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M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier Catch Me If You Camp – warum der Dschungel Deutschland nicht entkommen kann

Micky Beisenherz über das Dschungelcamp 2022
Micky Beisenherz über das Dschungelcamp 2022
Während die Debatten in Deutschland schon jetzt für den Rest des Jahres ausreichend ermattet haben dürften, herrscht im Dschungelcamp 2022 der unbedingte Wille zur Vernunft. Bis gestern - da kam es zu einer Art ideologischem Impfdurchbruch.
Eine Kolumne von Micky Beisenherz

Jedes Jahr im Januar bietet sich das Dschungelcamp zuverlässig an als Toberaum des Feuilletons, als Petrischale für Populärsoziologen, um vom Verhalten im Camp Rückschlüsse zu ziehen auf den Status Quo der Gesellschaft.

Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Das hilft dem akademischen Teil der Bevölkerung, den einfachen Spaß vor seiner Rollkragenpeergroup zu rechtfertigen, wenn man sich wieder einmal zu sehr darüber amüsiert, dass ein Camper zum Sechsaugengespräch gerufen wird, bei dem seine zwei Augen auf die anderen vier auf dem Teller starren. Die kesse Schwester des Traumschiffs.

Die Show ist ein einfacher Spaß, der kaum mehr als das sein will und durch die interessante Komposition der Teilnehmer:innen dann eben doch zum Abgleich mit der Heimat taugt.

In diesem Jahr allerdings - oha! - fanden wir dort eine bessere Gesellschaft vor. Durch eine konsequente Zero Covid-Strategie frei von Inzidenzen oder Impfdebatten konnte sich die Exklave auf die Basics des menschlichen Miteinanders konzentrieren. (Dass man extra nach Südafrika fliegen muss, um sich vor Omikron sicher zu fühlen, ist eine Pointe, die vermutlich selbst Karl Lauterbach gefallen dürfte.)

Vom Dschungelcamp 2022 können selbst die Grünen noch was lernen

Feuer, Wasser, Luft zum Atmen. Und letztere meist nur im metaphorischen Sinne. Man hängt ja doch recht dicht aufeinander. Und während daheim die Zoom-Konferenz zur optimalen Personalentsaftung anstelle der persönlichen Begegnung getreten ist, kann man sich rund ums Laberfeuer ausgiebig mit dem eigenen Dasein auseinandersetzen - und auf Beantwortung hoffen.

"Wer schreit, will gehört werden", so bilanziert es dann auch treffend die weise Alte namens Harald Glööckler in einem der seltenen Momente, da dann doch einmal jemand die Stimme erhebt.

In dieser Exklave werden Herabwürdigungen sofort detektiert und besprochen, rassistische Entgleisungen nebst Non-Pology ("sorry, falls 'geh zurück in den Busch' rassistisch rübergekommen sein sollte“) umgehend sanktioniert und körperliche Merkmale nicht weiter thematisiert. Da kann selbst der Grünen-Parteitag noch was lernen.

Ich bin ein Zar, holt mich hier raus

Über allem thront der bereits angesprochene Modeschöpfer, der als eine Art Bundespräsident gemäß der aktuellen Verfehlungslage lobend oder tadelnd ("das ist ein junges Mädchen, da musst auch du dich mal zurücknehmen, Anouschka") durchs Camp steinmeiert. Ich bin ein Zar, holt mich hier raus.

Es ist erstaunlich. Hier gibt es keine "alten, weißen Männer" und keinen "Woke Wahnsinn". Peter Hahne muss nicht mit dem Schlappen auf den Röhrenfernseher werfen.

Während rund 11.000 Kilometer entfernt die Missinterpretationssehnsüchte ihr Zwischenhoch erreicht zu haben scheinen, die Debattenattrappen die Beteiligten bereits Ende Januar für den Rest des Jahres ausreichend ermattet haben dürften, herrscht im Camp der unbedingte Wille zur Vernunft.

Ratten gibt's hier nur als Nager und satirische Überspitzungen von Missständen verkneift man sich im Schatten des Dschungelklos zumeist lieber. Die Direktive lautet: Radikale Achtsamkeit, angeführt von der Ich-Botschafterin Tina Ruland, die sich seit Tagen tapfer gegen eine tonga-artige "Jetzt halt endlich mal die Fresse!"-Eruption stemmt.

Ideologischer Impfdurchbruch

Hier fehlt der rüffelsuchende Grundton, der Meinungsbrutalismus der Heimat völlig. Während das Internet zunehmend zum Gotcha-Wald verkommt, ist im echten Busch das Verlangen nach Verständigung groß.

Ich erkläre Dir, wie ICH mich fühle, ohne DIR eine grundsätzliche Verkommenheit zu attestieren. Man weiß: Nur in der Gruppe haben wir ein Auskommen. So war es.

Bis gestern. Doch, ach, auch dieser Märchenwald, dieser Garten Hoden konnte nicht ewig so bleiben. Es kam zu einer Art ideologischem Impfdurchbruch.

Eric Stehfest, ein junger Mann, dessen androidenartiger Auftritt immer ein wenig an Michael Fassbender in "Prometheus" erinnert. Er beendete die Dschungelprüfung, bevor er sie überhaupt antreten konnte. Dies tat er geplant, ließ sich sogar vom Volk in die Aufgabe hinein wählen, nur um diese dann spektakulär zu verweigern.

Eric Stehfest macht den Putin

Die Motivation: "Ich bin nicht bereit, für Menschen Essen zu erspielen, die mich nicht leiden können. Das mache ich nicht." Erst Steh-, dann Manifest. Ein absolutes Novum in 18 Jahren Quälenovela.

Stehfest macht den Putin und dreht den anderen die Energiezufuhr ab. Das Individuum verweigert die Solidarität und macht es der Gemeinschaft unnötig schwer. Vermutlich motiviert durch schiefe Projektion und postpubertäre Auflehnungsversäumnisse, die die anderen nun ausbaden, bzw. weghungern müssen.

Na, kommt uns das nicht schrecklich bekannt vor. Dschungel. Du bist Deutschland. Schade eigentlich. Es ist so lange gut gegangen. 

Andererseits: Solange er nur alleine mit seinem Rucksack auf Spaziergänge geht. Und die Ausartungen "gruppendynamischer Prozesse" schaut man sich dann doch lieber bei RTL an als in den Tagesthemen.

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