Ludwig Museum Köln Hitler ist blind und Stalin lahmt

Unter dem Pseudonym "Marinus" hatte ein Fotokünstler versucht, vor dem Nationalsozialismus und Adolf Hitler zu warnen. Jetzt hat ein dänischer Forscher das Geheimnis um seine Person gelüftet. In einer Fotoaustellung in Köln sieht man die Bilder, die den Kriegsherren ein Dorn im Auge waren.

Unter dem Pseudonym "Marinus" veröffentlichte die in Paris erscheinende Zeitung Marianne in den Jahren 1932 bis 1940 über 250 Fotomontagen. Die vorwiegend als Titelschlagzeile abgedruckten Werke waren von den Fotomontagen John Heartfields inspiriert, die dieser seit 1930 für linken Presseorgane hergestellt hatte. Während Leben und Werk von John Heartfield umfassend aufgearbeitet worden sind, galt der Bildautor "Marinus" bis heute als unbekannt. Das rettete ihm das Leben. Vor allem nach dem der Einmarsch der deutschen Truppen in Paris im Juni 1940. Die große Zeit der französischen Illustrierten wurde damals schlagartig beendet.

Die wirkliche Identität

Vor diesem Hintergrund ist die erst kürzlich erfolgte Entdeckung des Medienforschers Gunner Byskov, dass sich der Däne Jacob Kjeldgaard sein Leben lang hinter dem Pseudonym "Marinus" versteckt hielt, als Sensation zu betrachten. Rund 30 Arbeiten tauchten 2002 auf einem Pariser Flohmarkt auf, allerdings befanden sich darunter nur wenige Originalmontagen. Aber zum ersten Mal wurde der mögliche Name des Autors auf einem rückseitigen Stempel entdeckt: Marinus Jacob Kjeldgaard.

Wie die weiteren Recherchen ergaben wurde Kjeldgaard 1884 in Kopenhagen geboren, studierte dort an der Kunstakademie und reiste 1906 nach Berlin, um dort als bei einer Firma für Lichtreklame zu arbeiten. 1909 dann übersiedelte Kjeldgaard nach Paris. Dort kopierte er im Louvre Gemälde für einen Kunsthändler in Kopenhagen, was wiederum möglicherweise sein späteres Faible für Vorlagen aus der Kunstgeschichte erklärte. In den zwanziger Jahren arbeitete Kjeldgaard als Statist am Theater und war Pariser Korrespondent für einige südamerikanischen Tageszeitungen. Nach dem Krieg arbeitete er weiter als Graphiker und entwarf Buchumschläge. Er starb 1964 und bekam auf dem Friedhof in Creteil ein Armengrab, das längst aufgelöst ist.

Überlebt

Seit seiner Abreise 1906 war Kjeldgaard nie mehr in seiner Heimat Dänemark gewesen. Er hatte auch keine Hinterbliebenen, und wahrscheinlich wanderte sein Nachlaß bei der Räumung seiner Wohnung auf der Ile de la Cité achtlos auf den Müll – eine damals sowohl in Frankreich als auch in Deutschland durchaus übliche Praxis im Umgang mit fotografischen und künstlerischen Nachlässen von vermeintlich unbekannten Autoren. 2002 schließlich fand ein Pariser Fotogalerist rund dreißig Fotomontagen bei einem Trödler.

Um 1916 hatte Kjelgaard für die Wochenzeitschrift J'ai vu erste Pressebilder bearbeitet. 1933 war er Mitarbeiter der Redaktion von Marianne geworden und offenbar der Urheber jener Fotomontagen, die sein gesamtes Können widerspiegelten. Trotz des Einmarsches der Nationalsozialisten in Paris konnte Kjelgaard weiter unentdeckt in der Rue Saint-Louis-en-l'Ile wohnen bleiben – er hatte nie seinen richtigen Namen unter die Bilder gesetzt. In einem privaten Brief aus dieser Zeit schrieb er: "Wie seltsam das Leben ist! Sechs meiner Freunde aus der Pariser Presse sind in Buchenwald, in Ausschwitz gestorben. Und sie hatten weniger verbrochen als ich."

Die politische Fotomontage

Das Medium der politischen Fotomontage erreichte im Frankreich der 1930er Jahre seine größte Popularität. Ihr Vorreiter, der deutsche Künstler John Heartfield gilt Vielen bis heute als der bedeutendste politische Fotomonteur. Eine herausragende Rolle in Frankreich spielte die Zeitung Marianne, die ab 1932 in Paris erschien und bis 1940 dem Leser über 250 Fotomontagen offerierte - vorwiegend als Titelschlagzeile.

"Marinus" erweiterte dort die Bilderwelt der 1930er Jahre um die Dimensionen Kunstgeschichte, Film und fotografierter Tagespolitik. Aus französischer Sicht wurde die nationalsozialistische Politik karikiert. Aber auch die mächtigen Staatsmänner der westlichen Welt wurden als zweifelhafte Drahtzieher und Friedenskämpfer der 1930er Jahre dargestellt. Hitler wurde als Anstreicher, als stumpfer Bräutigam aus Wagners Oper "Tristan und Isolde" oder als Karnevalsprinz vorgeführt. Mussolini und Stalin als verschlagene Politiker. "Marinus" verarbeitete Kunstwerke von Leonardo, Breughel, Delacroix und Rodin, aber auch Standfotografien aus Historienfilmen wie "Ben Hur".

Anklage und Warnung

Noch heute können diese Fotomontagen den Betrachter irritieren. Damals sollten sie den Leser subtil informieren und aufrütteln. Es galt, die westliche Welt vor dem Nationalsozialismus zu warnen. Marianne stellte in einer Anzeige zu ihrer ersten Ausgabe von 1932 klar: "Die literarischen Wochenzeitungen lehnen sich nach rechts oder sie arbeiten aus der zehnten Reihe. Frankreich aber denkt links. Wir haben vor, diesen Widerspruch aufzuheben. Dafür machen wir Marianne." Als einzige der damals erscheinenden Blätter setzte Marianne von Beginn an auf die Wirkung von Fotomontagen auf der ersten Seite. Sie versuchte damit gegen Aufrüstung, Krieg und Rassismus mobil zu machen.

Die Fotomontage war seit ihren ersten Gehversuchen in den 1920er Jahren stets im künstlerischen Umfeld angesiedelt gewesen. Dadaisten wie Grosz, Ernst, Schwitters oder Duchamp verwendeten diese "Foto-Klebe-Montage". Bereits früh erkannten die Künstler auch die Möglichkeit, politische Aussagen machen zu können. Heartfield schrieb dazu rückblickend 1967 bescheiden und ohne verklärende Schnörkel: "Da ich fand, daß der Bleistift mir nicht mehr genügte, um gegen den Krieg Anklage zu erheben, habe ich begonnen, Fotomontagen zu machen."

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dpa/Christian Weiß

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