "Iron Sky", der finnischen, mittels Fan-Geld finanzierten Umsetzung der Weisheit, dass Nazis hinterm Mond leben. Großes Kino ist angereist: Angelina Jolie war da und gut, Meryl Streep war da und wundervoll. Antonio Banderas, Robert Pattinson, Michael Fassbender, Shah Rukh Khan, Diane Kruger, Steven Soderbergh, Stephen Daldry, Jean Reno und natürlich die deutsche Schauspielriege von Corinna Harfouch bis Jürgen Vogel strahlten auf dem roten Teppich. Die Jury war außerordentlich - von Jake Gyllenhaal über Charlotte Gainsbourg bis Asgahr Farhadi. Und Präsident Mike Leigh, der seinen "Kameraden" guten Humor bestätigte. Zuguterletzt spielte sogar das gefürchtete Berlinale-Wetter mit. Am Tag der Preisverleihung: sieben Grad und fast durchgehend trocken. Was will man mehr?!