Da habe also dieses nicht mal sechsjährige Mädchen gesessen, gleichgültig mit den Schultern gezuckt und lässig auf die Toilettentür gedeutet, unweit der Büroräume. Als Reaktion auf die fragenden Blicke meiner Kollegen Maik und Lucas, wo ich denn wohl gerade sei. Man erwartete mich zurück im Podcast-Studio. Fast seufzend, so erzählten mir meine Kollegen später, habe sie kaum vom iPad aufgeblickt und gesagt: "Jaaaa. Mein Papi geht immer sehr oft und sehr lange aufs Klo. Einmal war Mami mit ihm essen, und als er von der Toilette kam, da war das Essen kalt."
Das war jetzt nicht unbedingt eine Information, die ich gern mit meinen zwei Arbeitskollegen geteilt wissen wollte. Zumal das mit dem Essen so auch nicht ganz hundertprozentig richtig ist. In der Sache allerdings stimmte die Transparenzoffensive der Kleinen schon. Tatsächlich verschwinde ich gern und öfter länger auf der Toilette.
Die tendenziell eher negative Wahrnehmung des Abortes seitens meiner Tochter indes hat einen simplen Grund: Das Badezimmer ist der natürliche Feind des Kindes. Demarkationslinie. Bannmeile für die Ausdehnungsaggressionen des Lego-Imperators. Ein letztes Refugium der Ruhe, an dessen Tür gekratzt, getrommelt, durchs Schlüsselloch gelugt wird.
Der Abort dient als Panic Room in kinderreichen Haushalten, in denen sich lebensentgeisterte Eltern fünf Minuten nehmen, um sich kurz wieder zu spüren, bevor sie sich erneut in die pädagogische Schlacht stürzen. Auch die Restwelt hat sich hinten anzustellen, wenn der Regler auf "besetzt" schaltet, der Mensch sich kurz ausloggt.
Da, wo die Effizienzmaschine wie ein gewaltiger Industriesauger alles und jeden zu absorbieren droht, kann das Individuum sich nur hinter der schmalen Tür in der kleinen gekachelten Kapelle verstecken. Sei es, um mit Gedanken allein zu sein, die sich vom Arbeitgeber nicht auch noch auf Verwertbarkeit abklopfen lassen, oder auch schlicht, um sich auf dem Smartphone durch Banalitäten von der eigenen Erschöpfung abzulenken. Davon ab sind es bei manchen exakt die Minuten, in denen sie am Arbeitstag überhaupt in irgendeiner Weise produktiv sind.
Twitter-Tweet von der Toilette
Wer mich kennt, der raunt, sobald ich die gemeinsame Runde kurz Richtung WC verlassen habe: "Gleich erscheint ein Twitter-Tweet." Und genauso ist es dann auch.
Da, wo der Automatismus das Geschehen bestimmt, hat der Geist leichtes Spiel. So ist die Nasszelle die geflieste, große Schwester der Gehirnzelle und nicht selten Ort wichtiger Gedanken.
St. Bath – Insel der Stille. Gepriesen sei der Ruheraum, der uns vor der endgültigen emotionalen und geistigen Entsaftung durch die Konzernzentrale schützt. Der uns ein paar Minuten Noise-Cancelling und Abstand von der Kakofonie der Abendgesellschaft im Restaurant schenkt. Der uns eine fünf…, sagen wir zehnminütige Pause von dieser sagenhaft langweiligen Geburtstagsparty der Frau ihres Bruders gönnt.
Ein Hoch auf dich, du hochunterschätzter Safe Space, der mir sogar mehrere hocherquickliche Nickerchen auf runtergeklapptem Klodeckel ermöglicht hat, um danach umso fitter zurück in Konferenzen zu kommen.
Und ein Hoch auf dich, du kluges Kind, dass du mir zum Geburtstag diese lustig tönende E-Klavier-Matte geschenkt hast, mit der man, während man auf dem Klo sitzt, mit den nackten Füßen "Für Elise" spielen kann. Jetzt bin ich allerdings noch fünf Minuten länger raus.
Micky Beisenherz freut sich auf Sie: Was bewegt Sie? Tauschen Sie sich mit unserem Kolumnisten aus: www.facebook.com/micky.beisenherz