Es ist schon merklich ruhiger geworden in den Lobbies der großen Hotels. Vor allem im Sutton Place, dem Epizentrum des Toronto International Film Festival, kurz Tiff, wo unter anderen das Press Office und die wenigen Verkäufer-Räume untergebracht sind, läuft der Besucher nicht mehr Gefahr, ständig angerempelt zu werden. Ein Großteil der Industrie-Karawane der Produzenten und Verleiher ist bereits weitergezogen zum nächsten Festival, wo eine neue Feilsch-Runde um frische Ware beginnt.
Die Tage sieben und acht standen ganz im Zeichen der alten Meister. Gleich fünf arrivierte Regie-Senioren präsentierten in Toronto ihre jüngsten Würfe, und bedauerlicherweise konnte keiner davon wirklich überzeugen. Besonders tutig kommt Richard Attenboroughs ("Gandhi") "Closing the Ring" daher, ein behäbig inszeniertes Liebesdrama, das auf zwei Zeitebenen, 1991 und Zweiter Weltkrieg, spielt. Dem herausragenden Darsteller-Ensemble um Shirley MacLaine, Christopher Plummer und Brenda Fricker ist es zu verdanken, dass der Film nicht komplett im TV-Roman-der-Woche-Orkus versinkt.
Nicht minder lahm fällt Paul Schraders Versuch aus, in "The Walker" ein Sittengemälde des Intriganten-Stadls Washington zu zeichnen. Bereits bei der diesjährigen Berlinale hatte der Krimi um einen Mann, der Politiker-Frauen zu gesellschaftlichen Veranstaltungen begleitet und in ein Mord-Komplott schlingert, für Sekundenschlaf-Attacken gesorgt. Zumal Woody Harrelson als smarter, gut erzogener Titelheld so fehlbesetzt ist wie Eva Herman in einem Shakespeare-Stück.
Chabrol mit naiver Fernseh-Wetterfee
Auch schon mal bissiger war Nouvelle-Vague-Veteran Claude Chabrol, der in "La fille coupée en deux" (Die zweigeteilte Frau) zum werweißwievielten Mal die klebrigen Abgründe der Upper Class decouvriert. Die reizende Ludivine Sagnier ("Swimming Pool") agiert darin als ebenso blonde wie naive Fernseh-Wetterfee Gabrielle, die zwischen zwei Männer - ein egoistischer, alter Literat und ein aufbrausender, attraktiver Millionenerbe - gerät und alle ins Gefühls-Chaos manövriert. Das ist zwar durchaus ansehnlich konstruiert, aber nichts Neues im Chabrol-Westen.
Die größte Enttäuschung, bei ihm erwartet man ja immer etwas Besonderes, ist Woody Allens jährliche Lieferung "Cassandra's Dream". Zwei Londoner Working-Class-Brüder, der eine mit Spielschulden (Colin Farrell), der andere mit Aufstiegs-Ambitionen (Ewan McGregor) gehen mit ihrem reichen Onkel (Tom Wilkinson) den Deal ein, dass dieser ihre Geldprobleme löst, wenn sie einen Kollegen von ihm ermorden, der ihn des Firmenbetrugs überführen will. "Ich bin kein besonders hingebungsvoller Regisseur, sondern ziemlich faul", gestand Allen bei der Pressekonferenz. "Ich habe beschlossen, dass mein Leben, meine Familie, meine Kinder, meine Klarinette, die Basketballspiele, die Baseballspiele, wichtiger sind, als einen perfekten Film zu machen." Seine 38. Arbeit mit ihren blassen Figuren, dünnen Dialogen und mangelndem Esprit ist kein Gegenbeweis, dass er kokettiert.
Sidney Lumet und Woody Allen bearbeiten den gleichen Stoff
Der pathologische New Yorker will auch seine nächsten Projekte in Europa inszenieren, weil ihm US-Produzenten keine Finanzierung mehr ohne Einschränkung der künstlerischen Freiheit gewähren wollen. Wenn er so weiter macht, wird Woody bald in Nordafrika drehen müssen. Ein anderer überzeugter New Yorker ist der 83-jährige Sidney Lumet, und wie es der Zufall will, erzählt sein kriminelles Familien-Drama "Before The Devils Knows You're Dead" eine ganz ähnliche Geschichte. In diesem Fall sind die Brüder ein drogenabhängiger Immobilienmakler (Philip Seymour Hoffman) bzw. ein kleiner Angestellter (Ethan Hawke) und ebenfalls von Schulden geplagt. Ihre unfreiwillig blutig endende Idee, das Schmuckgeschäft der eigenen Eltern auszurauben, mündet in eine Familien-Tragödie, deren Qualität unter der überkonstruierten Plotstruktur leidet. Statt seine Story linear zu erzählen, zerhäkselt Lumet sie völlig unnötig in einzelne, personenbezogene Kapitel, die vor oder am Tag des Überfalls spielen.
Cate Blanchett als Dylan-Chamäleon
Auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben Todd Haynes experimentelle Bob Dylan-Annäherung "I'm Not There" und der Hongkong-Thriller "Mad Detective" vom Regie-Gespann Johnnie To/Wai Ka-fai. Auf den zweiten schon. Beide Filme handeln von einem Menschen, dem sieben unterschiedliche Persönlichkeiten innewohnen. Haynes versucht das chamäleonartige Phänomen Dylan zu ergründen, in dem er dessen zahlreiche Facetten von einem halben Dutzend Darstellern (neben Christian Bale, Heath Ledger und Richard Gere brilliert vor allem die gerade in Venedig dafür prämierte Cate Blanchett) spielen lässt. Das Resultat ist ein faszinierender Bilderrausch, der sich aber nur jenen erschließt, die zumindest die Eckdaten der Sänger-Biografie kennen. Bei den asiatischen Kollegen stecken die multiplen Charakteristika hingegen in einem mordverdächtigen Polizisten. In Form variierender Personen kann diese allerdings nur der psychotische Ex-Ermittler Bun sehen. Er besitzt die Gabe, die Persönlichkeiten und Dämonen der Leute zu erkennen, denen er begegnet. Der surreale Reißer beweist erneut, wie erfrischend originell das asiatische Kino ist. Demnächst wahrscheinlich als amerikanische Neuverfilmung in Multiplex Ihres Vertrauens zu sehen.
Ebenfalls ziemlich unwirklich gestaltete sich die Kaufhaus-Begegnung der dritten Art zwischen Michael Douglas und einem Fan. Als ihn der Verehrer wegen eines gemeinsamen Erinnerungsfotos ansprach, bat ihn Douglas, doch bitte kurz zu warten, er müsse mal eben auf die Toilette. Der Fan tat wie geheißen und wurde anschließend freundlich und zuvorkommend mit einem Schnappschuss plus Autogramm belohnt. Zu guter letzt also doch noch ein alter Meister, der etwas Denkwürdiges vollbracht hat.