Filmfestival in Toronto Die coole Prinzessin rockt

Es hat sich als coolster Filmgipfel auf dem Planeten etabliert. Mögen auch andere Festivals ihren Charme haben, kommen die meisten Stars doch am liebsten nach Toronto. So sind auch bei der 36. Auflage jede Menge davon am Start. Und für die nötige Prise Rock'n'Roll ist ebenfalls gesorgt.

Wenn Cannes nach wie vor die Königin aller Filmfestivals ist", wusste die "Los Angeles Times", "darf man Toronto inzwischen als ihre äußerst lebhafte Prinzessin bezeichnen". Das war 1986. In den vergangenen 25 Jahren ist die Thronfolgerin, um im Bild zu bleiben, zur coolsten Vertreterin im globalen Festival-Palast erblüht. Die Queen mag noch immer am pompösesten daherkommen, gebärdet sich aber auch ziemlich hysterisch, selbstverliebt und brokatschwer. Auch ihre Schwestern Venedig (hübsch, stilvoll und ein bisschen launisch) und Berlin (etwas kühl, streng und streitlustig) mögen ihren speziellen Charme haben. Doch am Hofe der mittlerweile 36-jährigen kanadischen Lady fühlen sich die meisten doch am wohlsten. Das beginnt schon damit, dass die entspannte Dame völlig uneitel nicht um sich selbst kreist, sondern mit großer Hingabe (und rund 2000 freiwilligen Helfern) die Liebe zum Kino, seine Besucher und prominenten Gäste pflegt.

In Toronto vergeben die Zuschauer den Preis

Das Toronto International Film Festival (Tiff) ist nicht nur traditionell der Startschuss zur sogenannten "Award Season", bei dem potenzielle Golden-Globe- und Oscar-Kandidaten ihre Premieren feiern. Es ist auch eine Publikumsveranstaltung ohne Wettbewerb. Juroren, die in bewachten Villen am Stadtrand über die Verteilung Goldener Palmen, Löwen, Bären oder sonstigen Kaminsims-Schmuck grübeln, gibt es am Ontario See nicht. Den einzigen Preis vergeben die Zuschauer, die übrigens in den vergangenen Jahren mit späteren Oscar-Gewinnern wie "Slumdog Millionär" oder "The King's Speech" das richtige Gespür für gutes Kinos hatten.

Wer dieses Jahr die meisten Kreuzchen auf den Abstimmungskarten sammelt? Unmöglich zu sagen bei all den Schwergewichten unter den insgesamt 336 gebuchten Produktionen. George Clooney zum Beispiel reist gleich mit zwei starken Werken an, seinem selbst inszenierten Venedig-Eröffnungsfilm, das gelungene, aufklärerische Polit-Stück "The Ides of March", und dem leisen Familiendrama "The Descendents" von Alexander Payne ("Sideways"). In ersterem agiert auch Hollywoods derzeit angesagtester und fleißigster Schauspieler Ryan Gosling, der überdies noch mit dem kruden Thriller-Drama "Drive" am Start ist.

Fans der reizenden Rachel Weisz kommen gleich dreimal auf ihre Kosten. Daniel Craigs frisch Angetraute spielt im Spionage-Thriller "Page Eight" an der Seite von Bill Nighy, ist in Fernando Mereilles Beziehungsreigen "360" unterwegs und geht in Terence Davies' "The Deep Blue Sea" als Richtergattin eine verhängnisvolle Affäre mit einem Marinepiloten ein.

123 Weltpremieren

Weitere Höhepunkte: Madonnas Regiearbeit "W.E." über die folgenreiche Love Story von Englands König Edward VIII. und der bürgerlichen Amerikanerin Wallis Simpson, Roland Emmerichs Shakespeare-Mystery "Anonymus", der zauberhafte französische Stummfilm "The Artist", Marjane Satrapis Comic-Adaption und "Persepolis"-Nachfolger "Huhn mit Pflaumen", Francis Ford Coppolas Horrorfilm "Twixt" und "The Lady", Luc Bessons Porträt der birmanischen Demokratie-Aktivistin Aung San Suu Kyi.

Gemäß dem Credo "Festival der Festivals", mit dem Toronto 1976 erstmals die Manege des internationalen Festivalzirkus betreten hat, finden sich hier nicht nur 123 Weltpremieren, sondern auch ein Best of der Konkurrenten aus Berlin, Cannes und Venedig, sowie darüber hinaus diverse deutsche Produktionen ("Pina", "Dreileben", "Faust") für die die größte Filmschau auf dem amerikanischen Kontinent traditionell das Entrée auf dem selbigen darstellt. Mit Davis Guggenheims ("Eine unbequeme Wahrheit") U2-Film "From the Sky Down" eröffnet zum ersten Mal eine Dokumentation und nach langer Zeit eine nicht kanadische Produktion das Festival. Zusammen mit Cameron Crowes Musik-Doku "Pearl Jam Twenty" und Jonathan Demmes "Neil Young Journeys" schlägt sich somit auch im Programm nieder, was sich inzwischen weltweit vermehrt herumgesprochen hat: Prinzessin Toronto rockt.

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