Schauspieler Jürgen Vogel: "Ich finde es tragisch, dass die Orte sterben, für die ich arbeite"

Jürgen Vogel: "Wenn die kleinen Kinos jetzt aussterben, weil sie es einfach wirtschaftlich nicht packen, ist das schlecht."
Jürgen Vogel: "Wenn die kleinen Kinos jetzt aussterben, weil sie es einfach wirtschaftlich nicht packen, ist das schlecht."
© Christoph Hardt/Geisler-Fotopres/ / Picture Alliance
Jürgen Vogel ist eine Ikone des deutschen Kinos. Doch die Branche hat es derzeit schwerer als je zuvor. Die Kinos sind Corona-bedingt halb leer, der Druck durch Netflix ist riesig. Doch er ist sicher: "Hollywood zielt immer noch weiter aufs Kino."

Abgesperrte Reihen, verschobene Filme, strenge Auflagen: Der Kinobesuch hat in Zeiten von Corona seine Unbeschwertheit verloren. Angesichts steigender Infektionszahlen zittert die Kinobranche, zumal das Geschäft nun gerade langsam wieder an Fahrt aufzunehmen schien. Nicht nur Kinobetreiber schauen betrübt in die halbleeren Säle, sondern auch Schauspieler wie Jürgen Vogel. Der 52-Jährige ist mittlerweile seit 36 Jahren im Geschäft, er war im "Tatort" zu sehen und spielte Hauptrollen in zahlreichen Kinofilmen. Zu seinen kommerziell erfolgreichsten Filmen gehören "Die Welle" und "Emil und die Detektive" Mit dem stern sprach er über die Schwierigkeit von Filmdrehs in Corona-Zeiten und warum die kleinen Kinos seiner Meinung nach um jeden Preis gerettet werden sollten.

Herr Vogel, die Kinos sind wegen Corona weitgehend leer, und das wird sich wohl auf absehbare Zeit nicht ändern. Schmerzt Sie der Anblick der halbleeren Säle?

Das ist schlimm. Mein Kino um die Ecke, das Colosseum, kämpft ums nackte Überleben. Dass diese Orte, für die ich arbeite, sterben, finde ich tragisch.

Wie könnte man sie retten?

Mit mehr finanzieller Unterstützung. Um keine Monokultur zu haben, darf man nicht nur das Erfolgreiche erhalten. Wir geben für so viel Mist Geld aus. Für Dinge, die teilweise nicht einmal zu betreten sind - man denke nur an bepflanzte Verkehrsinseln -, da sollten wir doch etwas retten, was für den Menschen wichtig ist.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Kleinere Programmkinos hatten schon vor Corona Probleme. Der Trend hat sich nur beschleunigt. Erwartet Kinos nicht einfach der gleiche Wandel wie andere Medien? Alles verlagert sich ins Netz, Disney, Netflix und Apple vermeldeten Rekordzuwächse bei ihren Streamingdiensten. Ist das Kino ein Auslaufmodell?

Das glaube ich nicht. Theateraufführungen kann man auch im Internet ansehen - aber vor Ort im Saal zu sitzen ist einfach ein anderes Erlebnis. Facebook-Freunde ersetzen auch nicht die Menschen, die du nach Feierabend triffst. Da kommt auch niemand auf die Idee zu sagen, die digitalen ersetzen die echten Freunde, weil es sowieso viel zu anstrengend sei, sich ständig in echt zu treffen. Streaming ist eine neue Möglichkeit, was nicht bedeutet, dass man das andere unbedingt abschafft.

Der Film im Kino ist jedoch genau der gleiche wie zu Hause auf dem Fernseher. Hat ein Film bei Netflix oder eine Serie bei Amazon für Sie die gleiche Strahlkraft wie ein Kinostart?

Der Film auf Netflix kann sogar besser sein als der Kinofilm, das hängt vom Film ab. Das Erlebnis mit der riesigen Leinwand kann man aber nicht nachahmen. Wenn Menschen im Saal gemeinsam lachen, hat das eine ganz eigene Stimmung. Als ich "Emil und die Detektive" gemacht habe und den Film mit Kindern im Kino gesehen habe, erlebt man etwas Magisches.

Der US-Schauspieler Tom Hanks sieht das ähnlich wie Sie. Sein letzter Film "Greyhound" kam wegen Corona nicht ins Kino, sondern startete ohne Umwege per Stream bei Apple TV+. In einem Interview sagte er, das sei zwar besser als nichts, aber es breche ihm das Herz, dass der Film nie auf der Leinwand zu sehen war.

Das kann ich nachvollziehen. Wenn ein Film fertig ist und die Produktionsfirma muss die Ausgaben refinanzieren, dann ist der Druck wahnsinnig groß. Und wenn die Abspielfläche fehlt ist das ein Riesen-Problem und kann das Überleben einer Produktionsfirma kosten. Insofern ist das tatsächlich besser als nichts. Aber Streaming-Exklusivität ist nicht die Lösung. Hollywood zielt immer noch weiter aufs Kino. Serien spielen mittlerweile auch eine große Rolle, definitiv. Womöglich werden sich beide Welten in Zukunft sogar ergänzen. Wer weiß, vielleicht werden wir ja in Zukunft ganze Staffeln im Kino schauen, weil wir das Erlebnis geil finden.

Es lohnt sich also, für das Kino zu kämpfen.

Zumindest sollte Chancengleichheit herrschen. Wenn die kleinen Kinos jetzt aussterben, weil sie es einfach wirtschaftlich nicht packen, ist das schlecht. Wenn sich jedoch in 20 Jahren herausstellt, dass die Menschen es einfach nicht mehr so wichtig empfanden, ins Kino zu gehen, kann ich das nicht aufhalten. Es gab viele Dinge im Leben, die ganz geil waren, aber irgendwann aufgehört haben. Jetzt sind die Umstände aber anders. Nun lautet die Frage, was retten wir - und was nicht? Da muss es gerechter zugehen und man darf das große Ganze nicht aus dem Blick verlieren.

Damit in den Kinos nicht mehr alte Kamellen laufen, lässt sich die Filmbranche einiges einfallen. Wie läuft so ein Dreh in Corona-Zeiten ab?

Es gibt sehr strikte Auflagen. Schauspieler und das gesamte Team werden etwa einmal die Woche getestet, ebenso die Menschen, die mit uns zusammen sind. Das sind wahnsinnige Mehrkosten für die Produzenten, denn die Tests sind sehr teuer. Ansonsten sind die Crews gut es geht voneinander separiert. Das Catering läuft auch anders ab als früher, alles ist jetzt einzeln verpackt. Während eines Drehs dürfen wir nur noch sehr wenige Menschen treffen. Die Halb-Quarantäne wird der Normalzustand. Aber so können wir wenigstens arbeiten.

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