Einmal nicht mit dem Megafon draußen rumstehen, sondern rein ins Haus, Tür aufsprengen, Waffe ziehen und Zack! Bumm! Festnahme! "Ein großer Auftritt eben", meint Andreas Hoppe, "à la Dirty Harry, das wär mal was."
Hoppe wird sich gedulden müssen. Denn Hoppe spielt den Mario Kopper, und der ist bei der "Tatort"-Kripo Ludwigshafen laut Dienstrangordnung nicht ganz so wichtig wie Hauptkommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts). Vor acht Jahren wurde er als schlecht rasierter Gehilfe eingeführt, um seiner eher spröde inszenierten Chefin zu ein paar privaten Szenen zu verhelfen. Weil er das sogar besser machte, als ihm die guten Drehbücher das vorschrieben, darf er längst auch Verhöre führen, den Witzbold machen, Gefühle zeigen, kurz und gut: für die Unterhaltung sorgen.
Hoppe gilt als Prototyp
einer neuen Generation von Krimi-Assistenten und Helfern. Die sind aus der zweiten Reihe nach vorn getreten - und beim Publikum die eigentlichen Stars.
Früher war das mal ein böser Schauspielertraum: Helfer in einer deutschen Krimiserie. Da konnte man endlos die Drecksarbeit leisten, man blieb der Wurmfortsatz im Kommissariatskörper, bis die Leute einen am Ende bestenfalls unterm Rollennamen kannten. Es gab ihn ja, den ewigen Assistenten: Fritz Wepper spielte den Harry Klein, erst in 70 Folgen unter Kommissar Keller, dann unter Derrick in 281 Folgen. 30 Jahre lang trat er als verpasste Chance auf, als "Harry, hol schon mal den Wagen". Seine kurzen Antworten - "Ist gut, Chef" - mussten für einen ganzen Abend reichen.
"Ein Typ wie Harry ist nicht mehr zeitgemäß", sagt Liane Jessen, Fernsehspielchefin des Hessischen Rundfunks, "denn unsere Arbeitswelt hat sich verändert. Wer sich um eine wirklichkeitsgetreue Darstellung der Polizeiarbeit bemüht, der schildert den Arbeitsalltag, wie er ist: hart, anstrengend und so brutal, dass sich zwangsläufig eine Ersatzfamilie am Arbeitsplatz bilden muss."
Schlimme Ereignisse lassen sich gemeinschaftlich besser verarbeiten, sagt Jessen, "dafür eignen Nebenfiguren sich perfekt". Der Assi taugt als Tribut an den psychologischen Realismus. Das haben die Drehbuchautoren erkannt und legen jetzt Wert auf die Entwicklung dieser Hilfscharaktere. Eine, die ihren trostlosen Arbeitsplatz um den menschlichen Faktor bereichert, ist Maren Eggert. Als strenge, scharfzüngige Psychologin Frieda Jung hat sie es mit dem Kieler "Tatort"-Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) zu tun. Der bekommt in seinem Job so Fürchterliches zu sehen, dass er gelegentlich überschnappt. Dann ist es an ihr, seinen Borderline-Charakter zu therapieren. Wie die meisten Assi-Rollen ist auch die der Hamburger Thalia-Schauspielerin Eggert im Prinzip komödiantisch angelegt: Je härter die Fälle werden, und das ist Tendenz im Fernsehkrimi, desto wichtiger werden die "Ausruhmomente". Wenn Frieda Jung zur Therapie bittet, darf der Zuschauer sich zurücklehnen. Nur knallharte Recherche zu zeigen, das ist schwer bekömmlich im Sinne einer netten Prime-Time-Unterhaltung.
Einen legendären Ruf als komischer Gegenpart hat sich Rudolf Kowalski erarbeitet. Seit er der Kommissarin Bella Block 1998 als Lebensgefährte zur Seite gestellt wurde, erzielt er mit kurzen Auftritten als Simon Abendroth größtmögliche Wirkung. Das konfliktreiche Verhältnis der beiden wird von den unterschiedlichsten Drehbuchautoren mit Sorgfalt inszeniert. "Private Misere und Streit machen unsere Geschichte spannend. Glückliche Kommissare sind langweilig", sagt Kowalski. "Harmonie dagegen lässt sich nicht erzählen. Sie gibt nichts her."
Nach sieben Jahren mit Bella Block alias Hannelore Hoger wurde erwogen, ihm größeren Platz einzuräumen, doch Kowalski hielt von dieser Idee nichts. "Dem Zuschauer muss immer der Wunsch nach mehr bleiben", glaubt er, "daher hält Bellas Lebensgefährte sich besser im Hintergrund." Es wird also weiter am anderen rumgenörgelt.
Gegensätzliche Paare sind ein beliebtes Prinzip in Krimiserien. Auch die Berlinerin Gesine Cukrowski muss sich als Dr. Judith Sommer gegen einen Kollegen behaupten: den Gerichtsmediziner und Hobby-Macho Dr. Robert Kolmaar (Ulrich Mühe) aus der ZDF-Serie "Der letzte Zeuge". Zwischen gekühlten Leichen liefern sie sich Psychoduelle, Wortschlachten, Emanzipationsdebatten - und romantische Momente. Und das nun schon in der fünften Staffel, seit sieben Jahren. In besonders gelungenen Folgen rutscht das Verhältnis des Pathologenpaares sogar in den Mittelpunkt der Serie. "Kriegen sie sich oder nicht?", fragt Cukrowski. "Diese Frage hält die Spannung."
Solche erotischen Spannungen haben das Bollwerk des deutschen Kriminalkonservativismus bislang noch nicht erzittern lassen. Schon vor acht Jahren, als der Ost-Berliner Schauspieler Pierre Sanoussi-Bliss in das ZDF-Team um den "Alten" einstieg, beklagte er, die Figuren um den Hauptkommissar Leo Kress hätten "keine Eier". Daran hat sich bis heute wenig geändert: "Mittlerweile kenne ich jede Villa in Grünwald von innen, und noch immer haben wir keine Affären oder schlechten Angewohnheiten." Doch den Aufstieg vom blassen Stichwortgeber zum eigenständigen Mitarbeiter Axel Richter hat Sanoussi-Bliss geschafft.
Auch seine Kollegin vom Kölner "Tatort", Tessa Mittelstaedt, erspielte sich in nur vier Jahren eine Fangemeinde - als Kriminalassistentin Franziska Lüttgenjohann und unter illustren Chefs wie Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär. Figuren wie sie taugten früher bestenfalls als süße Tussi, die drollige Fehler machte, damit die Chefs glänzen durften.
Heute ist es bei der Kölner Kripo durchaus mal umgekehrt.