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Hans Steinbichler "Heimat ist der Ort, wo es schmerzhaft sein kann"

Hans Steinbichler: "Heimat ist der Ort, wo es schmerzhaft sein kann"
Mit seinem ersten Film "Hierankl" entstaubte Hans Steinbichler das Genre des Heimatfilms. Im stern.de-Interview spricht der Regisseur über seinen neuen Film "Winterreise" und die Bedeutung von Heimat in der globalisierten Welt.

Herr Steinbichler, Sie gelten als Erneuerer des deutschen Heimatfilms. Können Sie sich mit diesem Etikett anfreunden?

Über ein Etikett kann man nie froh sein, aber wenn ein Film darüber einen Weg findet, kann ich damit gut leben. Eine Erneuerung ist ja nichts Negatives, aber es sollte nicht an einem kleben bleiben. Man stellt sich ja nicht hin und sagt: "Ich bin der Erneuerer des Heimatfilms", sondern hat ein Gefühl für eine Geschichte. Der deutsche Heimatfilm war mir aber kein Dorn im Auge. Für mich gab's den überhaupt nicht mehr, als ich anfing Filme zu machen.

Warum war der deutsche Heimatfilm für Sie nicht existent?

Er wurde nicht mehr produziert. In den 80er und 90er Jahren hat der deutsche Film versucht, immer woanders zu sein. Nie zuhause zu sein. Ich glaube, das hat auf Jahre den deutschen Film marode gemacht. Plötzlich haben wir uns besonnen, dass es noch etwas anderes gibt. "Winterschläfer" von Tom Tykwer hat mich in der Hinsicht beeindruckt. Wir vergessen total, dass Pedro Almodóvar ein begnadeter Heimatfilmer ist. Er filmt die Heimat seiner schwulen und eskapistischen Umgebung. Er macht Heimatfilm im besten Sinn, weil er das macht, wo er sich auskennt und eigentlich nicht darüber hinausgeht.

Ist der Begriff "Heimatfilm" in Deutschland negativ belastet oder kann man ihn inzwischen ideologiefrei verwenden?

Dazu gibt es eine positive und eine negative Aussage. Die negative ist: Man kann den Begriff deswegen wertfrei verwenden, weil gar kein Bewusstsein mehr besteht, dass er mal nicht wertfrei war. Es gibt irrsinnig viele Leute, denen das Wurscht ist. Vielleicht ist das auch okay, weil das eine Art Gesundung ist. Die positive Seite ist, dass man ihn wieder wertfrei benutzen kann, weil er Gott sei dank nicht mehr okkupiert ist. Stellen Sie sich vor, wir würden ein Wort wie Heimat den Nazis überlassen - das ja noch dazu von der Sprache her einmalig ist, es gibt dazu in anderen Sprachen ja kein Äquivalent. Dazu haben die effektiv nicht mehr die Macht. Das ist gut.

Was kann denn Heimat in der heutigen Zeit bedeuten?

Alles. In der heutigen Zeit kristallisiert sich Heimat als so wichtig heraus, weil sie infrage gestellt wird. Ich empfinde die Globalisierung als einen Anti-Heimat-Entwurf. Ich habe kürzlich in einem Zeitungsartikel gelesen, Deutschland sei ganz weit hinten in der Statistik was Flexibilität beim Arbeitsplatz angeht. Ich würde unter keinen Umständen nach Wanne-Eickel gehen, um dort zu arbeiten. Es kann doch nicht sein, dass man in drei Zeilen fordert, die Leute sollen flexibel sein und ihre Wurzeln abschlagen.

Heimat wird also von zwei Seiten in die Zange genommen: Für die Altlinken ist der Begriff verpönt, weil sie von den Nazis missbraucht wurde. Und von neoliberaler Seite gerät Heimat unter Mobilitätsdruck.

Auf der anderen Seite sie damit aber eine Nische. Die Beschäftigung mit der Heimat funktioniert wieder.

Zur Person:

Hans Steinbichler wurde 1969 in Solothurn in der Schweiz geboren und wuchs am Chiemsee auf. Ab 1995 studierte er an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Mit seinem Abschlussfilm wurde Steinbichler gleich bekannt. "Hierankl" wurde mit Preisen überhäuft, unter anderem erhielt er den Bayerischen Filmpreis (für Johanna Wokalek als Beste Darstellerin) und den Adolf-Grimme-Preis 2006.

Die Fachpresse pries ihn als Erneuerer des Heimatfilms. Steinbichler siedelte "Hierankl" am Alpenrand an, eine Gegend, die er bestens kennt und deren Natur ihm auch als Seelenlandschaft am Herzen liegt. Auf dem abgelegenen Gut Hierankl zerbricht eine Familie während einer Geburtstagsfeier an den angesammelten Lebenslügen. Mit Barbara Sukowa, Josef Bierbichler und Johanna Wokalek war dieser Film zudem hervorragend besetzt.

