Jürgen Vogel "Ohne Kultur verkümmert das Leben"

Jürgen Vogel ist einer der bekanntesten Schauspieler Deutschlands
Jürgen Vogel ist einer der bekanntesten Schauspieler Deutschlands
© Horst Galuschka/ / Picture Alliance
Jürgen Vogel ist einer der bekanntesten Schauspieler Deutschlands. Im Gespräch mit dem stern erzählt er, warum er kaum noch Alkohol trinkt, wie er die Tage des Corona-Lockdowns erlebte und warum eine Gesellschaft nicht alles negativ sehen sollte.

Er hat das wohl markanteste Lächeln der Bundesrepublik: Jürgen Vogel ist einer der bekanntesten Schauspieler Deutschlands. Er mischt seit mehr als drei Jahrzehnten im Filmgeschäft mit, war in Dutzenden Kino- und Fernsehproduktionen zu sehen - mal als Lehrer, mal als Serienmörder. Und nun serviert er im Fernsehen eiskalte Shots. Denn Vogel ist Testimonial für den Wolfenbütteler Kräuterlikör-Hersteller Jägermeister, den viele mit ausschweifenden Partys und Festivals assoziieren. Da die in diesem Jahr coronabedingt ausfielen, will der Konzern die Party nun mit einer sogenannten Shot Machine in die Wohnzimmer der Deutschen bringen, die den Kräuterschnaps auf -18 Grad kühlt.

Dass ausgerechnet Jürgen Vogel für die Shot-Machine trommelt, ist insofern bemerkenswert, weil der 52-Jährige stets betont, kaum Alkohol zu trinken. Der stern sprach mit Vogel über die ungewöhnliche Paarung, entrümpelte Keller und die Sorgen der Kultur in Corona-Zeiten.

Herr Vogel, Sie haben den stern vor acht Jahren gesagt, dass sie höchstens alle drei Monate mal ein halbes Glas Wein trinken. Nun sind Sie in einem neuen Fernsehspot für die Firma Jägermeister zu sehen. Der Asketiker wirbt für den Alkohol - wie passt das zusammen?

Also zunächst einmal werbe ich nicht für Alkohol, sondern für eine Shot-Machine. Und das Teil kommt bei den Leuten super an, glauben Sie mir. Aber ja, ich trinke nicht oft und auch nicht viel Alkohol.

Nun ist Jägermeister der Inbegriff der Shot-Kultur. Hier steht - sagen wir es mal so - nicht bei jedem immer der Genuss im Vordergrund, sondern manchmal auch nur die pure Freude am Trinken. Meiden Sie Alkohol, weil Sie den Kontrollverlust fürchten?

Ach quatsch. Ich bin 52 Jahre alt und habe in meinem Leben in dieser Richtung definitiv genug ausprobiert. Aber mir ist einfach bewusst geworden: Je älter ich werde, desto länger kämpfe ich mit den Folgen. Habe ich zu viel getrunken, können das schonmal drei Tage sein. Das ist für jemanden wie mich, der viel arbeitet, eine Herausforderung. Insofern lasse ich automatisch davon ab, weil ich am nächsten Tag funktionieren muss. Was nicht heißt, dass ich nicht ab und zu etwas trinke.

Schauspieler Jürgen Vogel wirbt nun für eine Shot-Machine des Spirituosen-Herstellers Jägermeister
Schauspieler Jürgen Vogel wirbt nun für eine Shot-Machine des Spirituosen-Herstellers Jägermeister
© PR

Klingt sehr vernünftig.

Man hat einfach nichts von dem kurzen Spaß, wenn danach alles übel wird. Dann lieber vorher die Handbremse anziehen. Und zwischendurch viel Wasser trinken.

Alkohol und Kunst scheinen eng zusammenzuhängen. Einige Stars sind berühmter für ihre Exzesse als für ihre Filmrollen. Ist man im Showbusiness durch Galas, rote Teppiche und Partys anfälliger?

Es gibt fraglos Berufsgruppen, in denen Trinken ein bisschen legitimer ist als in anderen. Und das ist leider bei Kunst und Kultur der Fall. Ich versuche dem zu widerstehen. Vor allem in der Öffentlichkeit, wenn ich von Fotografen umgeben bin, kann ich mich nicht entspannen. Auf einer Filmparty sind ständig die Kameras auf einen gerichtet. Da kommt man sich teilweise vor wie ein Affe im Käfig.

