M. Beisenherz - Sorry, ich bin privat hier Die moralische Doppelbizeps-Pose nutzt niemandem

Eine Kolumne von Micky Beisenherz
stern-Autor Micky Beisenherz ist nachdenklich: Bisher ging er immer mit Biss und Humor gegen Nazis im Netz vor. Doch was, wenn diese Taktik mehr schadet als nutzt?

Jetzt hab ich es endlich geschafft. Ich gehe mir schon selbst auf die Nüsse. Gerade eben erst habe ich den letzten Gedanken ins Internet gepumpt. Ein Zitat aus einem Interview, userfreundlich als Foto, memetauglich aufbereitet: "Ein Land, in dem Menschen in Sichtweite der Flüchtlinge draußen vor dem Apple Store schlafen, um als erste das neue iPhone zu kriegen, soll bloß die Fresse halten, wenn es darum geht, ob unsere finanziellen Mittel erschöpft sind."

Wären Postings Songs, wäre das wohl so eine Art Hitsingle, und, ja, ich gebe zu: Das massive Beliken und Teilen hat etwas Rauschhaftes. Dennoch ist das Ganze so populistisch geraten, dass ich mir selber schon langsam als selbstgefälliger Simpel auf die Schliche komme. Natürlich ist der Gedanke ein ehrlicher gewesen. Ein Schuss aus der Hüfte. Eine pointierte Zuspitzung meines aufrichtigen Missfallens, wenn ich mir die Dekadenz vor Augen führe, in diesen Zeiten für ein technisches Gadget allen Ernstes im Freien zu pennen, während ein paar Meter weiter Menschen, die alles verloren haben... Ihr wisst schon.

"Asylanten essen uns die Krabbenbrötchen weg!"

Micky Beisenherz

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (heute Show, Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen. (Foto: Thomas Duffé)

Ja, der Zuspruch war riesig. Was beruhigend ist, da ich mich emotional in guter Gesellschaft wähne. Leider mache ich es mir aber zu einfach. Schlimmer noch: Diese moralische Doppelbizepspose nutzt niemandem. Als pointendreschender Posterboy der "Gutmenschen" habe ich mich aktiv daran beteiligt, den Dialog mit zu zerstören.

Natürlich macht es Spaß und ist auch völlig richtig, die "Ja-Abers" dieser Nation verbal zu vertrimmen, und leider sind die "kritischen Stimmen" (ein schöner Euphemismus) in meiner Kommentarleiste vorwiegend so beschämend rechts wie meine Einstiegsposts rührend links sind. Da hätte ich mir einen offeneren Diskurs gewünscht. Aber was beschwere ich mich. Mit unzähligen Witzen über Nazis, besorgte Bürger und grölende Analphabeten habe ich wie so viele andere Humortreibende sehr häufig die Richtigen getroffen. Breitärschige Sylt-Abonnenten, die offensichtlich den Pullover oder die Perlenkette zu eng um den Hals gezogen haben und behaupten, die Flüchtlinge würden ihnen die schöne Insel kaputtmachen. "Asylanten essen uns die Krabbenbrötchen weg!"

Bashing macht Spaß - ist aber schlecht für den Dialog

Komischerweise sind diejenigen, die behaupten, dieses Bild von den fürchterlichen Zuständen in Syrien könne kein Kind gemalt haben, dieselben, die sich noch in der Hauptschule die Wachsmaler in die Nase gesteckt haben. Es ist schön, die Unbelehrbaren zu bashen. Es macht Spaß. Es befreit. Leider richtet es auch einen dialogischen Kollateralschaden an. Denn es gibt sie: Die riesige graue Masse von Menschen, die tatsächlich keine Nazis sind, aber: verunsichert. Nicht mehr. Aber eben auch nicht weniger. Diese Situation ist neu. Fremd. Und das Fremde behagt nun mal nicht allen. Es macht einigen Angst. Die lässt sich aber im Gespräch lösen.

Mit teilweise brachialem Humor verschrecken wir bedauerlicherweise einen Teil der Bevölkerung, die diese Frage gern in einem angemessenen Ton stellen würde, aber fürchtet, dass die humoristische Abrissbirne sie trifft. So kommt es leider vor, dass durchaus belehrbare Geister sich plötzlich von den rechten Parteien mit ihrem freie-Meinungsäußerungs-Placebo eher verstanden und mitgenommen fühlen. Diese ewige "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!"

