Johnny Cash Die Musik nach dem Endspiel

  • von Kathrin Buchner
Sonnenschein und Fußballfieber - es gibt wohl keinen ungünstigeren Zeitpunkt, um sein musikalisches Vermächtnis zu veröffentlichen. Auf "American V: A Hundred Highways" befinden sich die letzten Songs, die Johnny Cash kurz vor seinem Tod aufgenommen hat.

Gerade drei Monate ist es her, da war Johnny Cash in aller Munde: Mit "Walk the Line" wurde dem am 12. September 2003 verstorbenen Großmeister des erdigen Gitarrensounds ein filmisches Denkmal gesetzt. Ein Erfolg auf der ganzen Linie: von den Kritikern bejubelt, von den Zuschauern geliebt brachte der Streifen eine Menge Geld ein. Er wurde zudem mit Oscars gekrönt und hievte Johnny Cash posthum in die Hollywood Hall of Fame - eine Ehre, die ihm zu Lebzeiten durchaus zweifelhaft erschienen wäre.

Die dazu erschienene Compilation "The Legend of Johnny Cash" verkaufte sich allein in den USA pro Woche 40.000 Mal. Und die Vermarktungsmaschinerie geht weiter. Produktions-Titan Rick Rubin, der die Aufnahmen betreute, hat sich nämlich doch noch entschlossen, Cashs unvollendet gebliebenes Werk "American V" zu veröffentlichen. Inmitten flirrender Sommerhitze zum kollektiven Ballrausch erhebt sich diese tiefe, dunkle Stimme, leicht gebrochenen und so ideal geeignet, die großen Gefühle zu besingen. Er selbst hatte zu Beginn der Aufnahmen den größten Verlust seines Lebens zu betrauern, von dem er sich nicht mehr erholen sollte. Seine Frau June Carter, die Liebe und Stütze seines Lebens, war im Mai 2003 gestorben. Und Johnny Cash, innerlich gebrochen und körperlich angeschlagen, war wild entschlossen, sein letztes Album noch zu Ende zu bringen. Das ist ihm nicht wirklich gelungen, die Postproduktion übernahm Produzent Rick Rubin mit diversen Musikern, aber zumindest die Gesangsspuren sind das letzte Zeugnis einer unglaublichen Stimme.

Aufnahmen hielten Cash am Leben

Höhepunkt des Albums ist "Like The 309", der allerletzte Song, den Johnny Cash komponierte. Ein wunderbar beschwingtes Stück, das vom Aufbruch handelt, dem Unterwegssein im weiten amerikanischen Hinterland. Man spürt förmlich das Dahinrattern der Räder der Eisenbahn, Cashs Stimme ist unglaublich energetisch, trotz seines angeschlagenen Zustands. In seinen letzten Monaten standen ihm immer Gitarristen und Toningenieure zur Seite, die sofort loslegten, wenn Cash sich fit genug fühlte. "Er sagte, diese Aufnahmen seien der wichtigste Grund, um am Leben zu bleiben", sagt Produzent Rick Rubin, der sich um die Rundum-Versorgung kümmerte. "Unser zentrales Anliegen waren ausgezeichnete Gesangsaufnahmen. Johnny nahm dann immer einen Song auf, schickte ihn mir rüber, und ich bastelte dann an einem Track als Unterbau."

Abschiedsgruß an die gerade verstorbene Frau

Noch ein weiterer Song aus Cashs Feder ist "I Came to Believe", ein Stück aus früheren Jahre, in dem er sich mit den Qualen seiner Drogenabhängigkeit auseinandersetzte und um Beistand bei einer höheren Macht sucht. Die Zerbrochenheit ist in jeder Zeile zu hören. Trotzdem transportiert der Song diese unglaubliche Zuversicht, die seine Musik ausmacht. Obwohl der Rest der Lieder aus fremden Federn stammt - durch die intensive Stimme Cashs und seiner ganz eigenen Art der Interpretation werden sie zu seinen Werken. Sei es das Spiritual "God's Gonna Cut You Down", das von Bruce Springsteen geschriebene "Further on (up on the road)" oder Hank Williams' "On the Evening Train", das wie ein Abschiedsgesang für seine gerade verstorbene Gattin klingt, sentimental, melancholisch und zutiefst verletzt. Pur und ohne Schnörkel - die meisten Songs sind nur von Gitarren, gelegentlich einem Keyboard, manchmal ein bisschen zu viel von säuseligen Streichern begleitet. Die hätte man auch weglassen können, denn mehr als Gitarre braucht es definitiv nicht für Cashs Requiem, die letzte Botschaft an seine Fans.

Musik als Trost nach dem Sommerpartyrausch

Auch wenn man nach dem sensationellen Erfolg des Johnny-Cash-Films ein wenig Zeit verstreichen lassen wollte, der Moment der Veröffentlichung dieses großen Vermächtnisses ist denkbar schlecht gewählt. Aber sei's drum - echte Cash-Fans werden die Muße finden, zwischen Strandclub und WM-Leinwand die Vorhänge zuzuziehen und die Außenwelt auszusperren, um die letzte Worte des Großmeisters gebührend zu zelebrieren. Sie sind es wert. Schließlich hat die Botschaft auch noch Bestand, wenn der Sommerpartyrausch vorbei ist. Überleben in schweren Zeiten, weitermachen und an sich und eine höhere Macht, die einen führt, glauben. Spätestens in einer Woche, wenn der Durchhänger nach dem WM-Hype kommt, werden wir dieses Album dringend benötigen. Danke, Johnny, und ruhe in Frieden!

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