Einige Kollegen scheint das nicht davon abzuhalten, beim Sektempfang zuzugreifen.

Wenn ich merke, dass jemand betrunken ist, den ich gut kenne, warne ich die auch eindringlich und sage: "Ist gut für heute, mach dich lieber nach Hause."

Dreharbeiten, Galas und Sektempfänge stehen nun nicht mehr auf der Tagesordnung. Im Frühjahr wurde das Land ja im wahrsten Sinne des Wortes mehrere Wochen heruntergefahren. Was haben Sie den ganzen Tag gemacht?

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© Port au Prince/Martin Rattini
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Ursprünglich wollte ich nur drei Monate frei machen, durch Corona wurden sieben daraus. Ich war ständig am Kochen und permanent am Einkaufen. Die Zwangspause habe ich aber auch für längst überfällige Hausmeisterarbeiten und zum Aufräumen genutzt.

Und haben Sie beim Entrümpeln irgendetwas gefunden, wo Sie sich dachten - um Gottes willen, warum besitze ich das überhaupt?

Nein, eigentlich nicht. Aber den Keller zu entrümpeln ist eine total undankbare Aufgabe, denn man muss ihn erst einmal komplett leerräumen, um überhaupt einen Überblick zu bekommen, was da alles herumliegt.

In deutschen Kellern lag offenbar eine Menge, Ebay Kleinanzeigen vermeldete Rekordzahlen.

Ich muss zugeben, noch nie etwas bei Ebay verkauft zu haben. Ich versuche erst einmal alles im Familien- oder Freundeskreis loszuwerden. Wenn das nicht klappt, gibt es in meinem Viertel am Berliner Mauerpark eine Steinmauer, an die man Sachen zum Verschenken stellt. Das können Klamotten sein, aber auch elektronische Geräte. Und ohne Witz, das Zeug steht da nie länger als 30 Minuten. Letztens habe ich einen Flaschenerwärmer hingestellt, der war nach 20 Minuten weg. Das finde ich ziemlich cool, denn so bleiben die Dinge in deiner Gegend.

Als Schauspieler befassen sie sich mit den Ausnahmezuständen von Menschen, schließlich müssen sie die auf der Leinwand glaubhaft darstellen. Die letzten Monate waren für alle Menschen Ausnahmesituationen. Was haben Sie beobachtet?

Die Werte der Menschen haben sich geändert. Die Leute haben darüber nachgedacht, was wirklich wichtig ist im Leben. Viele wollen erfolgreich sein, viel Geld haben, und dann merkten sie nach so einer Zeit, dass am Ende die Familie, Freunde oder auch einfach mal ein gutes Gespräch am meisten fehlten.

In einem Interview mit "Cicero" sagten Sie einmal: "Ich glaube an die Chaostheorie. Und deswegen hoffe ich, dass das passiert, worauf ich schon lange warte: Alles bricht zusammen und wird dann wieder komplett neu aufgebaut. Und letztendlich ist aus allem, was zusammengebrochen ist, etwas Positives entstanden." Wird die Gesellschaft Ihrer Meinung nach auch aus der Coronakrise stärker hervorgehen?

Die Chancen sind auf jeden Fall riesig. Manche Dinge wenden sich nur dann zum Besseren, wenn sie in Frage gestellt werden, und das werden sie nicht, solange alles einfach so vor sich hintreibt.

Es wurde also Zeit, aus dem Hamsterrad auszubrechen.

Politisch gesehen ist das eine interessante Zeit, weil man jetzt viele Dinge einfach mal anders machen könnte. Ein Beispiel: Jahrzehntelang wurden immer mehr Produktionsschritte ins Ausland verlagert, wo die Arbeitsbedingungen oft schlecht sind, damit für uns alles noch ein bisschen billiger wird. Aber sollte man das nun nicht grundsätzlich überdenken? Klar ist es schön, wenn die ganze Welt miteinander Handel treibt. Aber das muss nach bestimmten Grundsätzen funktionieren, sodass es allen Menschen auf dieser Welt gut geht und nicht nur den Privilegierten.

Sie fordern mehr gesellschaftliche Verantwortung?

