Israel beim Eurovision Song Contest Kein bisschen Frieden

Israel schickt eine Jüdin und eine Palästinenserin zum Grand Prix - schönes Signal in Richtung Völkerverständigung könnte man meinen. In ihrer Heimat bekommen die Sängerinnen aber schon vorab null Punkte. Im stern.de-Interview wehrt sich Achinoam Nini gegen Propaganda-Vorwürfe.

Achinoam Nini und Mira Awad sind seit vielen Jahren Freundinnen. Für Israel nehmen die beiden Sängerinnen jetzt am Eurovision Song Contest in Moskau teil. Weil Nina Jüdin und Awad Palästinenserin ist, sorgt ihr Auftritt im Vorfeld für große Aufmerksamkeit. In ihrer Heimat werden die beiden heftig kritisiert. Der Vorwurf: Sie würden Propaganda für die israelische Regierung machen, die auf diese Weise Gleichberechtigung von Juden und Palästinensern simulieren wolle.

Frau Nini, unter ihrem Künstlernamen "Noa" machen Sie seit fast 20 Jahren Musik. Viele ihrer Songs waren internationale Hits. Warum haben Sie sich entschieden, Israel beim Grand Prix zu vertreten? Mangelnde Bekanntheit kann es ja wohl nicht gewesen sein.

Stimmt. Der Wettbewerb interessiert mich nicht besonders. Aber die Eurovisions-Bühne sehe ich als Plattform, die es ermöglicht, Musik mit einer Botschaft zu verbinden. Und das vor einem Millionen-Publikum.

Welche Botschaft haben Sie denn?

Ich möchte mit meiner langjährigen Kollegin und Freundin Mira laut und klar ausdrücken, dass eine Realität jenseits von Feindschaft und Krieg möglich ist. Dass es einen anderen Weg geben muss.

Ihr gemeinsamer Auftritt wurde als Beschönigung der Verhältnisse kritisiert.

Meine Freundschaft zu Mira basiert auf Respekt, Kommunikation und Liebe zur Musik. Natürlich ist unsere Zusammenarbeit nicht repräsentativ für das gegenwärtige Verhältnis von Juden und Palästinensern. Aber wir sind überzeugt davon, dass unsere Nationen die Waffen niederlegen und miteinander in Dialog treten sollten. Wir glauben, dass das, was zwei Menschen im Kleinen erreichen können, auch auf größerer Ebene möglich sein kann. Wir schwenken die Fahne der Hoffnung.

Sie wurden von Israels offizieller Rundfunkanstalt ausgewählt, der Israel Broadcasting Authority.

Mira und ich sind beide israelische Staatsbürgerinnen. Natürlich wurden wir von unserem Land ausgewählt. Das heißt aber nicht, dass die israelische Regierung uns vorschreibt, was wir zu sagen oder zu singen haben. Sonst hätten wir nie zugestimmt. Außerdem werden wir auf englisch, hebräisch und arabisch singen. Arabisch war noch nie bei einem israelischen Beitrag zu hören. Darauf sind wir stolz.

Viele Künstler und Intellektuelle haben eine Petition unterzeichnet, die Ihren Auftritt als "Propaganda-Trick" kritisiert.

Wäre unsere Nominierung nicht mitten im Gaza-Krieg bekannt gegeben worden, hätte es diese Vorwürfe vermutlich nicht gegeben. Zunächst wurde ich gefragt, und es war mein Vorschlag, zusammen mit Mira aufzutreten. Wenn es ein "Trick" der Regierung gewesen wäre, hätten sie von Anfang an uns beide gefragt, oder nicht? Unsere Zusammenarbeit ist keine "Erfindung". Wir haben vorher gemeinsam gesungen und werden es auch weiterhin tun.

Stört es Sie manchmal, dass Ihre Musik in einen politischen Kontext gerückt wird, bloß, weil Sie Israelin sind?

Ich schreibe humanistische Lieder, keine politischen. Und ja, manchmal stört es mich, dass sie politisch interpretiert werden. Aber solange kein Frieden herrscht, kann ich dem wohl nicht entkommen. Ich versuche, eine Botschaft der Hoffnung und des friedlichen Miteinanders zu verbreiten. Deshalb nehme ich am Eurovision Song Contest teil.

Ihr Lied heißt "There must be annother way" - es muss einen anderen Weg geben. Wie sieht der aus?

Erstens: Anerkennung. Die politischen Köpfe beider Nationen müssen unterschreiben, dass sie das Leben, die Freiheit, Unabhängigkeit und Identität und Entfaltung der anderen Seite akzeptieren. Zweitens: Entschuldigung. Beide Seiten haben im Namen verschiedener Ideale schreckliche Dinge getan. Drittens: Teilen. Beide Seiten sollten sich von ihrem Anspruch auf das komplette Ganze verabschieden. Frieden ist nur durch den Kompromiss möglich. In unserem kleinen Land müssen wir zwei Staaten erschaffen, Israel und Palästina. Und wir müssen friedlich und respektvoll Seite an Seite leben.

Im Januar haben Sie einen offenen Brief an die Palästinenser im Gaza-Streifen geschrieben. Darin haben Sie die Hamas als "Krebsgeschwür" bezeichnet, das Israel den Gaza-Bewohnern "heraus reißen" müsse.

Ich habe damals sehr impulsiv reagiert und das bedaure ich. Weil mein Brief als Unterstützung für die Angriffe gewertet wurde. Ich unterstütze keinen Krieg, egal von welcher Seite. Krieg ist ein primitiver Ersatz für Dialog. Aber ich bin überzeugt davon, dass die Hamas nicht nur dem Friedenprozess hinderlich ist, sondern auch dem Wohlbefinden der Palästinenser. Dieser Eindruck wird durch meine palästinensischen Freunde bestätigt. Ich habe Jahre damit verbracht, meine Regierung dafür zu kritisieren, Möglichkeiten der friedlichen Annäherung nicht zu ergreifen. Leider sehe ich von dieser Form der Kritik auf der anderen Seite des Zauns nur wenig.

Interview: Andrea Ritter

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