New Yorker Geschichten Die "Reissäcke" vom Broadway

Hat es ein Schauspieler erst bis nach Hollywood geschafft, betritt er für gewöhnlich nie wieder eine Theaterbühne. Warum auch? Frances McDormand, Peter Gallagher und Morgan Freeman hatten ihre Gründe und sind derzeit am Broadway in "Ein Mädchen vom Lande" zu sehen. Wie man ein fades Stück mit brillanten Hollywood-Stars pimpen kann.

Das Theater-Publikum am Broadway verhält sich normalerweise so: Ist ein Stück zu Ende, wird drei Sekunden geklatscht, dann springen alle auf und gehen; die Schauspieler haben sich kaum verbeugt, da ist der Saal bereits halb leer. Das ist gar nicht böse gemeint, das ist einfach so, immer. Vielleicht liegt es an New York, an Manhattan, wo die Menschen ja andauernd in Eile sind und ständig denken, sie könnten irgendwo etwas verpassen; so ein schneller Applaus kostet in ihren Augen schon verdammt viel Zeit.

An diesem Abend im "Bernard B. Jacobs Theatre", 242 West 45th Street, ist das anders, ausnahmsweise. Um kurz nach zehn, die Vorführung ist gerade vorbei, klatschen die Zuschauer drei Sekunden, dann erheben sie sich von ihren Plätzen und klatschen weiter. Zehn Sekunden, zwanzig, dreißig. Denn auf der Bühne verneigen sich: Morgan Freeman, Frances McDormand und Peter Gallagher, drei Schauspiel-Großmeister aus Hollywood - da bleiben die New Yorker dann doch einmal für einen Moment stehen.

Freeman, McDormand und Gallagher geben hier "The Country Girl", "Ein Mädchen vom Lande", jenes Stück von Clifford Odets, das 1954 mit Bing Crosby, Grace Kelly und William Holden verfilmt wurde; Grace Kelly erhielt dafür einen Oscar. Oscar-Preisträger sind auch Morgan Freeman und Frances McDormand: Er bekam seinen für seine Rolle als Ex-Boxer Eddie Dupris in "Million Dollar Baby", sie bekam ihren für ihre Rolle als schwangere Polizistin Marge in "Fargo". Und Freeman, der am 1. Juni seinen 71. Geburtstag feierte, beten sie an diesem Abend geradezu an, vielleicht, weil er so ist, wie New York nie sein wird: sehr ruhig, sehr gelassen. Er bekommt schon einen Sonder-Applaus, als er erstmals die Bühne betritt, da ist das Stück zwei Minuten im Gange.

Hollywoods bester Nebendarsteller

Freeman ist eine große Erscheinung, nicht nur, weil er mit seinen 1,89 Metern seine Kollegen um einen Kopf überragt, mindestens. Für ihn schließt sich ein Kreis: In den Sechziger Jahren debütierte er am Broadway, in dem Musical "Hello, Dolly!", 1988 war er hier zuletzt zu sehen, ebenfalls in einem Musical: "The Gospel at Colonus". Seither zog es ihn nicht wirklich zurück: "Ich habe mich ewig auf New Yorker Bühnen abgearbeitet und auf meine Berufung als Film-Schauspieler gewartet", sagt er. "Und sollte ich danach wieder einen Schritt zurück machen? Ich fand: nein."

Warum auch? Freeman trat schon mit acht Jahren im Schultheater auf und träumte fortan vom Film. Aus ihm wurde der vielleicht beste Nebendarsteller, den Hollywood je hatte. Stets war Freeman der herausragende "sidekick": von Jessica Tandy in "Miss Daisy und ihr Chauffeur", von Tim Robbins in "Die Verurteilten", von Dustin Hoffman in "Outbreak". Freeman wurde immer besser, je älter er wurde, und längst ist er in Würde ergraut, was im Film-Geschäft ja nicht jedem gelingt. Immer wieder wurde er für einen Oscar nominiert, 2005 bekam er ihn endlich für seinen Part an der Seite von Clint Eastwood in dessen "Million Dollar Baby".

"The Country Girl" selber haut einen nicht um, Morgan Freeman schon

Filme zu drehen, sagt Freeman, sei so viel einfacher als Theater zu spielen: "Du arbeitest ein bisschen, verdienst viel Geld und bewegst dich doch mit jedem Film weiter." Dass er nun doch wieder am Broadway auftritt, dafür gibt es einen Grund: "Mike", sagt Freeman. Mike Nichols, Regisseur von Filmen wie "Wer hat Angst vor Virginia Wolf?", "Die Reifeprüfung" (für den er 1967 einen Oscar erhielt), "Die Waffen der Frauen" oder zuletzt "Der Krieg des Charlie Wilson", hat "The Country Girl" inszeniert. "Mike hat mir diese Rolle vor ein paar Jahren schon einmal angeboten, doch ich wollte nicht. Mit den fantastischen Darstellern aber, die er mir nun an die Seite gestellt hat, hat er mich 'rumgekriegt: Wer kann bei dem Gedanken schon nein sagen, mit Frances McDormand und Peter Gallagher auf die Bühne zu gehen?"

Bis zum 20. Juli noch mimt Freeman in "The Country Girl" den alternden Broadway-Star Frank Elgin, einen unsicheren Typen, der seine Karriere durch Alkohol zerstört hat und nun eine letzte Chance bekommt: Erfolgsregisseur Bernie Dodd, (Peter Gallagher, bekannt aus Filmen wie "Sex, Lügen und Video" oder "American Beauty") bietet ihm eine Rolle an. Franks Gattin Georgie (Frances McDormand), die sein Mädchen vom Lande ist und ihn zu Beginn verlassen will, glaubt nicht daran, dass ihr Mann noch einmal auf die Theater-Füße kommt. Aber sie bleibt bei ihm und unterstützt ihn, so gut sie kann. Bernie verliebt sich in Georgie, die aushalten muss, dass Frank ob des Drucks wieder trinkt. Am Ende erlebt Frank sein Comeback und Georgie muss sich zwischen den beiden Männern entscheiden.

Mike Nichols Inszenierung ist recht unspektakulär. Das Stück stammt aus den Fünfziger Jahren, und so kommt es auch rüber: Licht, Kulisse, Kostüme, Dialoge - alles wirkt ziemlich verstaubt, es geschieht nichts Unvorhersehbares. "The Country Girl" selber haut einen nicht um, Morgan Freeman schon: Er ist ein leiser Schauspieler und doch sehr präsent. Anders als der Charakter, den er darstellt, ist er ganz bei sich und damit ganz in seiner Rolle. Er nuschelt ein wenig, aber seine Stimme hat etwas angenehm Beruhigendes. Die Kunst ist, ihn mit zwei herausragenden sidekicks auf die Bühne zu bringen, mit Frances McDormand und Peter Gallagher. Diese drei könnten vermutlich auch 90 Minuten lang chinesische Reissäcke darstellen - und am Ende würde hier geklatscht. Mehr als drei Sekunden.

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