M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier Die Queen – warum nur diese Anteilnahme

Queen Elizabeth II.
Queen Elizabeth II. ist am 8. September im Alter von 96 Jahren gestorben
In London wird Queen Elizabeth II. zu Grabe getragen. Es ist ein Abschied für eine Jahrhundertkönigin. Gleichzeit aber auch eine seltsame Verehrung für eine Frau, die die wenigsten von uns persönlich kannten, findet Micky Beisenherz.

Geht man davon aus, es stimmt, dass die Briten es lieben, Schlange zu stehen, dürfte dieser Tag in einer Art Massenekstase enden. Bereits seit Tagen erstaunen die Bilder von der gewaltigen Kondolenzpolonäse in der englischen Hauptstadt die Welt. Über mehrere Kilometer und Stunden hinweg stauen sich die Menschen, um Queen Elizabeth ein letztes Lebewohl zu sagen und/oder sagen zu können "Crownchella 2022 – Ich war dabei!" Steuerfachgehilfinnen, Maurer, Millionäre – vor Gott und der Westminster Abbey sind sie alle gleich.

Sogar David Beckham, ein Mann, der zuletzt dadurch auffiel, sich für 180 Millionen als Botschafter der WM in Katar einkaufen zu lassen, wurde als Ottonormalbecks zwischen den Wartenden gesichtet. Ein schöner Beleg dafür, dass manche Tote eben doch mehr wert sind als andere. Aus allen Teilen der (demokratischen) Welt reisen sie an. Die Jacinda, der Joe, der Justin. (Irre lustige postmortale Demütigungspointe, dass diverse Staatschefs aus logistischen Gründen mit dem Bus vorfahren müssen.) Trudeau, der unlängst noch schluchzend bekannte, die verstorbene Monarchin sei einer seiner "Lieblingsmenschen auf der Welt" gewesen. Der Mann hat entweder einen sehr kleinen Freundeskreis oder reiht sich ein in eine Generation, die in geradezu erstaunlichem Maße eine Frau zerkultet, die ja nun die wenigsten von uns persönlich kannten.

Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Aber da, wo man die eigene Oma seit Jahren nicht mehr im Heimatdorf besucht hat, taugt Her Royal Highness gut zur Sehnsuchtsfigur und Projektionsfläche. Was erklärt, warum dieser Tage so manch einer auf das lässig kommentierte Ableben der Dauerregentin angefasst reagiert, als sei soeben die eigene Großmutter geschändet worden. Die schmerzende Volksseele der – dann doch auch bemerkenswert diversen – Briten wiederum ist nachvollziehbar. Hier wird immerhin der Nukleus einer Gesellschaft zu Grabe getragen. Die kleinste gemeinsame Nana.

So war es ihr größter Coup, sich nie zu erklären, nie politisch spitz zu formulieren, ihre Reden so zu halten, dass jeder und jede sich angesprochen fühlen durfte. Uneindeutig wie das Lächeln der Mona Lisa, die sonst für sich in Anspruch nehmen dürfte, die meistbesuchte Frau Europas zu sein. Sie brauchte keine Botschaften. Sie war die Botschaft. Das Überdauern der Jahrzehnte. Das Durchhalten. Die Beständigkeit. Die Manufaktum-Monarchin: Es gab sie noch, die guten Dinge.

Royaler Eskapismus als Ablenkung von der gruseligen Realität

Was wir in seltener Einmütigkeit betrauern, ist der Abbau der alten Gesellschaftsarchitektur. Der friedliebende Russe ist mit Gorbatschow schon vorgegangen. Der korruptionsresitente Intendant Pleitgen hat es ihm gleichgetan. Wir schauen in eine Zukunft, dominiert von ethisch schwerhörigen Chinesen, sozialen Verwerfungen und einem Rechtsruck in der EU. Im alten Europa geht das Saallicht an. Da darf man sich auch gerne mal selbst beweinen.

Und sich gleichsam ergötzen an diesem herrlichen royalen Eskapismus, der uns dann doch für ein paar Tage von den gruseligen Realitäten ablenkt, die uns in der unangenehm kühlen Bude zusätzlich frösteln lassen. Fragwürdiger Kolonialisierungsbackground + enthusiastisch besungene Führungskraft: Dieser ganze Queen-Zinnober ist selbst für Trashfreunde wie ein majestätischer Mashup aus Winnetou und Layla. Snackable Content. Angenehm unterkomplex und garantiert ohne die drohende Gefahr falscher Gefühle.

Am heutigen Montag kommt jeder auf seine Kosten. Seriöse Korrespondenten, die nun aufgrund des Standortnachteils von ihren öffentlich-rechtlichen Anstalten in London runtergeriekelt werden, obwohl sie zuletzt doch stets so tapfer von Johnson, Truss und Starmer reportiert hatten. Vor allem aber diejenigen, die zwischen "The Crown" und "Goldenem Blatt" alles wegbingen, was diese sensationell dysfunktionalen Edel-Fussbroichs so treiben.

Da jauchzen Fans shakespearscher Dramen genauso auf wie die, die keine Folge von "Succession" verpasst haben. Wäre Kendall Roy nicht sofort beim erstschlechtesten Anlass der Füller ausgelaufen, hätte er dann jemals an die Spitze gedurft? Und dass Andrew, während alle nahen Verwandten Liegenschaften in knapper Milliardenhöhe erben, von Mama nur die Corgis kriegt, so etwas Fieses wäre nicht einmal Stephen Fry eingefallen. Gut, okay, Andrew interessiert sich eh für nichts, das älter wird als 17.

Heute ist ein denkwürdiger Tag. Hier bekommt nur eine Jahrhundertfrau einen Abschied. Das Jahrhundert der stabilen Gewissheiten geht mit ihr. Wir werden bewegt sein, wir werden irritiert sein, vermutlich wird man sich selbst in Mekka die Augen reiben über diese seltsame Verehrung, diesem befremdlichen Kult um das Gebäude da in London.

Gleichgültig wird dieser 19. September niemandem sein. Das für denkende Menschen fast unerträgliche Dasein wird zuvorderst zusammengehalten von Ablenkung und Projektion. Lassen wir uns also mitreißen von dieser Insane Crown Posse. Wir werden uns recht bald deutlich weniger burgeoise amüsieren müssen. Morgen, da schalten wir schon wieder rüber zur Wiesn, in dem der Sohn von Uschi Glas versucht, mit Federkopfschmuck ins Käferzelt zu kommen. Und hat Boris Palmer eigentlich schon etwas zu Arielle gesagt?

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