Interview mit Sandra Maischberger "Wie viel Riefenstahl steckt in mir?"

Leni Riefenstahl und der Führer
Er ist wieder da: Leni Riefenstahl bekommt 1937 Besuch von Adolf Hitler
© Bayerische Staatsbibliothek/Bildarchiv
Sandra Maischberger hat eine Doku über die Lieblingsregisseurin von Hitler produziert: Leni Riefenstahl. Sie erschrak, wie aktuell deren Filme heute wirken.

Frau Maischberger, bei der Premiere von „Riefenstahl“ gab es viel Lob, aber auch Kritik. Der Film biete wenig Neues und sei journalistisch nicht so eindeutig, wie es sich manche gewünscht haben.

Ich finde, er bietet viel Neues und ist sehr eindeutig. Aber er ist ein Kunstwerk, nicht eine klassische Dokumentation. Nicht alles, was wir über Leni Riefenstahl herausgefunden haben, ist am Ende im Film gelandet.

Was denn?

Etwa ein Brief, den sie an ihren Geliebten geschrieben hat in den 1950er-Jahren und in dem sinngemäß steht: „Ich kann nicht mehr arbeiten – meine Ideale sind gemordet.“ Oder die Tatsache, dass sie und ihr Mann noch lange Kontakt gehalten haben zu beinharten Holocaustleugnern. Aber so wäre unser Film zu didaktisch geworden. Die harten Fakten sind meist Schriftstücke. Uns war bald klar, dass wir nicht alles reinpacken können, das Filmische hätte zu sehr gelitten. Mir geht es bei diesem Film auch nicht um Lob. Jemand, der wie ich eine Talkshow leitet, wird ohnehin viel kritisiert. Mein einziges Kriterium ist: Beunruhigt der Film die Menschen? Löst er eine Debatte aus?

Für eine Journalistin muss solch ein Verzicht frustrierend gewesen sein.

Als Journalistin weiß ich, dass die Wahrheit viele Facetten hat. So eindeutig ist es im Fall Riefenstahl eben nicht. Das Interessante an ihrer Persönlichkeit ist das, was auf leisen Sohlen daherkommt. Also nicht Erkenntnisse, für die man sie verhaften und verurteilen könnte, sondern das Menschliche dahinter. Der Film ist das Psychogramm einer Person und ihrer Zeit. Wie gehen die Deutschen um mit der eigenen Vergangenheit? Ich will, dass die Menschen aus dem Kino kommen und sich fragen: Wie viel Riefenstahl steckt eigentlich in mir? Würde ich mich von der Macht verführen lassen, die gerade regiert? Wäre ich diesen faschistischen Idealen, diesem Gedankengut verfallen?

Diese Gefahr fühlt sich gerade sehr aktuell an.

Gefährlich ist nicht allein die Existenz radikaler und rechtsextremer Elemente. Gefährlich wird es erst, wenn die Masse das toleriert oder sogar gut findet. Das sehen wir in Deutschland, aber auch in Österreich, Ungarn, Italien. Und dann schauen Sie auf die Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking von 2008 oder die Militärparaden von Putin – das wirkt wie von Riefenstahl inszeniert. Das Merkmal ist die organisierte Masse, wie beim Parteitag der NSDAP in Nürnberg. Das Individuum zählt nicht. Riefenstahl war keine Intellektuelle, kein politischer Kopf, aber sie war ein ideologischer Mensch. Ihre Nähe zum faschistischen Gedankengut wurde auch geprägt durch Gewalterfahrungen in ihrer Kindheit. Dazu dieser absolute Kultglaube an die eigene Kraft: Du musst durchhalten, du darfst keine Schwäche zeigen! Das war ihre Einstiegsdroge in den Faschismus.

Wie verführbar sind Sie selbst?

Ich werde zumindest nervös in der heutigen Instagram-Welt, die sich permanent selbst bespiegelt. Genau das hat Riefenstahl auch immer gemacht und ihr Image ständig optimiert. Wer sich zu sehr selbst spiegelt, verliert irgendwann die Empathie für seine Umwelt.

