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Interview Mira Nair Jenseits von Bollywood

Mira Nair ist Indiens erfolgreichste Regisseurin, obwohl - oder eher weil? - sie keine schnulzigen Bollywood-Filme produziert. Nun erscheint ihr Film "Namesake" auf DVD. Im stern.de-Interview spricht sie über die schillernde Filmindustrie Indiens und ihre Zusammenarbeit mit Johnny Depp.

Energisch betritt Mira Nair den Raum, wirft ihr tiefschwarzes Haar mit Schwung nach hinten und lümmelt sich barfuß in den Hotelsessel: Nair ist eine Vorzeige-Inderin mit schwarzumrandeten Mandelaugen, weiten Jodphurs und karminrotem Schal und gleichzeitig eine Kosmopolitin, die abwechselnd in Manhattans Upper East Side, im indischen New Delhi und in Kampala, der Hauptstadt Ugandas, lebt. Von dort stammt ihr Ehemann, Professor Mahmood Mamdani, und in Ostafrika verbringt Nair mit Mann und 15-jährigem Sohn meist ihre Sommer. Ihren indischen Akzent hat die Weltenbummlerin dennoch behalten. Die Frage nach Zugehörigkeit und Fremdheit beschäftigt die 50-Jährige nicht nur persönlich, sondern auch in ihren Filmen: "Salaam Bombay" (1988), "Mississippi Masala" (1991), "Monsoon Weeding" (2001) und selbst in der Verfilmung des William-Thackeray-Romans "Vanity Fair" (2004). Ihr letzter Film "The Namesake - Zwei Welten, eine Reise" erzählt die Geschichte eines bengalischen Paares, das sein Glück in den USA sucht. Die Familie kommt zu materiellem Erfolg und leidet dennoch unter der Entwurzelung. Besonders die in den USA geborenen Kinder sind auf der Suche nach kultureller Identität.

Nair selbst wurde im indischen Bundesstaat Orissa geboren, mit 19 wechselte sie von der Uni Neu Delhis nach Harvard. "Namesake" (dt. Namensvetter) bezeichnet sie als ihren bisher persönlichsten Film, mit dem sie auch ihren eigenen Werdegang nachvollzogen habe.

"The Namesake" basiert auf dem gleichnamigen Roman der Pulitzer-Preisträgerin Jhumpa Lahiri. Was hat Sie an dem Buch so fasziniert?

Mich hat das Buch angesprochen, weil ich es gelesen habe, als ich um meine Schwiegermutter trauerte. Sie ist an einem Kunstfehler gestorben, den ein New Yorker Krankenhaus zu verantworten hatte. Das war ein Riesen-Schock für mich, es war das erste Mal, dass ich jemanden verloren hatte, der mir so nahe stand. In "The Namesake" habe ich mich in meiner Trauer wiedergefunden. Erst beim zweiten Lesen entdeckte ich noch andere Zugänge: Zwei Städte spielen in dem Buch eine große Rolle, die auch für mich persönlich von großer Bedeutung sind: Kalkutta und New York. Und die Familie Ganguli beschreitet in dem Buch exakt die gleichen Wege, die ich auch gehen musste. Ich war geradezu dazu bestimmt, diesen Roman zu verfilmen.

Haben Sie in diesem Film auch autobiografische Parallelen zu ihrer Familie gefunden?

Eher indirekt. Beim Thema Weihnachten zum Beispiel: Mich deprimiert dieses Fest, ich habe keine Verbindung dazu, diese ganze Deko und der Kommerz - das finde ich befremdlich. Mir sind nun mal ganz andere Feste und Bräuche vertraut. Im Film gibt es die Szene, in der die Protagonistin Ashima vom Tod ihres Mannes erfährt. Sie rennt im Sari vors Haus und weint allein in den Schnee, angestrahlt von den Weihnachtslämpchen. Diese ganze westliche Tradition mit leuchtenden Nikoläusen und Rentieren symbolisiert für mich die kulturellen Entfremdung der Ganguli-Familie.

Die Integrationsversuche der bunten Inder im grauen New York wirken oft rührend, aber auch komisch, zum Beispiel wenn Namisha ihre Cornflakes mit Curry würzt.

Ja, das stimmt. Ich glaube, man kann jede Stimmung auf viele unterschiedliche Weisen empfinden. So ähnlich ist auch der Film: Er transportiert zwar eine bestimmte Haltung, ist sehr bewegend und emotional, aber dennoch gibt es immer wieder etwas zum Lachen. Oft sind es die kleinen Szenen der Hilflosigkeit, in denen man sich wiederfindet.

Was halten Sie vom Bollywood-Hype, der inzwischen die ganze Welt erreicht hat?

