Sie trägt ein weißes Hemd mit Rüschen, eine schwarze, hautenge Hose, knielang, und schwarze Pumps mit Absätzen, die bei Turnschuhträgerinnen Höhenangst auslösen. Eine Angst, die ihr fremd sein muss, denn sie schwebt jetzt zwei, drei Meter über ihrem Publikum, auf einem Laufsteg, der ausgefahren wurde wie eine Feuerwehrleiter und nun von links nach rechts und wieder zurück schwenkt. Tina Turner, 69, lehnt dort oben am Geländer, ein Mikrofon in der rechten Hand, und schaut hinab.
Nutbush … Oh … Nutbush
Sie tritt an diesem Abend in New York auf, im großen Madison Square Garden; es gibt gerade nicht besonders viel zu tun für sie, denn ihre Band spielt "Nutbush City Limits" - und 20.000 Zuschauer singen für sie: They call it Nutbush … Oh … Nutbush.
20.000 minus zwei, denn nun entdeckt Tina Turner Tom Cruise und seine Gattin Katie Holmes, die hübsche Plätze haben in Bühnennähe. "Uh, da ist Tom Cruise", ruft Tina Turner und winkt, "hey, Tommy!" Tommy schaut sprachlos zu ihr auf und grinst sein Zahnpastagrinsen, Katie schmiegt sich sprachlos an ihn und grinst. "Sing it, Tom!", ruft Tina Turner - und dann singen auch Tommy und Katie: Nutbush … Oh … Nutbush.
Sie könnten nun sämtliche Scheinwerfer ausschalten, Tina Turner allein würde die Arena beleuchten: Sie steht auf ihrem Laufsteg und strahlt wie das Chrysler Building bei Nacht. Was für ein Vergnügen, sie wieder zu sehen.
Reise in die Vergangenheit
Die große Tina Turner ist zurück auf der Bühne, nach acht Jahren, in denen sie vielleicht ihrem Lebensgefährten etwas vorgesungen hat, nicht aber ihrem Publikum; die Dame privatisierte. In den vergangenen drei Monaten jedoch tourte sie triumphal durch Nordamerika - und nun kommt Tina Turner für 16 Konzerte auch nach Deutschland: Das erste findet am 14. Januar in Köln statt.
Tina Turner bringt vier Tänzerinnen mit, die in güldenen Hotpants und BHs umhertrippeln, als wären sie frisch aus einem "Victoria's Secret"-Katalog geschlüpft. Sie beginnt ihre Show mit einer ziemlich rauchigen Version von "Steamy Windows", dann singt sie "Typical Male" - und dann begrüßt sie ihre Zuschauer: Dieser Abend sei "a recap", wie Tina Turner sagt, eine kurze Wiederholung ihrer Vergangenheit, aber besonders kurz fällt diese Wiederholung natürlich nicht aus.
Tina Turner hat keine neuen Songs dabei, sie präsentiert einfach Tina Turner at her best, zwei Stunden lang, eine wunderbare Reise in die Vergangenheit. Das Einzige, was man ihr auf dieser Reise vorwerfen kann, sind die 30 Minuten Pause. Die braucht kein Mensch, nachdem sie gerade "We Don't Need Another Hero" gesungen hat, in ihrem "Mad Max"-Filmkostüm mit klavierbreiten Schulterpolstern und platinblonder Perücke.
"Arbeite gefälligst wieder!"
Damals, nach ihrer Tournee im Jahr 2000, sagte sie "Farewell" und schien es ernst zu meinen: Tina Turner lebte ein leises Leben, sie renovierte ihre Villa bei Zürich, schuf sich ein Neorokoko-Palästchen mit Wellnessbereich (Sauna, Whirlpool, Massageraum); sie machte es sich schön, ohne dass die Öffentlichkeit etwas davon mitbekam. Aber dann riefen die Leute von der Grammy-Academy an und hatten eine Idee: Die Grammys sollten zum 50. Mal vergeben werden - und vielleicht könnte sie die Veranstaltung krönen, mit einer kleinen Performance?
Tja, und dann trat Tina Turner im vergangenen Februar bei der 50. Grammy-Verleihung auf. Sie sang "Proud Mary", im Duett mit Beyoncé, die ihre Enkelin sein könnte und neben Tina ein bisschen alt aussah: Beyoncé ist ein hübsches Mädchen mit hübscher Stimme - Tina Turner ist Tina Turner und klingt wie keine andere. Ihre tiefe, immer etwas knurrige Stimme ist seit fünf Jahrzehnten eine Hausmarke. Ihr Gesicht hingegen sieht aus wie neu: jung, vital, faltenfrei. Was laut Tina Turner einzig am Buddhismus liegt: "Er hilft mir, positiv zu denken und glücklich zu sein." Ja, gut.
Jedenfalls: Nach ihrem Grammy-Auftritt nahm ihre Freundin Sophia Loren sie ins Gebet. "Tina", sprach Sophia, "du hattest genug Freizeit. Arbeite gefälligst wieder!" Und dann, so erzählt Tina Turner, habe sie darüber meditiert - und schließlich ihre "50th Anniversary Tour" angekündigt, mit der sie nun unterwegs ist.
Natürlich wird auch Eitelkeit damit zu tun haben, dass sie nun wieder auf der Bühne steht (kann ich's noch, will man mich noch?), aber sie tritt so fröhlich auf, so nett auch, so respektvoll gegenüber ihrer Band, dass man am Ende das Gefühl hat: Hier geht es um Freude, diese Tournee ist ein Geschenk. Vor allem für Tina Turner.