Der Fokus sollte immer auf der Zukunft liegen: Was hinterlassen wir unseren Kindern, und was kann man besser machen? Einige unserer Probleme sind doch erst dadurch entstanden, dass es den Menschen woanders nicht gut geht. Einige beschweren sich, dass wir angeblich zu viele Menschen aufnehmen. Aber würde es denen besser gehen, würde doch gar keiner flüchten! Niemand hat Lust, sein Leben aufs Spiel zu setzen. Solche Dinge auszublenden ist sehr kurz gedacht.

In der Corona-Krise zeigt sich auch, dass soziale Netzwerke ein Nährboden für Verschwörungsmythen sind. In Matthias Glasners Polizeiruf "Demokratie stirbt in Finsternis" spielten sie einen Charakter, der Anhänger solcher Theorien ist. Inwieweit trifft die Rolle auch auf Sie zu?

Gar nicht. Ich bin durch und durch Optimist. Viele dieser Theorien oder Wege, die die Menschen gerade gehen, sind auf Angst gebaut. Und Angst ist kein guter Begleiter, in keiner Lebenssituation, weil sie ein Kreislauf ist, aus dem man kaum wieder herauskommt. Wer zu lange auf solche Leute hört, macht irgendwann gar nichts mehr und blickt auf alles negativ. So will ich nicht leben. Und so möchte ich auch von Politikern nicht beraten werden. Bei der AfD ist auch alles nur auf Angst aufgebaut, aber das kann nicht die Lösung sein.

Corona hat auch gezeigt, dass die Wahrnehmung über die Bedeutung von Branchen anders ist, als sich das viele vorher vorgestellt haben. Die Kulturindustrie ist zumindest in den Augen der Politik offenbar weniger systemrelevant als etwa die Automobilindustrie oder die Lufthansa. Würden Sie dem zustimmen?

Es wurde sehr deutlich, dass die Kultur einen ziemlich geringen Stellenwert bei der Politik hat, das in der Gesellschaft aber völlig anders wahrgenommen wurde. Den Menschen wurde ohne Theater, Konzerte, Kino und Lesungen schlagartig bewusst, dass ihnen etwa fehlte. Für unsere Branche ist das ultrahart: Ich habe das erste Mal in meinem Leben ein Schreiben der Arbeitsagentur bekommen, in dem mir Hartz IV angeboten wurde. Und da fragte ich mich: Wie sollen all die freischaffenden Tänzer, Kameraleute, Caterer und so weiter davon leben? Das ist ja absurd.

Nun sind Sie ein sehr erfolgreicher Schauspieler …

Aber das ist nicht immer so. Es gibt Phasen, in denen ich kein Geld verdiene, nicht einen Euro. Und selbst in den guten Zeiten zahle ich Steuer-Höchstsatz, also mehr als 50 Prozent, die Agentur muss ich auch noch bezahlen, am Ende behalte ich etwa 37 Prozent. Und damit muss ich meine Altersvorsorge stemmen. Ich mache das nun seit 36 Jahren. Ich habe mein sechstes Kind. Man kann sich also vorstellen, wie oft das auf und ab ging. Auf den Staat konnte ich dabei nie zählen, ich musste lernen, mich selbst zu versorgen.

Muss man sich wegen Corona nun Sorgen um den Schauspielnachwuchs machen?

Die Branche hat es generell sehr schwer. Hier gibt es keine Sicherheiten, man hangelt sich von Job zu Job und hat keine Ahnung, was in den nächsten drei oder vier Monaten ansteht. Das ist nicht nur bei uns Schauspielern so, sondern allen, die in der Kulturbranche arbeiten. Da haben die wenigsten unbefristete Festanstellungen. Dass diese Branche keiner von den Entscheidern so richtig auf dem Schirm hat, ist echt schwierig.

Sie sehen die Kultur als systemrelevant?

Und wie! Die kulturelle Bildung ist wichtig für die Menschen. Sie geht in vielen Aspekten über die Schulbildung hinaus. Jemand kann politisch gebildet werden, wenn er häufig ins Theater und in Museen geht. Das macht einen empfindsamer, sensibler. Ich hoffe, dass den Menschen nach dem Corona-Schock klar geworden ist, dass ohne Kultur eine Verkümmerung stattfindet. Und dass sie ein entscheidender Teil der Gesellschaft ist, den man nicht in Zahlen bewerten kann.

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