Auch für seinen neuen Film "Winterreise" konnte der Regisseur erstklassige Schauspieler gewinnen. Neben Bierbichler stehen Hanna Schygulla und Sibel Kekili vor der Kamera. Zur titelgebenden Musik aus Franz Schuberts Liederzyklus schildert der Film die Reise eines manisch-depressiven Unternehmers, die aus der bayerischen Provinz nach Nairobi führt.

Der klassische deutsche Heimatfilm der 50er Jahre war durch Alm- und Försterklischees geprägt. Zudem waren die Filme noch 100 Prozent ausländerfrei und gaukelten dadurch ein völlig verzerrtes Deutschland-Bild vor. Ihre Filme sind dagegen in der heutigen Realität angekommen.

Heimat ist in jedem Fall genau so eine Hölle wie die Nicht-Heimat. Aber mit dem Unterschied, dass es ein Fundament ist. Man kann sich ganz toll von der Heimat entfernen, einen Blick drauf werfen. Ich finde es ganz wichtig, dass man Abstand bekommt und dann in der Lage ist, wieder zurückzukommen. Das ist schon eine ganz andere Qualität, als wenn ich nur Destruktives habe, nur Wurzeln durchschneide, woanders hingehe, dort wurzellos bin, und dann wieder weitergehe. Das ist nicht mein Selbstverständnis. Ich habe das Gefühl, gerade in der heutigen Zeit braucht man eine Erdung. Und die kann ja Heimat wirklich bieten.
Die Filme der 50er Jahre spielten ja deshalb im Wald und auf der Heide, weil die Städte zerstört waren. Wo sollte man Filme drehen? Man wollte einfach irgendetwas beschwören, und das funktionierte am besten in der Natur. Man hat sie aber nur als Tapete benutzt. Man hat Klischees produziert. Ich würde gerne darstellen, dass Heimat der Ort ist, wo es sehr schmerzhaft sein kann, aber auch sehr gesund, wenn man sich damit auseinandersetzt.

Welche Rolle spielt Heimat in ihrem neuen Film "Winterreise"?

Zunächst einmal musste die Hauptfigur, der Brenninger, verwurzelt sein, deswegen habe ich auch als Ort Wasserburg gewählt. Das ist eine Stadt, die von der Inn-Schleife umgrenzt wird. Im Mittelalter ist sie bis zum Ufer gewachsen, dann ging es irgendwann nicht mehr weiter. In Wasserburg ist Heimat damit auch äußerlich festgeschrieben, als ein Nicht-über-sich-hinausgehen-Können.

Der von Josef Bierbichler gespielte Brenninger bringt alles mit, weswegen man ihn hassen müsste: Er ist rassistisch, frauenfeindlich und tyrannisiert seine Umgebung. Wieso ist er einem dann trotzdem sympathisch?

Das ist natürlich der Bierbichler. Ich wusste genau, wenn ich für diesen Film einen Schauspieler besetze, dann bin ich verloren. Weil wir auf eine Figur treffen, die wir hassen. Jetzt hat aber der Bierbichler in sich, dass man in den miesesten Momenten, wo er seine Kinder fertig macht, eine Verzweiflung in ihm merkt, die Mitgefühl weckt. Und das schafft eben kein Schauspieler, sondern ein Darsteller. Der Bierbichler ist ein Darsteller, ein Mensch, der vor der Kamera in der Lage ist, zu agieren, aber sich nie dabei aus den Augen verliert. Das ist der Unterschied zum Schauspieler und eine Qualität, die sehr selten ist.

In Winterreise spielt Josef Bierbichler an der Seite von Sibel Kekilli. Ist sie in Ihrem Sinne eine Darstellerin?

Sibel Kekilli war bei "Gegen die Wand" eine Darstellerin. Sie hat dort ihre eigene Geschichte gespielt. Da sie ein ganz tolles Leinwandgesicht hat, wollte ich sie in meinem Film haben. Ich habe ihr gesagt, das wird ein Film, wo du spielen musst, wo du anfangen musst, Schauspielerin zu sein. Und sie hat sich darauf lässt sie sich ein. Sibel war Darstellerin, jetzt wird sie eine Schauspielerin.

Wie kamen Sie auf Sibel Kekilli?

Ich wollte dem Bierbichler jemandem gegenüber stellen, von dem der Zuschauer eine Idee hat. Ich wollte eine Art Prominenz, aber nicht Glamour-mäßig. Es gibt Leute, die bringen etwas mit sich, das gar nicht mit ihnen selber zu tun hat. Sibel wurde da reingeworfen und war plötzlich da. Schaumgeboren. Das wollte ich mir zunutze machen. Dann kam noch dazu, dass ich es wunderschön fand, dass Brenninger eine Projektionsfläche für seinen Rassismus und seine Vorurteile hat.

Interview: Carsten Heidböhmer

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