2007 scheint Ihr Jahr zu sein. Zehn Jahre lang haben Sie sich im Schatten Ihres großen Bruders Ben Affleck als Schauspieler langsam einen Namen gemacht. Jetzt werden sie mit guten Kritiken überhäuft und in Hollywood als "Oscar-verdächtig" gehandelt. Und das in gleich zwei Filmen: In "The Assassination of Jesse James" stehlen Sie Brad Pitt die Show und in "Gone Baby Gone", dem Regie-Debüt Ihres Bruders, spielen Sie die Hauptrolle. Wie erklären Sie sich das?
Ich verstehe auch nicht, wie es funktioniert. Plötzlich hatte ich in zwei Filmen die Hauptrollen, die bei den Kritikern gut ankamen. Für die, die mich nicht kennen, sieht es jetzt so aus, als ob ich über Nacht berühmt geworden sei. Aber es war ein langer Weg. Ich habe bereits als Zehnjähriger mit der Schauspielerei begonnen, und es ist bestimmt nicht zu spät, erst jetzt bekannt zu werden. Ich könnte gerne noch ein paar Jahre in relativer Anonymität Leben. Es ist besser für mich, als 32-Jähriger mit einer sogenannten "Breakthrough Performance" Aufmerksamkeit zu erhalten als als 18-Jähriger gehypt zu werden. So jung schon unter die Lupe genommen zu werden, kann der Anfang vom Ende sein.
Wie wird der Erfolg Ihr Leben verändern?
Ob sich für mich nun überhaupt etwas ändert, ist fraglich. Ich habe schon zu oft beobachtet, wie jemand gefeiert wurde mit "You are going all the way to the top" und dann ist überhaupt nichts mehr passiert. Andere wiederum landeten plötzlich durch mittelmäßige, unbedeutende Arbeit auf jedem Zeitschriften-Titel, und wurden von allen Studios mit Film-Angeboten überhäuft. Ich bin daran gewöhnt, um Rollen zu kämpfen, und wahrscheinlich wird das weiter so sein. Ich erwarte keine große Veränderung.
Woher kommt diese Bescheidenheit?
Vielleicht daher, weil ich viele Rollen nicht bekommen habe. Man könnte es auch Scheitern oder Misserfolg nennen. Ich liebe meine Arbeit, aber seit ich verheiratet und Vater bin, habe ich einen Ruhepol und fühle mich den konstanten Höhen und Tiefen nicht mehr so ausgeliefert. Dieses Bewusstsein gibt mir große Freiheit. Ich könnte auch mit meiner Familie auf eine Farm ziehen und einfach glücklich sein.
Wie würden Sie die Dynamik zwischen Ihnen und Ihrem großen Bruder Ben beschreiben?
Ben und ich sind in Boston in einer nicht ungefährlichen Gegend aufgewachsen. Unsere Mutter hat den ganzen Tag gearbeitet, unser Vater war nicht da. Dadurch waren wir uns sehr nahe. Trotzdem haben wir uns viel gestritten und uns geprügelt. Wir sind auf die gleiche Schule gegangen, hatten die gleichen Interessen und einen gemeinsamen Freundeskreis. Zwischen uns hat sich nicht viel verändert. Es gab mal ein paar Jahre, in denen wir uns nicht viel gesehen haben, weil er viele Filme drehte und ich in New York lebte. Jetzt sind wir beide froh, dass wir in der gleichen Stadt leben und uns mindestens einmal die Woche sehen. Vier Monate bei den Dreharbeiten von "Gone Baby Gone" miteinander zu verbringen, hat großen Spaß gemacht.
Ben war als Regisseur der Boss. Mussten Sie um die Rolle in seinem Film kämpfen?
