Mr. Weller, zehn Solo-Alben in 18 Jahren - viele Künstler nehmen sich Auszeiten und schrauben jahrelang an ihren Platten, für Sie scheint das nicht zu gelten.
Wenn ich könnte, würde ich jedes Jahr ein Album herausbringen, aber dafür fehlt dann doch die Zeit. Wenn ich einmal nicht mehr bin, dann soll da ein ordentlicher Brocken Musik zurückbleiben. Nun läuft mir nicht gerade die Zeit weg, aber das Leben ist kurz und ich will soviel arbeiten und schaffen, wie es geht. Ich will mit meiner Musik Spuren hinterlassen.
Mit Bruce Foxton war der damalige Bassist Ihrer Band The Jam beteiligt. Wie war es, zum ersten Mal nach 28 Jahren wieder mit dem einstigen Weggefährten Musik zu machen?
Ich dachte, es könnte ein wenig merkwürdig werden. Wir würden vielleicht fremdeln nach all den Jahren, aber so war es gar nicht. Wir waren schon nervös, aber sobald die Musik lief, war alles bestens.
Dachten Sie dabei an mögliche ...
Nein.
... Schlagzeilen bezüglich einer Jam-Reunion, die diese Zusammenarbeit auslösen würde?
Na klar, daran habe ich gedacht, aber es war mir letztlich egal, und so wild war es dann auch gar nicht. Davon abgesehen gibt es die Gerüchte ohnehin mit schöner Regelmäßigkeit. Wenn sich irgendwo eine alte Band wieder zusammentut, dann wird auch immer über The Jam gemunkelt. Ich habe mich daran gewöhnt, aber es wird niemals passieren. Nicht in den letzten 28 Jahren und auch nicht in den nächsten. Never ever!
"Wake Up the Nation" ist der wohl expliziteste Titel Ihrer Soloplatten. Welchen Schlaf schläft denn da die Nation?
Es resultiert aus einer gewissen Ödnis, die ich empfinde. Niemand geht Risiken ein, alle gehen auf Nummer sicher. In der Kunst, in der Musik, im TV. Das soll gar nicht mal so sehr ein politisches Statement sein, ich frage mich einfach auch: Wo gibt es denn mal wieder neue aufregende Bands? Alle drehen auf Nonsens wie die Castingshow "X-Factor" durch. Oder verbrennen Zeit mit Schwachsinn wie Facebook. Es ist bizarr. Wo ist denn das gute, alte Telefonat geblieben? Warum ruft ihr euch nicht einfach an und sprecht mal wieder miteinander?
Sie haben selbst Kinder, sind dieser Internet-Generation damit durchaus sehr nahe. Wird das manchmal zum Problem?
Was soll ich da machen? Das ist der Gang der Dinge. Mein 4-Jähriger beherrscht schon den Computer, da kann ich dem Fortschritt dann auch nicht mehr im Weg stehen. Selbst ich habe jetzt angefangen, SMS zu schreiben.
Wie lebt der Nachwuchs mit einem Vater, der zu den angesehensten Künstlern des Landes gehört?
Für die bin ich am Ende des Tages einfach nur Dad. Sie wissen, was ich tue. Sie kommen zu meinen Shows.
Mit ihrem ältesten Sohn Natt standen Sie jüngst gemeinsam auf der Bühne.
Ja, das war absolut großartig. Er hat das Zeug dazu. Schauen Sie sich Bilder von ihm an, er sieht jetzt bereits aus wie ein echter Rockstar. Meinem Jüngsten werde ich zum nächsten Geburtstag eine Gitarre schenken. Ich hoffe, dass er auch bald einmal mit auf die Bühne kommt.
Wie sieht denn Revolte im Hause Weller aus, wenn der Vater bereits ein Rockstar ist? Kann es passieren, dass der Jüngste aus Trotz plötzlich Banker werden will?
Oh Mann, da wäre ich wirklich sehr, sehr enttäuscht. Das wäre das Schlimmste, was passieren könnte. Aber: Solange die Kids glücklich sind, sollen sie ihr Ding machen. Ich werde ihnen da nicht im Wege stehen, auch wenn ich mir wünsche, sie würden Musiker werden.
Wie geht es Ihnen, wenn Sie sich selbst als Jüngling in alten Jam-Videos sehen. Dieser dürre, aggressive Bengel - steht der Ihnen noch nahe?
Ja, absolut. Ich würde heute Sachen anders machen, aber ich trage diese Energie immer noch in mir. Natürlich ändern sich Sichtweisen, anders geht es nicht, dennoch: Das bin immer noch ich, ich erkenne mich darin von Grund auf wieder.
Ihre Stimme war damals bereits schon sehr tief und dunkel, haben Sie sich als Sänger von Anfang an wohl gefühlt?
Nein, ganz und gar nicht. Es hat fast 30 Jahre gedauert, bis ich mich an meine Stimme gewöhnt habe. Erst die letzten Jahre, genauer gesagt, auf den letzten beiden Alben bin ich damit zufrieden. Vorher war das oft sehr frustrierend für mich.
Neben der Musik war von Beginn an Mode und Outfit ein wichtiger Aspekt für Sie.
Als Kind der 60er Jahre bin ich mit Bands aufgewachsen, die einfach alle gut aussahen. Musik und Klamotten gehörten immer zusammen. Das ganze Mod-Ding, die Frisuren, die Popkultur, das hat mich zutiefst geprägt. Meine Mutter war sehr trendy, auch wenn es damals in meiner Heimatstadt Woking nur zwei Boutiquen gab. Ich stand stundenlang davor und habe ins Schaufenster gestarrt.
Sie haben selbst schon für das Modelabel Fred Perry Polohemden entworfen.
Ja, und ich würde gern mehr machen. Menswear, Klamotten für Frauen, für Kinder, einfach alles. Gut geschnittenes Zeug zu moderaten Preisen, das wäre es.
Die Wertschätzung, die Sie heute erfahren, gab es nicht immer. Anfang der 90er Jahre hatten Sie eine tiefe Krise.
Ich wusste nicht mehr so genau, wo es lang geht. Ich fühlte mich künstlerisch ausgebrannt. Aber ich musste wohl durch dieses Tief durch, um weitermachen zu können. Umso befriedigender war es, als die Leute mich Mitte der 90er quasi wiederentdeckten.
Anno 2010 bekommen Sie Preise von Magazinen wie dem "New Musical Express", die Sie einst mit Häme überzogen. Haben Sie keine komischen Gefühle dabei?
Ach, was soll es. Was nützen dir Bitterkeit oder negative Gefühle? Ich schaue nur nach vorn. Ich versuche, das Gute zu sehen. Hey, ich bin jetzt ein "Godlike Genius". Das ist doch schon mal was. Es ist anscheinend Teil der englischen Psyche: Du darfst nicht erfolgreich sein, wenn du dich nicht auch von Zeit zu Zeit schlagen lässt.