Es beginnt mit einem kleinen Monolog. Auf der Bühne sitzt Vater Weston, das graue Haar geheimratseckig, und philosophiert über das Leben im Allgemeinen und den Zustand seiner Ehe im Besonderen. Er hält sich an einem Glas Whiskey fest, als er sagt: Ich trinke, darum nimmt meine Frau Tabletten, meine Frau nimmt Tabletten, darum trinke ich. Und dann verschwindet Vater Weston, für immer.
Ein Pulitzer-Preis für den Autoren
So beginnt "August: Osage County", ein Theaterstück, das derzeit im "Music Box Theatre" am New Yorker Broadway aufgeführt wird. Und das man so schnell nicht vergisst, wenn man es gesehen hat. Es handelt von Mutter Weston und ihren drei erwachsenen Töchtern, die sie einbestellt, damit sie ihr nach dem Verschwinden ihres Mannes beistehen, es ist ein Familiendrama, wie man es besser nicht schreiben kann: heiter und finster zugleich. Tracy Letts, der Autor von "August: Osage County", erhielt im April einen Pulitzer-Preis dafür, im Juni wurde sein Stück mit fünf Tonys ausgezeichnet, den Oscars der Bühnenwelt, unter anderem in den Kategorien "bestes Theaterstück" und "beste Hauptdarstellerin".
Die hieß damals noch Deanna Dunagan, 68. Sie spielte Violet Weston, die Matriarchin, doch diese Violet Weston ist eine derart destruktive, kranke Frau, dass Mrs. Dunagan eine Auszeit brauchte: Die Rolle habe sie erschöpft, sagt sie. Verständlich: Wenn man das Theater nach drei Akten und über drei Stunden verlässt, ist man ziemlich mitgenommen. Mutter Weston saugt die Zuschauer aus - jetzt erst recht, da es eine neue beste Hauptdarstellerin gibt: Estelle Parsons, 80. Die als Höllenweib "bloody magnificent" ist, wie es das Stadtmagazin "Time Out New York" formuliert: verdammt großartig.
Pillen einwerfen wie Tic Tacs
"August: Osage County" sei "das aufregendste, neue Theaterstück, das der Broadway seit Jahren gesehen hat", schrieb die "New York Times" nach der Premiere im vergangenen Dezember - doch dann wurde am Broadway gestreikt und man sah erst einmal gar nichts mehr. Seit drei Monaten läuft das Stück wieder, und nun überschlägt die Presse sich erneut - wegen Mrs. Parsons, die Violet Weston mit einer teuflischen Hingabe mimt. Parsons hat kurzes, braunes Haar und eine wunderbar kiebige Stimme, die an einen Kakadu erinnert. Sie tritt bald nach dem Monolog von Vater Weston auf, in dem sie tablettenumnächtigt eine Treppe herunter stolpert. Und dann beginnt sie, den Rest der Familie an die Wand zu keifen, denn Mutter Weston, die Pillen einwirft wie Tic Tacs, ist nur dann glücklich, wenn sie verbale Giftpfeile verschießen kann: Trifft sie, blitzen ihre Augen triumphierend.
Estelle Parsons gewann 1967 einen Oscar als beste Nebendarstellerin in "Bonnie und Clyde" und wurde 1968 für ihre Rolle in "Die Liebe eines Sommers" erneut für einen Academy Award nominiert. Später spielte sie in der amerikanischen TV-Serie "Roseanne" die Mutter von Roseanne Barr. Am Broadway trat sie zuletzt vor sechs Jahren auf, danach wurde es ruhig um sie. Nun feiert Estelle Parsons ein überraschendes Comeback, fast möchte man sagen: auf ihre alten Tage. Aber wenn man sie sieht, kann man sich nur schwer vorstellen, dass diese Dame im November ihren 81. Geburtstag feiern soll. Sie ist unfassbar rüstig, was Mrs. Parsons auf Yoga zurückführt, das sie seit über 30 Jahren betreibt. "Da bin ich nun, Frau Gesund, und spiele diese Drogensüchtige!", sagt Parsons und lacht.
Die Abgründe einer Familie
Die Westons sind ein ziemlich kaputter Clan aus Pawhuska, Oklahoma, deren Heim wie ein lebensgroßes Puppenhaus auf der Bühne steht: Drei Etagen, mehrere Zimmer, die bis unter das Dach bespielt werden. Violet und Beverly Weston, ihr trinkender Gatte, sind seit über 30 Jahren verheiratet. Er war mal ein Professor und Schriftsteller, nun verschwindet er. Also tauchen auf: die drei Töchter. Und es tun sich auf: diverse Abgründe. Da ist Ivy, ein Mäuschen, das in der Nähe der Eltern lebt und von Mutter Weston gern als Lesbe bezeichnet wird, denn Ivy hat offiziell keinen Mann; inoffiziell hat sie eine Affäre mit ihrem Cousin, der in der Familie nur Little Charles genannt wird, kleiner Charles. Der, das stellt sich später heraus, ist gar nicht ihr Cousin. Und da ist Karen, die aus Florida anreist und von ihrem verkorksten Liebesleben berichtet, doch nun sei sie schrecklich glücklich: Sie hat ihren Verlobten dabei, einen etwas schmierigen Typen, der sehr bald sehr angetan ist von Karens minderjähriger Nichte. Denn da ist ja noch Barbara, die älteste der Weston-Töchter, die aus Colorado angefahren kommt - mit ihrem Mann und ihrer Tochter Jean, einem aufmüpfigen Teenager, der hinter ihrem Rücken kifft. Barbaras Ehe, das wird schnell klar, ist so gut wie vorbei. Und als der Sheriff vor der Tür und sagt: Hey, Folks, ich habe eine schlechte Nachricht, wir haben Mr. Weston gefunden, er hat sich das Leben genommen - da muss Barbara ihren Vater identifizieren. Das alles ist ein bisschen viel für sie, der Zuschauer muss mit ansehen, wie Barbara sich im Laufe des Stückes zu einem Spiegelbild ihrer Mutter entwickelt, die über allen steht und munter durch den Abend giftet. Bis sie eine Tablette zu viel nimmt.
"August: Osage County" ist ein Drama, verpackt in fröhlich-sarkastische Dialoge: "Gott sei Dank können wir nicht in die Zukunft blicken", sagt Barbara einmal, "sonst würden wir morgens niemals aufstehen." Großes Gelächter. Manchmal hat man während der drei Stunden im "Music Box Theatre" das Gefühl, daheim auf dem Sofa zu sitzen und eine Sitcom anzuschauen, nach der man süchtig ist. Man möchte noch eine Folge sehen und noch eine - aber dann geht das Licht aus und wieder an, die Darsteller verbeugen sich. Und Estelle Parsons lacht, als sei nichts gewesen.
"August: Osage County" läuft noch bis Anfang 2009 im "Music Box Theatre", 239 West 45th Street (zwischen Broadway und 8. Avenue), Tel. 001-212-239 6200