(Lacht). Ich habe bei ihm noch nie um etwas gebettelt. Ben hat mich bei den Dreharbeiten von "Jesse James" in Kanada besucht und mir das Drehbuch, an dem er sehr lange gearbeitet hat, gegeben. Für die Hauptrolle hatte er verschiedene Schauspieler im Sinn. Ich glaube, ich war nicht mal auf der Liste. Es war sein erster Film als Regisseur, man bekommt keine zweite Chance. 95 Prozent aller Filme stammen von Regisseuren, die nur einen Film gemacht haben. Deswegen ist die Rollenbesetzung so wichtig. Es gab eine monatelange Diskussion zwischen Ben und mir. Ich wollte seinen Film nicht ruinieren. Bei den Dreharbeiten war es dann allerdings nur von Vorteil, dass wir Brüder sind. Wir hatten tägliche Auseinandersetzungen. Die waren aber, wie in unserer Kindheit, schnell wieder vergessen. Wir Wir konnten uns anschreien und wussten, dass es nicht persönlich gemeint ist. Wir haben 20 Jahre über Filme diskutiert und wissen, was wir wollten. Es war eine aufregende Zeit.
Ben ist unglaublich schnell berühmt geworden, bei Ihnen war es ein Prozess, sie blieben sehr lange im Hintergrund. Gab es bei Ihnen Geschwister-Rivalität?
Ganz ehrlich: Nein. Wir haben uns nie für die gleichen Projekte interessiert. Nachdem wir in unserer Kindheit auf einander angewiesen waren, machte es für uns beide keinen Sinn, dem andern im Weg zu stehen, miteinander zu konkurrieren. Ganz im Gegenteil. Wir wollten immer das Beste für einander. Ihre Frage beinhaltet die Annahme, dass jeder berühmt werden will und dass Berühmtheit eine gute Sache ist. Dass das nicht der Fall ist, hat schon Jesse James und die Geschichte mit Robert Ford bewiesen. Es war nie mein Ziel, auf der Titelseite von Klatschblättern zu erscheinen. Für mich ist die Anerkennung von Kritikern und ernsthaften Journalisten wichtig. Ich will mit meinen Filmen etwas aussagen und stehe nicht darauf, von Papparazzi verfolgt zu werden, die mich und meine Frau beim Kaffeetrinken fotografieren. (lacht)
Ihr Bruder ist politisch als Demokrat ziemlich aktiv. Hätte er das Zeug für den nächsten Präsidenten, oder Gouverneur? Sie kennen Ihn am besten...
Ben hat mehr Leichen im Keller als Sie sich vorstellen können...(lacht). Aber wissen Sie, er ist ein Naturtalent. Ben ist unglaublich intelligent, ein Problemlöser und hat enormes Mitgefühl für Menschen. Das sind meiner Meinung nach die drei wichtigsten Eigenschaften eines Präsidenten. Leute respektieren Ben und folgen ihm.
Sie waren in jedem der "Oceans"- Filme vertreten, neben Hollywoods Top Stars wie George Clooney, Brad Pitt und Matt Damon. Matt wird als der beste Kumpel Ihres Bruders beschrieben. Was haben Sie bei den Dreharbeiten gelernt?
Die Typen sind alle überbewertet. (lacht) Sie tragen viel Make-Up und arbeiten nicht sehr hart. Mich hat keiner eingeschüchtert. Schon gar nicht George, der geht ja schon auf die 60 zu... Ich glaube meine Anwesenheit hat eher sie nervös gemacht. (lacht)
Und was ist mit der Matt Damon?
Ich bin mit Matt aufgewachsen und kenne ihn seit meinem siebten Lebensjahr. Wir sind jeden Morgen im gleichen Schulbus gefahren. Weil er älter war, durfte er mit den coolen Typen hinten im Bus sitzen. In der dritten Klasse hatte ich eine Freundin, sie war die Schwester von Matts Freundin. Matt war in der achten Klasse. Und da die Schwestern zusammen sitzen wollten, durfte ich auch nach hinten. Da hab ich Matt zum ersten Mal kennengelernt. Weil ich meine Karate Klamotten oft zur Schule getragen habe, nannte mich Matt "Karate Kid". Ich war stolz auf meinen gelben Gürtel. Er behauptete, er hätte den schwarzen Gürtel im Streetfighting. Ich glaube Matt war in seinem ganzen Leben noch nicht in eine einzige Prügelei verwickelt. Es ist schön, Filme mit Menschen zu drehen, die man kennt. Ansonsten sieht man sich nicht. Plötzlich verschwindet Matt einfach so drei Jahre nach Prag.
In der Rolle des Robert Ford idealisierten Sie Brad Pitt als Jesse James? Hatten Sie ähnliche Gefühle für ihn bei den Dreharbeiten?
