Der Film sollte eine Hommage werden. Die Verbeugung vor einem, der Dokumentarfilme zu Blockbustern machte. Die Nahaufnahme eines Arbeitersohns, der mit "Bowling for Columbine" den Oscar gewann, mit "Fahrenheit 911" mehr als 220 Millionen Dollar einspielte und den Weg ebnete für weitere Doku-Erfolge wie "Darwins Albtraum" und "Eine unbequeme Wahrheit". Vor allem aber sollte "Manufacturing Dissent" die Ikone der Linken einfangen, den US-Chefankläger von George W. Bush, der den Mut hatte, während der Oscar-Verleihung 2003 von der Bühne zu rufen: "Schande über Sie, Mr Bush." So hatten es Debbie Melnyk und Rick Caine geplant - zwei unbekannte Dokumentarfilmer aus Toronto, zwei selbst erklärte Linke, zwei Fans.
Das war vor drei Jahren. Heute sitzen sie in ihrem Holzhaus in Torontos East Side auf ihrem geblümten Sofa und sagen Sätze wie: "Wir haben uns sehr getäuscht." "Er ist ein Heuchler." "Er agiert nicht anders als George W. Bush." "Es ist ein offenes Geheimnis in der Filmwelt, dass Michael Moore kein guter Mensch ist." Eine Menge ist passiert in den zweieinhalb Jahren ihrer Recherche, und wenn sie es benennen sollen, wissen sie nicht, wo anfangen. Moore manipuliere die Massen, bestätigten ihnen Wegbegleiter. Moore lüge. Er bedränge Assistenten, für ihn zu lügen. Er behandele Mitarbeiter wie Dreck.
Der Film "Manufacturing Dissent" ist ein Stoß ins Herz aller Moore-Fans. Nach der Premiere in Austin, Texas, verließen seine Anhänger ernüchtert den Kinosaal. Sie sahen Szenen, die ihnen den Atem raubten: Moore, der Nachrichtenmeldungen erfand. Moore, den selbst seine Freunde paranoid und egomanisch nennen. Studenten, die auf gefälschte Moderationen stießen. Melnyk und Caine werfen Moore vor allem vor, dass er in seinen Filmen alles weglässt, was seinen Thesen widerspricht. So zeigt Moore Präsident Bush in "Fahrenheit 911" als prahlenden Schwadroneur vor einer Versammlung reicher Republikaner, verschweigt jedoch, dass dies ein eindeutig satirischer Auftritt war. In "Bowling for Columbine" betritt Moore spontan eine Bank, um im Ausgleich für eine Kontoeröffnung eine Waffe zu erhalten, verschweigt aber, dass die ganze Szene vorher mit den Bankangestellten einstudiert wurde. Michael Moore hat sein Weltbild und ordnete ihm die Fakten unter. Er bedient all das, was Europäer schon immer über Amerikaner zu glauben wussten: Amerikaner sind kapitalistische Ausbeuter ("Roger & Me"), schießwütige Cowboys ("Bowling for Columbine"), lügende Kriegstreiber ("Fahrenheit 911"). Er schuf einen Abglanz von Amerika, wie es stalinistische Chefdemagogen nicht besser hätten machen können, und wurde mit der Masche zum Multimillionär. Nun fahren ihm zwei enttäuschte Fans in die Parade und demontieren den großen Moore - kurz vor der feierlichen Premiere seines neuen Films "Sicko".
Die Deutschen werden enttäuscht sein.
Debbie Melnyk: Warum?
Ihr Film demaskiert einen Mann, dem viele Deutsche zu Füßen liegen.
Melnyk: Wir hoffen, dass sie weiter hinter seinen politischen Botschaften stehen. Aber seine Methoden sollten sie hinterfragen. Er verführt die Menschen. Er manipuliert Fakten.
Wie kommen Sie darauf?
Melnyk: Ganz klar wurde es, als wir mit Jim Musselman sprachen, der mit Michael Moore an seinem ersten Doku-Erfolg "Roger & Me" arbeitete. Der Film erzählt von Moores vergeblichen Versuchen, den Vorstandsvorsitzenden von General Motors, Roger Smith, vor die Kamera zu bringen. Dabei hatte Moore ihn sehr wohl interviewt. Musselman konnte das beweisen. Moore hat sein Publikum einfach belogen.