Als TV-Moderatorin sollten Sie den Druck kennen, permanent aufs Aussehen achten zu müssen.

Ich habe im Radio angefangen, wo man nicht gesehen wird. Im Fern-sehen versuche ich, anständig aus-zusehen. Aber nicht übertrieben äußerlich, mit auffälligen Farben auf den Fingernägeln oder angeklebten Wimpern. Von meiner Mutter habe ich vermutlich die Haltung, dass das Überbetonen von Äußerlichkeiten ein Zeichen von Unsicherheit ist. Aber ich beobachte, wie die Zeiten sich ändern. Vor einiger Zeit war ich im Louvre. Früher hat man die Mona Lisa fotografiert. Heute fotografiert man sich mit der Mona Lisa. Das Kunstwerk rückt in den Hintergrund.

Das Phänomen der Selfies gibt es noch nicht so lange.

Aber es wird immer schlimmer. Würde Riefenstahl heute noch leben, wäre sie der Social-Media-Star schlechthin. Sie hat nie etwas anderes getan, als sich zu inszenieren. Ich halte mich dennoch für immun gegen die Versuchungen des Faschismus. Ich mag Massenansammlungen nicht, ich mag keinen Nationalismus. Als 2006 die deutsche Fahne rausgeholt wurde anlässlich des Sommermärchens, dachte ich: Vielleicht ist für uns ein entspannter Patriotismus möglich. Inzwischen bezweifle ich, ob es überhaupt eine unschuldige Form von Nationalstolz geben kann.

Journalistin, TV-Moderatorin und Produzentin: Sandra Maischberger, 58
Journalistin, TV-Moderatorin und Produzentin: Sandra Maischberger, 58
© Ralf Rottmann/ FUNKE Foto Services

Manchmal hat man sogar Verständnis für Riefenstahl. Warum hätte sie gegen Hitler aufbegehren sollen, während 90 Prozent der Bevölkerung ihm zujubelten?

Genau darin liegt das Problem. Richard von Weizsäcker hat gesagt: Wer Ohren und Augen aufmachte, dem konnte nicht entgehen, dass die Deportationszüge rollten. Riefenstahl sagte, sie habe früh „Mein Kampf“ gelesen. Danach sei sie eine überzeugte Nationalsozialistin gewesen. Sie wusste also, was Hitler plante. Trotzdem hat sie diese Ideologie, die sich als tödlich herausgestellt hat, mit voller Kraft unterstützt.

Angeblich hat sie den Judenmord hautnah miterlebt.

Das war 1939 bei Kriegsanfang. Wir wissen nicht, ob es sich genau so zugetragen hat, aber es erscheint sehr plausibel. Sie war in Końskie in Polen, wo sie die Erfolge der Wehrmacht dokumentieren sollte. Nach einer Schilderung, die wir im Nachlass gefunden haben, hat sie beim Dreh auf dem Marktplatz gerufen: „Die Juden müssen aus dem Bild.“ Kurz darauf fielen Schüsse. Es gibt auch diesen Brief an sie von Julius Streicher, dem Gründer des Hetzblatts „Der Stürmer“. Sie müsse unbedingt bei Hitler intervenieren, die Vergasungen stoppen. Sie seien eine Sünde gegen Gott. Riefenstahl erwähnt das in den handschriftlichen Notizen für ihre Memoiren. An den Rand hat sie geschrieben: „Diese Passage ist mir unangenehm, noch einmal mit dem Verleger absprechen.“ Später wurde sie gestrichen.

Können Sie Riefenstahl-Filme noch mit Genuss anschauen?

Nicht wirklich. Nicht einmal ihren „Olympia“-Film. Weil ich inzwischen die Dunkelheit dahinter sehe. Ich kann auch nicht mehr unschuldig sagen: Sie war eine großartige Regisseurin. Ihr großes Verdienst war, dass sie die besten Kameraleute engagiert hat und eine Meisterin war in der Komposition der Bilder, im Editieren. Insofern hat sie eine künstlerische Strahlkraft. Aber ich kann diese Demonstration von Machtstärke nicht mehr mit fröhlicher Unbedarftheit anschauen.