Ja, das war nicht schwer. Ich bin schon sehr lange ein Fan von Brad Pitt, er geht ja schon auf die 50 zu...(lacht). Schon als kleiner Junge hab ich seine Filme gesehen, Filme wie "Snatch" und "Legenden der Leidenschaft". Brad ist ein unglaublich charismatischer Mensch. Ich hatte ihn das letzte Mal bei den Dreharbeiten von "Ocean 13" gesehen und erlebte bei "Jesse James" seine unglaubliche Metamorphose. Blass, ein bisschen kränklich aussehend, abstehende Ohren, dunkelbraune Haare - vom Leben gezeichnet. Seine Darstellung hat mich eingeschüchtert und inspiriert. Ich empfand so noch mehr Verehrung und Respekt und finde er war in diesem Film so gut wie noch nie.
Auf die Frage wer für Sie der Held in Ihrem Leben ist, antworteten Sie: Meine Mutter. Können Sie das bitte erläutern?
Meine Mutter hat Ben und mich alleine großgezogen. Sie war Lehrerin in einer staatlichen Schule in einer armen Nachbarschaft. Damit verdient man nicht viel Geld. Sie liebte Kinder und ihren Job. Sie hat sehr, sehr hart gearbeitet und war streng. Wir durften selten Fernsehen gucken, sie erlaubte keine Videospiele. Sie hat jeden Abend die Hausaufgaben mit uns gemacht. Sie hat entschieden welche Filme wir sehen, ob wir wegdürfen, wann und wohin. Damals hab ich ihr das ständige Nein übel genommen. Im Nachhinein ist mir klar geworden, wie heldenhaft sie das gemeistert hat. Sie nervt mich zwar immer noch (lacht), aber ich schätze und respektiere die Entscheidungen, die sie als Mutter für uns Kinder getroffen hat.
Und Ihr Vater?
Wir haben ihn manchmal gesehen, aber nicht oft. Ich finde, für Jungen ist eine gute Beziehung mit der Mutter am wichtigsten, bevor sie Teenager werden. Das wird in vielen Kulturen so gehalten. Erst wenn man in ein bestimmtes Alter kommt, braucht man einen Vater. Nachdem ich die meiste Zeit in meinem Leben ein Teenager war, hab ich nicht sehr darunter gelitten. Außerdem hatte ich einen großen Bruder und eine sehr enge Beziehung mit meinem Großvater.
Sie sind mit der Schwester von Joaquin Phoenix verheiratet und Sie sind Eltern zweier Kinder. Wie habt Ihr Euch gefunden?
Joaquin und ich drehten den Film "To die for" und wurden sehr gute Freunde. Damals hab ich jeden in der Familie kennengelernt, außer Summer. Drei Jahre später bin ich ihr zufällig auf der Strasse mit ihrem gutaussehenden Freund, einem Rockstar, begegnet. Sie gefiel mir. Obwohl ich mir klar war, dass ich keine großen Chancen habe, versuchte ich sie zu erobern. Und irgendwann wurde sie meine Freundin. Dann haben wir geheiratet. Mittlerweile haben wir zwei Kinder. She's the best thing in the world.
Was mögen Sie am liebsten an Ihr?
Tausend Dinge! Was mir als erstes dazu einfällt ist, dass sie mich toleriert wie ich bin. Das war bei ehemaligen Freundinnen nicht der Fall. Und sie ist unglaublich talentiert. Ich hab mich in ihr Talent verliebt und in ihre Schönheit, aber nicht in ihre Kochkünste. (lacht) Das liegt ihr nicht.
Was sind Eure Gemeinsamkeiten?
Wir sind sehr verschieden. Sie ist in einer großen Familie aufgewachsen mit fünf Kindern. Vater und Mutter. Sie lebte in Florida und Südamerika. Ich wuchs im bitterkalten Boston auf. Sie ist nie zur Schule gegangen, ich musste jeden Tag Hausaufgaben machen. Ich muss ein Drehbuch 100.000 mal lesen, um die Dialoge zu lernen und kapieren worauf es ankommt. Sie ist ein Naturtalent, eine gute Schauspielerin. Ich nicht.