Willem Dafoe hat seine Oberflächen bearbeitet wie ein Bildhauer. Er selbst hat neben den Mund, der fast so breit ist wie der von Mick Jagger, diese tiefen Scharten geschlagen. Er hat die schattenwerfenden Bögen über den Augen modelliert. Er hat die Furchen in die Stirn gekratzt und die Nase so scharf geschnitten. Dieses Gesicht scheint die Summe aller Rollen, in die er fast schon sein Leben lang immer wieder geschlüpft ist. So als habe jede Figur Spuren hinterlassen in der Haut.
Und dann Dafoes Hände: Fleischgewordener Zweifel, wie von Rodin persönlich entworfen, sollen sie dem nach Worten ringenden Mann helfen, das eine, passende aus dem Hirn zu fischen. Sie zerwühlen sein braunes Haar, fahren über die gegerbten Wangen. Aber Defoe findet die Worte trotzdem nicht. "Ich sage es Ihnen später, wenn es mir einfällt." Er strahlt aus hellblauen, glasklaren Augen. Und plötzlich ist dieses Gesicht, das der allgemeinen Auffassung nach als hässlich gilt, faszinierend, wenn nicht sogar schön. Alles ist darin zu finden: vom begeisterten Jungen bis zum aufmerksamen Mann.
Doch auch ein grausamer Nazi-Offizier: In Paul Schraders "Ein Leben für ein Leben" ist Dafoe derzeit neben Jeff Goldblum und Joachim Król zu sehen. In dem Film über einen Holocaust-Überlebenden in einer Klinik in Israel ist er Teil der Erinnerung ans Konzentrationslager. Eine Bestie, die versucht, den Menschen das Menschliche zu nehmen. Das Monströse an Dafoes Bestien - die er immer wieder spielt - ist, dass er ihnen die Menschlichkeit lässt.
"Ein Leben für ein Leben"
Der Film nach dem Buch "Adam Hundesohn" von Yoram Kaniuk erzählt die Geschichte von Adam Stein (Jeff Goldblum), der in einer Klinik für Holocaust-Überlebende in der israelischen Wüste lebt. Er war ein gefeierter Varieté-Künstler im Berlin der 30er Jahre, bis die Nazis ihn ins KZ steckten, wo er von einem SS-Offizier (Willem Dafoe) als Hund gehalten wurde. "Ein Leben für ein Leben" erzählt von der Shoah aus ungewohnter Perspektive. Wie wurden die Menschen mit dem, was ihnen angetan wurde, fertig? Kann ein Mensch damit überhaupt fertig werden? Paul Schraders Film ist mutig, anstrengend und unbedingt sehenswert.
Willem Dafoe "ist" Schauspieler, mit jeder Muskelfaser und jeder grauen Zelle. Er selbst nennt sich "Mann des Theaters" und meint Sätze wie "Ich bin gerne eine Farbe" ernst. "Es ist das Höchste für mich, als Darsteller zu verschwinden, zum Detail in einem Gesamtbild zu werden. Alles andere ist nur Showbusiness und Ego."
Der 53-Jährige mit dem sehning, durchtrainierten Körper ist im experimentellen Theater groß geworden und war bereits 25 Jahre alt, als er 1980 endlich auch vor Filmkameras spielte. Schon sein erster Leinwandauftritt ist mit einer Legende verknüpft. "Heaven's Gate" war ein monumentaler Western, der Millionen verschlang, die er nie einspielte. Fünf Jahre später drehte Dafoe das Vietnam-Drama "Platoon", das ihm eine Oscar-Nominierung als bester Nebendarsteller einbrachte.
Willem Dafoe im Spagat
Nun ging es Schlag auf Schlag: Dafoe übernahm die Hauptrolle in Martin Scorseses "Die letzte Versuchung Christi", spielte neben Gene Hackman in "Mississippi Burning", verschreckte in David Lynchs Meisterwerk "Wild At Heart" das Publikum und überlebte sogar den Madonna-Flop "Body of Evidence". Er spielte neben Tom Cruise und Harrison Ford, neben Julia Roberts und Reese Witherspoon.
Trotz Rollen in Blockbustern wie "Der englische Patient" und "Spider Man" ist Dafoe immer auch Muse des Independent-Kinos von Regisseuren wie Abel Ferrara und Paul Schrader geblieben. Was ihn wiederum nicht davon abgehalten hat, im Pixar-Hit "Findet Nemo" einem Zierfisch mit deformierter Rückenflosse seine Stimme zu leihen oder gar in "Mister Bean macht Ferien" aufzutreten. Willem Dafoe hat die permanente Bewegung zum Lebensprinzip gemacht, dem Hollywood-Mainstream folgt bei ihm immer mindestens ein Kunstfilm - und umgekehrt.
Keine Vorbilder
"Hollywood weiß nichts von der anderen Welt da draußen", erklärt Dafoe sein Springen zwischen den Welten im Gespräch mit stern.de. "Die denken, ich bin auf Urlaub, wenn ich in Europa drehe. Die Welten berühren sich nicht. Für mich ist das wunderschön, denn so kann ich in beiden arbeiten." Er lacht viel, ist aber gleichzeitig sehr konzentriert. Fast ein bisschen bescheiden wirkt er, ist aber bestimmt in seinen Antworten. "Vorbilder habe ich nicht! Meine Einflüsse kommen von außerhalb des Kinos und Theaters. Aus der bildenden Kunst, dem Tanz", sagt Dafoe mit seiner tiefen Stimme und den betonten S-Lauten. Und dann hat er die richtigen Worte gefunden:
"Wenn ich etwas sehe, von dem ich weiß, wie es entstanden ist, wo es herkommt, dann erinnert es mich daran, was es heißt, etwas zu erschaffen. Der Akt des Schaffens ist etwas Grundlegendes, fast Heiliges. Und das erinnert mich daran, dass ich etwas Sinnvolles tue. Es erinnert mich daran, warum ich Schauspieler bin."
Es war Dafoes gefeierte Kollegin Meryl Streep, die einmal gesagt hat: "Schönheit? Kann man spielen".
"Ein Leben für ein Leben" kommt am 19. Februar ins Kino