Ohne es zu wollen, leisten wir so unseren Beitrag, diejenigen stark zu machen, die wir verabscheuen. AfD, NPD, Seehofer, Söder und Co. Wir befinden uns gerade emotional auf der Kippe. Manche von denen, die vor kurzem noch am Bahnhof gestanden und geklatscht haben, haben jetzt die Arme lahm, gucken ihren Nebenmann an und fragen: "Wieviele Züge kommen denn da noch?"

Filme enden mit der Applausszene. In der Flüchtlingsproblematik, nein, -aufgabe ist der Applaus erst der Auftakt. "Wie geht das denn jetzt weiter?" Eine durchaus berechtigte Frage, auf die auch die Politik keine echte Antwort zu haben scheint. Was die Sache nicht besser macht. Schlimmer allerdings machen die Sache Äußerungen wie von Thomas de Maizière der sich nicht entblödet, in dieser hochentzündlichen Situation Kerosin ins nationale Glimmen zu kippen: "Sie gehen aus Einrichtungen raus, sie bestellen sich ein Taxi, haben erstaunlicherweise das Geld, um Hunderte von Kilometern durch Deutschland zu fahren. Sie streiken, weil ihnen die Unterkunft nicht gefällt, sie machen Ärger, weil ihnen das Essen nicht gefällt, sie prügeln in Asylbewerbereinrichtungen."

Falsche Rücksicht macht Werbung für gefährliche Parteien

Na, sowas! Da stellen die auch noch Ansprüche! Und wo haben die eigentlich soviel Geld her? Hm? Egal, ob diese Aussage mutwillig so tendenziös ausgefallen ist oder aus schlichter Dummheit: Die innere Sicherheit ist auch dann gefährdet, wenn er in dieser Situation Bürger dazu ermutigt, "die Ordnung" in Eigenverantwortung wiederherzustellen. Was nicht heißen soll, dass man nicht darüber reden soll, was in der Flüchtlingsfrage alles schief läuft. Schlägereien? Natürlich gibt es die! Was habt ihr denn erwartet! Wer sich mal zwei Wochen mit zwei anderen Familien ein Ferienhaus geteilt hat, der sollte allerdings ein Quäntchen Verständnis dafür aufbringen, wenn Leute, die auf engstem Raum zusammengepfercht sind, sich gegenseitig an die Gurgel gehen. Im Dschungelcamp finden wir sowas immer lustig  - hier sollen es plötzlich die Wilden sein, die wir uns ins Land geholt haben.

Es war leider auch ein fatales Signal der Redaktion von "Aktenzeichen XY," den Beitrag über einen schwarzen Vergewaltiger aus Rücksicht auf die nationale Stimmungslage zurück zu halten. Eben dieses Verhalten ist fast schon Werbung für die Parteien, die so tun, als würden "die da oben" zusammen mit der "Lügenpresse" gezielt Tatsachen über die "Überfremdung" verzerren. Gut gemeint ist eben nicht gut gemacht.

Humoristisches Friendly Fire ist nicht immer hilfreich

Je offener und weniger polemisch wir den Dialog gestalten, desto besser. Reden wir doch mit denen, die das Gefühl haben, die Medien würden ihnen weismachen, dass ausschließlich Ärzte und Architekten den Booten entsteigen. Natürlich nicht! Und jetzt passt auf: Da sind sogar Leute dabei, mit denen würde nicht mal ich ein Bier trinken gehen wollen. Nur: Was ist die Alternative? Die Leute ersaufen lassen? Zäune? Ja, schon klar: #Refugeeswelcome ist gerade en vogue, kommt vielen vor wie ein schickes Hobby der Besserverdiener. Aber es ist die richtige Haltung. Kein blindlinks ins Verderben laufen. Sondern der Glaube an Mitmenschlichkeit - und die Chance für unsere Gesellschaft. Das ist allemal stärker als die Angst vor ein paar wenigen, die eben nicht repräsentativ für die ganze Gruppe von Menschen sind, die jetzt kommen (werden).

Es muss allerdings auch von uns toleriert werden, dass nicht jeder von dieser Euphorie gleich angesteckt ist. Da ist humoristisches Friendly Fire vielleicht nicht immer hilfreich. Obwohl es mir nach wenigen Minuten Internet schon wieder ganz schlimm im den Fingern juckt...

PRODUKTE & TIPPS

Kaufkosmos