Filmstart "Extrem laut und unglaublich nah" Das macht keinen Sinn

Ein Junge verliert am 11. September seinen Vater in den Zwillingstürmen. Verzweifelt versucht er, in dieser Katastrophe irgendeinen Sinn zu finden. "Extrem laut und unglaublich nah" ist ein Film, der es einem alles andere als leicht macht.

Oskar Schell ist anders als die anderen Kinder. Er sucht und findet überall Strukturen, Muster, die ihm helfen, die Welt zu verstehen - sei es in Tagesabläufen, in Landschaften oder dem Verhalten anderer Menschen. Doch die emotionale Einordnung fällt ihm schwer. Logisches Denken begeistert ihn, eine Umarmung weniger. Oskar leidet an einer leichten Form des Asperger Syndroms, eine Art mildem Autismus. Seine liebevollen Eltern haben sich damit arrangiert. Der Vater (Tom Hanks) erfindet komplizierte Denkaufgaben-Spiele. Die Mutter (Sandra Bullock) ist wie ein Wärmestrahler im Hintergrund. Alles in allem eine glückliche Familie. Bis der "furchtbarste Tag" passiert: der 11. September 2001.

Oskars Vater ist im World Trade Center, als islamistische Terroristen zwei Flugzeuge hineinsteuern. Die Familie muss einen leeren Sarg begraben. Das alles macht nicht nur für Oskar keinen Sinn. Doch - und das ist die großartige Idee von Jonathan Safran Foer, der 2005 den Roman "Extrem laut und unglaublich nah" veröffentlicht hat, der Regisseur Stephen Daldry ("The Hours", "Der Vorleser") als Vorlage diente - Oskar versucht alles, um Sinn zu finden. Sein Ausgangspunkt ist willkürlich: Als der Junge ein Jahr nach dem Tod seines Vaters erstmals wieder ins Schlafzimmer seiner Eltern geht und im Schrank seines Vaters stöbert, zerbricht er eine blaue Vase und findet darin einen Schließfachschlüssel. Auf dem kleinen Umschlag, in dem der Schlüssel steckt, steht das Wort "Black", und Oskar ist klar, dass es sich um einen Namen handeln muss. Er beginnt mit der Arbeit.

Von New York nach Dresden

Akribisch studiert er New Yorks Telefonverzeichnisse, macht alle Menschen mit Namen Black aus, erstellt Listen und Karten, nach denen er jeden einzelnen besuchen will. Irgendwo ist etwas eingeschlossen, von dem sein Vater wollte, dass er es finde, so seine Vorstellung. Eine Botschaft, eine Erklärung, der Sinn des Ganzen. Und Oskar macht sich auf den Weg.

Gegengeschnitten zu dieser Odyssee ist die Geschichte von Oskars Großmutter - im Buch mehr als im Film. Die alte Frau stammt ursprünglich aus Dresden. Die Bombennächte am Ende des Zweiten Weltkriegs sind ein "furchtbarster Tag", eine Katastrophe in der Vergangenheit, die ein Gesicht bekommt, als die Großmutter "den Mieter" bei sich wohnen lässt. Ein alter Mann ohne Eigenschaften, bis Oskar ihn stellt und den stummen, mit einem Notizblock kommunizierenden Alten mit auf seine Streifzüge durch New York nimmt.

Grandioser Max von Sydow

"Extrem laut und unglaublich nah" ist ein Märchen, eine Fabel über unseren Umgang mit den "furchtbarsten Tagen" in unseren persönlichen Geschichten. Und Regisseur Daldry hat einen dem Buch angemessenen Filmton gefunden, um davon zu erzählen. Der 14-jährige Thomas Horn ist beeindruckend als zutiefst verunsichertes Kind, das verzweifelt, weil das Puzzle, das sein Leben für ihn ist, nicht mehr passen will. Eine Verbeugung verdient Max von Sydow (Ingmar Bergmann-Muse, "Pelle, der Eroberer", "Shutter Island"), der auch für einen Oscar nominiert ist. Der gebürtige Schwede spielt den stummen "Mieter", der "Ja" und "Nein" in die rechte und linke Handfläche tätowiert hat, um sich leichter verständigen zu können, und der selbst keinen Sinn in dem gefunden hat, was ihm widerfahren ist.

Oskar ist kein typisches Filmkind, von dem man sich gern an die Hand und durch den Film begleiten lässt. Er ist sperrig, anstrengend, doch gleichzeitig ein großartiges Sinnbild für die Hilflosigkeit angesichts der persönlichen Katastrophe abseits jeder politischen Einordnung. Dass die fehle, ist dem Regisseur auf der Berlinale, wo "Extrem laut und unglaublich nah" vorgestellt wurde, vorgeworfen worden. Doch seit wann hilft eine politische Analyse einem trauernden Kind?

Von Sophie Albers

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