Die Normalität kommt zurück. Der Ausnahmezustand ist überstanden. Tagelang haben uns drei Plagen heimgesucht: die Natur in Form des speienden isländischen Vulkans Eyjafjallajökull, die Computersimulationen, errechnet vom Rheinischen Institut für Umweltforschung, und die Brennpunkteritis, im Sender mit dem Zyklopengruß, auch "ZDF spezial" genannt, hergestellt vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen.
Die dritte Plage hat uns die ersten beiden nahegebracht: zunächst die Natur. Alle Bilder vom Vulkan waren schön und erhaben. Die Reporter hielten Abstand, als hätten sie Ehrfurcht. Sie wirkten klein angesichts der Naturgewalt im Hintergrund. Egal, was sie sagten, so unterstrichen die Reporter vor Ort nur, weswegen auch wir zu Hause die Vulkanbilder als großartig empfinden: Die Kräfte der Natur übersteigen unser Maß. Wir werden uns bewusst, wie klein wir Menschen sind auf diesem Planeten, wie ausgeliefert und endlich. Kombinieren wir dieses Unbehagen mit unserer heimischen Geborgenheit, dann entsteht Kitsch. Die Vulkanbilder auf dem Bildschirm sind so schön wie eine Fototapete vom Sonnenuntergang. Wir sind zum Zuschauen verdammt. Uns bleibt nur, daraus einen Genuss zu machen.
Zum Zuschauen verdammt
Erst recht ergeht es uns so bei den permanent gezeigten Computersimulationen. Maschinen errechnen, wie und wo genau die Aschewolke über Europa nun zu sein hat oder morgen sein wird. Aber ist sie da auch wirklich? Wir können nichts anderes tun, als den Rechnereien zu glauben. Spontan aber regt sich ein ontologisch-materialistischer Widerstand wie damals beim ungläubigen Thomas. Wie kann etwas da sein, das wir nicht sehen, riechen, schmecken, fühlen können? Der Himmel ist blau, die Sonne scheint. Es ist still, weil keine Flugzeuge fliegen. Was, wenn die Rechenmaschinen nur etwas behaupten und uns an der Nase herumführen? Wir müssen dahin: wahrnehmen, erfahren, messen. "Die Aschewolke wird halt um das Hochdruckgebiet herum praktisch im Kreis transportiert", sagt der Mann vom Rheinischen Institut für Umweltforschung und zeigt auf seinen Flachbildschirm.
"Wir sind mitten durch die Wolke und haben nichts gesehen", sagt der Pilot, der ein Flugzeug ohne Passagiere im "Sichtflug" gesteuert hat. Sofort gehen uns solche Fachvokabeln sicher von der Zunge. Wir sind umringt von Experten, die - wie immer - Gegenteiliges sagen. Ein Widerspruch ist dabei so offenkundig, dass er jedermann aufgeht: Entweder schaden die Aschepartikel einem Flugzeug oder nicht - aber sicher schaden sie einem Flugzeug, das "auf Sicht" geflogen wird nicht weniger als einem, das von Instrumenten geführt wird. Nicht die Realität ist dann anders, sondern nur die Verantwortung für das Handeln verschoben.
Weil die Lage in der Natur und deren Berechnung am Computer so widersprüchlich ist, hoffen wir auf unseresgleichen. Ein Mensch soll uns die Sache erklären. Da kommen die Medien ins Spiel, vulgo: die Brennpunkteritis. Zunächst war diese Plage nur permanenter Begleiter des widersprüchlichen Hin und Her von Natur und Computer. Nicht zufällig war der ARD-Brennpunkt am Montag dieser Woche der längste. Als Dreiviertelstunde der Wahrheit konnte er sich darbieten. Denn es war gemessen worden. Ein Flugzeug, vollgepackt mit Instrumenten, war aufgestiegen. Ein Pilot hatte die Asche tatsächlich gesehen, über Leipzig sogar in zwei Schichten übereinander. Aber wieder führt jede Erkenntnis auch weitere Fragen mit sich: Wie klein sind die Partikel? Sind sie nicht doch scharfkantig? Warum gibt es keine verbindlichen Grenzwerte? Haben die Computer womöglich den "Verdünnungseffekt" falsch kalkuliert?
Auch wenn diese Sendung ausnahmsweise nicht aus Frankfurt/ M. kam, auch wenn in den Mainzer "Spezial"-Sendungen ZDF Moderator Norbert Lehmann noch jeder kleinen Information reißerische Brisanz abzutrotzen trachtete, war ein anderer der Star der "Brennpunkteritis": Alois Theisen. Normalerweise ist er Chefredakteur des Hessischen Rundfunks und hat vor allem die Aufgabe, sich in "Tagesthemen-Kommentaren" schützend vor seinen Ministerpräsidenten Roland Koch zu werfen. Selbst wenn er neuerdings eine schicke Krawatte umgebunden hat, sieht er immer noch aus, als habe sich der Hausmeister ins Studio verirrt. Immer schaut er zunächst in die falsche Kamera und ruckelt dann mit dem ganzen Körper nach, um sich neu zu justieren. Das letzte Wort in seinen Moderationstexten hebt er stets laut und auffällig hervor, damit die Helfer in der Regie auch merken, dass jetzt der nächste Film gestartet werden muss. Er soll uns die Welt erklären, aber kann auch nur staunen. Oft hat er gar nicht mehr zu sagen als auch schon in der "Tagesschau" gesagt wurde. Dann wird halt nochmal zum Flughafen geschaltet. Er ist wie wir: etwas hilflos, aber er versucht, das Beste draus zu machen.
Um Himmels Willen
So transportiert er ideal das Paradox der Aufklärung: Gerade im Zweifel siegt am Ende die Autorität. Wenn wir nichts sicher wissen, sind wir lieber besonders vorsichtig. Zum Highlight aller Brennpunkteritis wurde so der zornige Schlagabtausch zwischen dem zuständigen Minister, dem CSU-Schönling "Ramses" Ramsauer und einem alerten Unternehmenssprecher der Lufthansa. Alois Theisen hätte dieses Streitgespräch moderieren sollen, aber er schaute lieber nur zu. Der Lufthansa-Manager war souveräner, gelassener, eloquenter als der Minister. Aber er vertrat ein für jeden Zuschauer erkennbares Interesse: So schnell wie möglich wollte die Fluggesellschaft wieder fliegen. Ramsauer redete und redete, unpräzise und verworren, aber er machte deutlich, dass er sich Lobbyisten nicht beugen werde. Darum hat er gewonnen. Wenn alle unsicher sind, muss der Staat nur beweisen, dass er eine unabhängige Autorität ist. Schon gewinnt er Vertrauen.
Ähnlich ist es mit dem Fernsehen. Wenn wir nichts wissen, aber etwas wissen wollen, was uns alle interessiert, schauen wir sogar dem Hausmeister zu. Neuerdings ist das immer der Fall, wenn die Natur ihre dekorative Funktion verlässt, Schnee, Sand oder Asche in das Getriebe unseres Alltags streut - dann ist sie sofort Thema größter medialer Erregung. Darum haben alle "Brennpunkte" und "ZDF spezial"-Sendungen zum Wetter so gute Einschaltquoten. Nach "Schneechaos" und "Vulkanasche" dürfen wir uns sicher bald auf viele "Brennpunkte" à la "Hilfe, Hitzefrei - der Jahrhundertsommer" freuen.
Am Dienstag war der Spuk dann erstmal vorbei. Seit Tagen gab es in der ARD um 20:15 Uhr wieder die reguläre Sendung - ihr programmatischer Name: "Um Himmels Willen".