So bekam Ihr Film über Moore also eine ganz neue Wendung.
Caine: Wir überlegten schon aufzuhören.
Warum?
Melnyk: Wir sind selber Linke und wollten der Rechten nicht noch all die Munition liefern, um Moore zu diskreditieren.
Caine: Aber wenn du solch einen Stoff angehst, hast du eben nur eine gewisse Kontrolle über das Ergebnis. Wir wurden einfach mit einer solch harschen Realität konfrontiert, dass wir sagten: Dokumentarfilme müssen Lügen aufdecken und dürfen sie nicht verbergen.
Aber Dokumentarfilme sind oft einseitig. Auch Ihr eigener. Moore kommt sehr schlecht weg.
Melnyk: Wir haben versucht, fair zu bleiben.
Er füllt Stadien, er ist Bestsellerautor, der britische "Mirror" nennt ihn "the greatest living American".
Melnyk: Wir haben ja auch Positives aufgenommen, aber es gab so ungeheuer viele Leute, die ihn und seine Methoden auseinandernahmen. Wir konnten gar nicht alles zeigen. Sonst hätte der Film eine Länge von fast vier Stunden bekommen.
Wer also ist Michael Moore?
Melnyk: Ein Heuchler. Er sagt das eine und macht das andere. Er klagt Bushs Methoden an, seine Panikmache, und wendet sie selber an. Er stellte sich vor Studenten und rief: Wenn ihr Bush wählt, führt er die Wehrpflicht wieder ein - was völlig abwegig war -, dann müsst ihr alle in den Krieg. Einer seiner besten Freunde sagte zu uns: Michael hat einen fanatischen, zwanghaften Drang, immer im Recht zu sein.
Caine: Es hat schon was Pathologisches. Der Filmkritiker David Gilmour sagt an einer Stelle unseres Films zu Moore: Dein Film ist nicht gut. Moore kann mit Kritik nicht umgehen. Also macht er aus dem Gespräch einen Klassenkampf: Du, der reiche Intellektuelle, attackierst mich, den armen Arbeitersohn. Das macht er gern.
Dabei ist er inzwischen alles andere als arm.
Melnyk: Er hat jetzt ein Haus in Michigan, wo er ausgerechnet unter all den Firmenbossen und Klassenfeinden lebt, die er in seinen Filmen anklagt.
Zum Schluss gibt es eine verstörende Szene:. Moore lässt Sie bei einer Veranstaltung rausschmeißen. Es kommt zu einer Art Ringkampf.
Melnyk: Moores Schwester ging mit ein paar Security-Männern auf uns los. Das ist die Ironie an der ganzen Geschichte: Er setzt sich für Meinungsfreiheit ein, duldet sie aber nicht in seinem Umfeld.
Caine: Er beschäftigt Ex-Soldaten als Bodyguards, Typen einer paramilitärischen Spezialeinheit. Die tragen Waffen und räumen die Presse aus dem Weg.
Sie haben Moore mit all dem konfrontiert?
Melnyk: Wir haben drei Jahre um ein Interview gebeten. Es wurde uns mehrere Male versprochen, aber immer abgesagt.
So wie es Moore in seinen Filmen selbst ergeht.
Caine: Ja, er ist jetzt Boss eines Imperiums und macht es genauso wie Roger Smith. Er zeigt sich in seinen Filmen als lustig und umgänglich, das ist sein Image, und dann gibt es diese andere Person - und zwischen beiden liegen Welten.
Haben Sie schon Hass-Mails erhalten?
Caine: Ja, einige, und eine Todesdrohung, aber ich nehme die nicht ernst. Und dann kommen von rechten Spinnern die ersten Aufforderungen: Entlarvt als Nächstes bitte den Film "Eine unbequeme Wahrheit" von Al Gore. Verrückt, so was.
Moore sagt an einer Stelle in Ihrem Film: "Ich mag keine Dokumentarfilme."
Caine: Wir mögen sie noch immer.
"Manufacturing Dissent" feiert seine Deutschland-Premiere am 5. Mai auf dem Internationalen Dokumentarfilmfestival München.