M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier Jeck we can - warum Karneval das deutscheste aller Feste ist

Eine Kolumne von Micky Beisenherz
Karneval ist wie Leber essen: Man mag es oder nicht. Für Micky Beisenherz sind die angeblich tollen Tage ein Exzess verbeamteter Fröhlichkeit.

Kann Bindehaut Sonnenbrand kriegen? Ist die Pupille zu Muskelkater fähig? Fragen, auf die es nur in Köln eine Antwort geben kann.

Nein, es empfiehlt sich wirklich nicht, lange, anstrengende Arbeitswochen nachts in rheinischen Hotelbars ausklingen zu lassen. Die ohnehin schon müden Augen wurden unlängst noch einmal zur Schwerstarbeit gezwungen, mussten sie doch von Amts wegen einfangen, welches Treiben da gerade vor sich ging. Jetzt muss man sagen: In besagter Bar eines bekannten Kölner Hotels ist die Hysteriesättigung im Allgemeinen sehr hoch.

Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Als wäre das nicht schon schlimm genug, zieht ab Mitte Februar die allgemeine Karnevalismuskurve rund um den Dom dermaßen an, dass die Jecken selbst in solch neutrales Territorium wie die Gasthausschänke einfallen. Genau wie euphorisierte Sessionmusiker, die nach erfolgreicher Akkord-Beschallung diverser Prinzengarden eigentlich nur noch schnell ein Kölsch trinken wollen, Der Zuspruch vereinzelter Gäste jedoch peitscht sie zu einer kabellosen Zugabe beliebter, rheinischer Volksweisen an.

Klatschwellen voller Viva Colonia schwappen gegen meine Schädelwand. Spätestens jetzt würde ich gerne ins Maritim-Hotel rüber wechseln. Seitdem aber klar ist, dass sie Stammhaus der AfD geworden sind, stehen die bei mir auf einer Liste, so rot wie der Karneval nie werden könnte.

Und, verdammt nochmal. Karneval mag ich... tja, wie drück ich das aus, so gern wie das nächtliche Treten auf Lego-Steine. Es ist wie Leber. Viele mögen es. Ich selbst hab es zwei, drei mal probiert. Es geht nicht.

Karneval ist das deutscheste aller Feste

Stellen Sie sich doch einfach vor, jemand lädt Sie ein: "Hey, komm doch vorbei! Es ist total eng und heiß, die Musik ist beschissen, aber laut. Die Leute sind zwar hässlich, dafür wenigstens übergriffig und, oh, ja: Das Bier schmeckt, als würde man bei Glööckler aus der Toilettenschüssel trinken. Was ist? Has' Bock?"

Entschuldigung, ich habe mich hinreißen lassen. Karneval ist für mich das deutscheste aller Feste. Verbeamtete Fröhlichkeit. Konfektionierter Exzess, ins Vereinswesen gepresst, hierarchisch geordnet und natürlich - das muss ja alles seine Ordnung haben - mit Dienstkleidung! Orden, Narrenkappe und den Frohsinn bitte, wie in der Satzung festgeschrieben, erst ab dem 11.11. um 11 Uhr 11. Das ist Spontaneität mit der Stechuhr.

Fortan zieht sich die Arbeitsgemeinschaft Heiterkeit in Mehrzweckhallen und Festzelte zurück, um sich dort in Uniformen, die selbst Gaddafi beschämt hätten auf der Bühne Witze aus dem Pleistozän des Humors anzuhören und einzuprägen, damit man sie am nächsten Tag auf dem Amt zwischen zwei Abschiebungen dem Kollegen erzählen kann. Unterbrochen wird das Ganze von Ballermannismen diverser Steißschunkelkapellen.

Schunkelwirtschaftsflüchtling 

Ab Rosenmontag dann treibt es den Alaafisten auf die Straße, um bei Minusgraden auf offenbar von Sonderschülern gestaltete Wagen zu warten, von denen herab er sich dann auch noch mit Lebensmitteln bewerfen lässt. Die Hände schützend vors Gesicht halten kann er nicht. Braucht er sie doch, um seine hutzelige Jeckenflöte zwecks Erleichterung an Stromkästen zu manövrieren. Glücklicherweise ist man bereits mittags schon so betrunken, dass man nicht nur nicht mehr die Kamelle am Kopf spürt, sondern sich auch völlig wahllos an Steuerfachgehilfinnen oder Versicherungszweigstellenleitern reibt, während von irgendwo Jürgen Milskis "deutsche Mädchen sind die besten, das kann jeder gerne testen" schallt. Ein Gebaren, wo der handelsübliche Domplattennafri sich schon fragt, was genau er denn eigentlich falsch gemacht hat.

Als Schunkelwirtschaftsflüchtling ist Hamburg natürlich das gelobte Land. Okay, ich kann guten Gewissens nicht behaupten, dass der 1. Mai dort der bessere Karneval sei - zumindest aber kann ich da immer drauf hoffen, dass die Polizei die Veranstaltung auflöst.

P.S.: Falls Ihnen bei diesem Text nicht zum Lachen ist. Denken Sie sich JETZT einen Tusch.

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