Der Mann hat ein Gespür dafür, wann seine Stimme gehört wird: Passend zum EU-Lateinamerika-Gipfel in Peru, dem Besuch der Bundeskanzlerin in seinem Heimatland Kolumbien und den beiden Mega-Benefizkonzerten in Mexiko-Stadt und Buenos Aires hat Grammy-Gewinner Juanes eine Charme-Offensive in Richtung Angela Merkel gestartet.
Im Gespräch mit stern.de lädt der südamerkanische Musiker die deutsche Regierungschefin zu seinem Konzert in Berlin am 4. Juni ein. Hinter den Kulissen laufen die Drähte heiß: "Wir arbeiten bereits mit der deutschen Botschaft in Bogota zusammen, damit wir deutsche Regierungsvertreter und Parlamentarier an unserer Arbeit beteiligen können", sagt Juanes. Ein Treffen mit Angela Merkel sei dafür eine tolle Gelegenheit.
Das Werben um die Gunst der Bundeskanzlerin hat einen ernsten Hintergrund: Juanes und die gesamte erste Riege der lateinamerikanischen Superstars haben eine Initiative (ALAS) zur Bekämpfung der Kinderarmut auf ihrem Kontinent gegründet. Um ihrem Anliegen Gehör zu verschaffen, laden die Top-Stars am Samstag zu zwei Gratis-Benefizkonzerten ein. Rund 350.000 Menschen werden erwartet, wenn unter anderem Shakira und Alejandro Sanz in Buenos Aires oder Juanes und Ricky Martin in Mexiko-Stadt den Zuschauern als Eintrittskarte nur ein Versprechen abringen: Sich für die Zukunft der Kinder Lateinamerikas einzusetzen. Das Interesse ist riesengroß, aber mehr Menschen fassen die Austragungsorte in den beiden Mega-Städten einfach nicht.
Kontinental übergreifende Zusammenarbeit
Die lateinamerkanischen Künstler machen vor, womit die Politik noch Schwierigkeiten hat: Eine kontinental übergreifende Zusammenarbeit. Schon lange war die Gefahr eines Krieges in Südamerika nicht mehr so groß wie in diesen Wochen. Vor allem Venezuelas Staatschef Hugo Chavez profiliert sich in der Region als verbaler Aggressor. Angela Merkel verglich er kürzlich sogar mit Adolf Hitler. Da wäre der charmante Juanes ein deutlich angenehmerer Gesprächpartner für Angela Merkel, auch wenn die Themen ernst sind. In seiner Heimat Kolumbien tobt seit Jahrzehnten ein blutiger Bürgerkrieg zwischen der kolumbianischen Armee, linken Guerilla-Gruppen und rechten Paramilitärs.
Mitten drin stecken die skrupellosen Drogenkartelle, die oft mit beiden Partein unter einer Decke stecken. Selbst Landminen werden eingesetzt - mit schrecklichen Folgen für die Opfer. Genau gegen diese blutige Praxis kämpft die Juanes-Stiftung "Mi sangre". Damit das ewige Blutvergießen in Kolumbien ein Ende hat, will Juanes die Kanzlerin um Vermittlung bitten: "Sie könnte einen Teil dazu beitragen, eine Verhandlungslösung im internen kolumbianischen Konflikt voranzutreiben."
Am Samstag wird die Bundeskanzlerin in der kolumbianischen Hauptstadt Bogota erwartet. Angesichts der schwierigen Situation in der konfliktbeladenen Region wird es ein heikler Besuch. "Wir würden uns wünschen, dass Länder wie Deutschland sich mit der Situation in Kolumbien solidarisieren und uns helfen, eine Lösung auf dem Verhandlungswege zu erzielen. Dies könnte auch Vorschläge beinhalten, wie man den vielen Opfern helfen kann", sagt Juanes. Rund vier Millionen Binnenflüchtlinge hat der Krieg nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen in seinem Heimatland produziert. Diese leben oft in unvorstellbarem Elend in den Slums der Millionenstädte wie Shakiras Heimatstadt Barranquilla. Sie ist gemeinsam mit Juanes einer der prominensten ALAS-Kämpferinnen gegen die Armut in Lateinamerika.
Kriminalität, Drogenhandel und Gewalt
Vor ihrem Besuch in Bogota ist Angela Merkel in der peruanischen Hauptstadt Lima beim EU-Lateinamerika-Gipfel gefordert. Ob dort mehr als nur die üblichen Absichtserklärungen in Sachen Armutsbekämpfung zu erwarten sind, werden die Verhandlungen zeigen. Für Juanes steht jedenfalls fest, was die Staats- und Regierungschefs Europas und Lateinamerikas zu tun haben: "Um Frieden und Gerechtigkeit in den lateinamerikanischen Ländern zu erreichen, müssen wir unsere Aufmerksamkeit auf die Kinder richten. Wir brauchen Erziehungsprogramme, die schon in frühster Kindheit wichtige Werte des Zusammenlebens vermitteln."
Die Realität sieht aber anders aus: Rund 8,5 Millionen lateinamerikanischer Kinder sind nicht einmal amtlich registriert. Schule ist für viele Millionen Jungen und Mädchen ein Fremdwort, die ausweglose Lage ist eine Brutstätte für Kriminalität, Drogenhandel und Gewalt. Dieses Übel wollen die Stars nun bei der Wurzel anpacken. Angela Merkel soll dabei mit ihrem Einfluss helfen. "Ich möchte dazu beitragen, dass es einen dauerhaften Frieden in Kolumbien gibt", sagt Juanes. "Mein Ziel ist es, mich mit meinen Möglichkeiten dafür einzusetzen, dass das Recht auf Frieden und ein Leben in Frieden ein Teil der fundamentalen Menschenrechte wird." Dafür wird er am Samstag in Mexiko-Stadt das tun, was er am Besten kann: Singen. Ob er das auch am 4. Juni in Berlin für die Bundeskanzlerin tun darf, muss Angela Merkel selbst entscheiden. Ein Platz in der ersten Reihe ist jedenfalls frei.