Sie haben den Film auch deshalb gemacht, weil Ihr 17-jähriger Sohn den Namen Riefenstahl nicht mehr kenne. Wäre das so übel?

Ist es gut, wenn die junge Generation nicht mehr weiß, wer Riefenstahl war? Ihre Ästhetik ist weiterhin präsent. Riefenstahl ist der Prototyp für vieles, was heute gegenwärtig ist, die Blaupause filmischer Propaganda. Die Jugend sieht ihre Bilder im Rammstein-Video und kennt die Zusammenhänge nicht mehr. Ich möchte gern die Ursünde aufdecken und einen Bezug zur Gegenwart herstellen.

Ihr Film legt nahe, dass Riefenstahl von Goebbels vergewaltigt wurde.

Er hat wohl zumindest versucht, sie mit Gewalt zu nehmen. Goebbels hatte eine lange, unrühmliche Reihe an sexuellen Übergriffen. Zitat Riefenstahl: „Abenteuerliche Sachen habe ich da erlebt mit dem Goebbels.“

Der Name Maischberger steht auf dem Filmplakat. Wie viel Zeit haben Sie investiert, den Nachlass zu sichten und auszuwerten?

Bei bestimmten Dingen habe ich viel gelesen, bei anderen weniger, weil es eine Mammutaufgabe war. Wir hatten ein fantastisches Team, professionelle Archivarinnen, um zusammen mit Wissenschaftlern der Stiftung Preußischer Kulturbesitz die insgesamt 700 Kisten durchzugehen. Für mich waren die Kalendereinträge das Interessanteste, weil Riefenstahl sie wie ein Tagebuch geführt hat. Darin stehen viele Details: wann sie ihre Periode bekommen hat, wann sie welche Medikamente nimmt. Wann sie Hitler das letzte Mal gesehen hat und wann ihr Mann sie angegriffen hat.

Im Film verwenden Sie Material aus einem alten Interview, bei dem weiter gefilmt wurde, obwohl Riefenstahl das untersagt hatte. Hat man da nicht Bauchschmerzen?

Nicht, wenn man es mit einer notorischen Lügnerin zu tun hat. Das würde auch gelten im Falle von Donald Trump. Den einen wahrhaftigen Moment bei eingeschalteter Kamera, den würde ich sofort veröffentlichen. Weil er eine relevante Person der Zeitgeschichte ist. Genauso verhält es sich mit Riefenstahl. Mein ethischer Reflex hat sich bei einer anderen Frage gemeldet: Verwenden wir private Aufnahmen von Riefenstahl auf dem Totenbett?

Wieso haben Sie damit Probleme?

Sie wird buchstäblich beim Aus-hauchen ihres letzten Atems gefilmt, sehr starkes Material. Aber nimmt man dem Menschen damit nicht die letzte Würde? Ich war mehr dafür als Regisseur Andres Veiel. Weil in diesen Bildern eine Botschaft steckt: Sie hat sich bewusst auch in den Momenten filmen lassen, in denen sie schwach war. Sie wollte bis zum Schluss ihre Stärke demonstrieren und ihr Image kontrollieren. Sie hat ihr Gesicht chirurgisch behandeln lassen. Der Tod war für sie eine Krankheit, die sich überwinden lässt.

Bekam sie im Alter keine Gedächtnisprobleme?

Nein, bis zum Ende war sie hellwach, obwohl sie physisch ziemlich zerstört war. Es gab auch einen Hubschrauberabsturz in Afrika, während der Dreharbeiten über den Stamm der Nuba im Sudan. Der Regisseur dachte damals, die 97-Jährige könne das unmöglich überlebt haben, schaute erst am Schluss nach ihr und stellte fest: Sie lebt. Das Erste, was sie ihn fragte: „Haben Sie das auf Film?“

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