Eine Oscar-Verleihung ohne Überraschung wäre wie ein James-Bond-Film ohne Girl. Und so lief auch die inzwischen 97. Verleihung der Academy Awards auf ein Finale hinaus, das viele Experten nicht so erwartet hätten. Insgesamt fünf Goldmänner, darunter in den Königskategorien Bester Film und Beste Regie, gingen an "Anora". Der kleine, unabhängig produzierte Arthouse-Film mit vorher unbekannten Darstellern konnte zwar bereits in Cannes die Goldene Palme gewinnen. Dass ein Sozialdrama, dem man sicher seinen etwas zu klischeehaften Umgang mit einem russischen Oligarchen und seinem wohlstandsverwahrlosten Sohn vorwerfen könnte, aber auch in Hollywood so gut ankommt, fühlt sich nach einer langen Nacht trotzdem fast an wie ein seltsamer Traum.
Auch weil die Titelheldin, die gerade mal 25-jährige Mikey Madison, am Ende die Favoritin Demi Moore verblüffte – und den Preis gewann als Beste Hauptdarstellerin. Madison spielt ihre Sexarbeiterin, die sich lieber als "exotische Tänzerin" bezeichnet, zwar mit ähnlich viel Körpereinsatz und Nacktheit wie Moore im Body-Horror "The Substance", verglichen mit der Lebensleistung der Ikone wirkt ihre Performance dennoch, nun, ausbaufähig. "Ich bin zwar in Los Angeles aufgewachsen, Hollywood war aber immer sehr weit weg", sagte sie treffend in ihrer Dankesrede.
Schönes Haar und ein alter Kaugummi
Aber Hollywood wäre wohl nicht Hollywood ohne Jugendbonus. Ralph Fiennes, 62, und Isabella Rossellini, 72, beide ebenfalls noch ohne Oscar, werden es auch weiterhin bleiben. Sie verloren gegen Kieran Culkin, Kevins kleinen Bruder, und Zoë Saldaña, beide immerhin schon in ihren 40ern. Dafür wurden sie dann in ihren Reden fast unangenehm privat.
Culkin erinnerte seine Frau daran, dass sie ihm vier Kinder versprochen hat, falls er gewinnt. Saldaña lobt das "schöne Haar" ihres Mannes, der ihr jede Nacht die Sterne zeige, nun denn. Immerhin warfen sie nicht ihr gebrauchtes Kaugummi auf dem Weg zur Bühne ihrem Partner zu. Ja, das ist wirklich so geschehen. Und dank des neuen Besten Hauptdarstellers Adrien Brody nun für immer mit der Oscar-Geschichte, ähm, verklebt, wie die Klebe von Will Smith.
Eher frustrierend verlief die Nacht für den derzeitigen Kronprinzen von Hollywood. Erst musste Timothée Chalamet sanften Spott einstecken für sein ungewöhnlich pastellgelbes Outfit von Givenchy: "Damit wirst du heute bestimmt nicht auf dem Fahrrad überfahren." Dann ging sein achtfach nominierter Bob-Dylan-Film komplett leer aus. Chalamet ging erst mit seiner Mutter über den roten Teppich, im Saal saß dann aber, wie gerade eben auch auf der Berlinale und fast wie aus dem Nichts, seine Freundin Kylie Jenner zum Händchenhalten neben ihm.
Ein bitterer Oscar-Abend für die Deutschen
Auch für den eigentlichen Favoriten, das Mexiko-Musical "Emilia Pérez", wurde es ein bitterer Abend. Von den 13 Nominierungen blieben nur zwei Preise übrig. Neben dem für Saldaña noch einer für den Besten Originalsong. Und auch die Deutschen guckten fast komplett in die Röhre. Keine Oscars für das Beste Drehbuch an "September 5" (es gewann ebenfalls "Anora"), keinen Oscar für "Die Saat des heiligen Feigenbaums" als Besten internationalen Film (es gewann der brasilianische Beitrag "Für immer hier"), und auch der achtmal nominierte "Konklave" blieb schließlich bei einem Oscar für das Beste adaptierte Drehbuch stehen, nicht mal die populäre Kostümbildnerin Lisy Christl konnte jubeln. Immerhin gewann Gerd Nefzer mit seinem internationalen Team noch eine Statue für die Besten visuellen Effekte für "Dune 2". Die Oscars waren dennoch für Germany diesmal eher so ernüchternd wie sonst nur der ESC.
Old Hollywood auf dem roten Teppich

Trotz der Tumulte und Turbulenzen in der echten Welt hielt sich Hollywood politisch erstaunlich zurück in der wichtigsten Nacht des Jahres. Der souveräne Moderator Conan O'Brien lobte "Anora", weil darin sich endlich mal jemand wehre gegen einen mächtigen Russen. Die Dokumentarfilm-Gewinner von "No Other Land", ein Palästinenser und ein Israeli, riefen einerseits auf gegen ethnische Säuberungen, erinnerten anderseits daran, dass das Schicksal ihrer Völker eng verknüpft sei. Ohne die Freiheit der einen gebe es keine Sicherheit der anderen, und die derzeitige US-Außenpolitik würde eine dauerhafte Lösung blockieren.
Saldaña erinnerte zudem noch daran, dass sie ein Kind von Einwanderern sei, aus der Dominikanischen Republik, und Brody gab nach seinem zweiten Oscar-Gewinn für die Rolle eines Holocaust-Überlebenden die allgemein gültige Parole aus: "Wenn uns die Vergangenheit etwas lehren kann, dann, dass Hass niemals toleriert werden sollte. Lasst uns für das kämpfen, was richtig ist."
Katzen gehen immer
Dass man niemals die Macht der Katzen unterschätzen sollte, bewies dann noch der Gewinner der Kategorie Bester Animationsfilm. Während die Großtanker "Inside Out 2" von Pixar und "Der wilde Roboter" von Dreamworks als uneinholbar galten, machte "Flow" das Rennen. Die erste Oscar-Nominierung überhaupt aus Lettland, zauberhaft illustriert von einem Außenseiter-Team und mit einer Klimawandel-Freundschafts-Geschichte, die ohne Dialoge und nur mit Tierlauten auskommt. Wow und Miau gleichzeitig sozusagen. Der Film kommt übrigens in wenigen Tagen endlich auch in unsere Kinos, eine schöne Überraschung.