Was ich an Bollywood mag, ist, dass es seine ganz eigene Filmsprache gefunden hat, die sich um nichts und niemanden schert. Kontinuität? Brauchen wir nicht. Logik? Warum, wäre doch viel netter die Schweizer Alpen neben Sydneys Opernhaus zu setzen. Bollywood hat seinen ganz eigenen Stil. Das liebe ich daran: dass es sein eigenes Ding macht. Es ist voller Talent und Farbe - aber es ist nicht mein Stil. Gelegentlich entleihe ich mal etwas, und natürlich arbeite ich auch mit Bollywood-Schauspielern zusammen, so auch mit Tabu, die in "Namesake" die Ashima spielt. Bollywood ist kein fremdes oder abstoßendes Terrain. Es ist nur nicht meins. Am meisten schätze ich es, dass es sich selbst treu bleibt.

DVD-Tipp

"The Namesake - Zwei Welten, eine Reise" von Mira Nair, mit Kal Penn, Irfan Khan und Tabu ist bei Twentieth Century Fox erschienen und seit dem 26. November im Handel erhältlich.

Dennoch wird Indien im Ausland hauptsächlich mit Bollywood assoziiert. Gibt es überhaupt intellektuelle oder Independent-Filme?

Früher gab es nur ein sehr kleines indisches Independent-Kino und man unterschied hauptsächlich zwischen den Filmemachern Bollywoods und den Regisseuren Kalkuttas. Die galten als die Intellektuellen des Landes. Aber heute ist das Filmrepertoire Indiens riesig. Auch, weil sich der Vertrieb von Kinofilmen verbessert hat. Inzwischen gibt es hunderte Großkinos, allein "Namesake" wurde in der Eröffnungswoche in 120 Kinos gezeigt. Schon "Monsoon Weeding" war groß in Indien, wurde aber nur in 90 Kinos gezeigt. Immer mehr Menschen wollen heute indische Filme jenseits von Bollywood sehen. Es gibt bereits den anderen indischen Film - er mag zwar noch etwas naiv daherkommen, aber er ist da.

Derzeit arbeiten Sie mit Johnny Depp an "Shantaram", einer große Studio-Produktion mit Warner Brothers. Geht diesmal ein "Weißer" auf Indentitätssuche?

Mit meiner Arbeit pendele ich immer wieder zwischen den Kulturen hin und her. Nicht nur Johnny Depp spielt mit in "Shantaram", sondern auch die Bollywood-Ikone Amitabh Bachchan. Der Film spielt größtenteils in Indien und handelt von einem Häftling, der aus einem australischen Gefängnis ausbricht und in Indien untertaucht. Ich versuche mit diesem Streifen, einen Ausgleich zwischen Ost und West, zwischen Orient und Okzident herzustellen - im Gegensatz zu vielen anderen Filmen über Indien. In denen geht es immer nur um Eines: Weißer Mann erobert dunklen Kontinent, um dort das Licht anzuknipsen. Und Johnny Depp verkörpert für mich den idealen Grenzgänger zwischen Ost und West: Ein Typ, der von überall herstammen könnte.

Dennoch ist Indien kein unkomplizierter Markt für Filme. Gerade Werke, die sich mit politischen oder gesellschaftlichen Problemen befassen, werden kritisiert und zensiert. Haben Sie das auch schon erlebt?

Das letzte Mal vor etwa zwölf Jahren mit "Kamasutra". Der Film wurde von der Leinwand verbannt; sechs Monate lang beschäftigten sich mehrere Gerichte damit - ich hatte sehr viel Ärger. Seitdem jedoch hat sich vieles verändert. Inzwischen werde ich auch in Indien als Filmemacherin anerkannt und bekomme Drehgenehmigung auch für schwierige Orte wie das Taj Mahal. Die Nachfrage nach unabhängigen und auch kritischen Filmen hat sich in den vergangenen Jahren ist gewachsen und diese Filme werden inzwischen auch gemacht. Das hat unter anderem damit zu tun, dass Indien wirtschaftlich so erfolgreich ist. Heute gibt es Geld für unabhängige Filme - und ein Publikum, das sie sehen will. Das zeigt sich auch an "Namesake": Die Menschen möchten nicht mehr nur Sing-und-Tanz-Filme sehen.

Für die Ganguli-Familie aus "Namesake" sind die USA der achtziger Jahre das Land der Hoffnung und der Träume. Gilt das noch heute für indische Immigranten?

Früher wurden indische und auch pakistanische Auswanderer aufgesogen von der amerikanischen Industrie. Das hat sich inzwischen geändert - gerade die Erfolgreichen und Studierten kehren wieder zurück. Indien ist einfach heute sehr viel dynamischer und aufregender ist für junge Leute. Gerade mit ihrer britischen oder amerikanischen Ausbildung können sie die Karriereleiter sehr viel schneller erklimmen als in den USA oder Großbritannien. Und man kann in Indien mindestens genauso viel, wenn nicht noch mehr, Geld verdienen. Da befindet sich etwas im Umbruch unter den Immigranten und es beginnt gerade erst.

Interview: Claudia Pientka

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