"Polizeiruf 110"-Kritik Hörspiel für Pfeife und Ohrensessel

Gequälte Seelen und Nervenbündel wohin man schaut. Reden soll in solchen Situationen ja helfen, doch der "Polizeiruf" aus Rostock zerquatscht nach fulminantem Beginn schnell jegliche Spannung.

Zu Beginn eine kurze Umfrage unter Menschen in Führungspositionen, die regelmäßig große Reden schwingen müssen. Proben sie ihre Vorträge auch auf der Toilette? Ja? Nur sie allein im Widerhall der Badfliesen? Im Fernsehen war diese Angewohnheit in letzter Zeit öfters zu sehen: In einer der ersten Szenen des "Breaking-Bad"-Ablegers "Better call Saul" übt Anwalt James McGill, der spätere Saul Goodman, sein Plädoyer auf dem Gerichtsabort. Auch in Rostock geht Vizefirmenchef Sebastian Lehm (Ole Schloßhauer) in der Klokabine noch schnell seine Managerphrasen für ein anstehendes Zeitunginterview durch. Wie McGill ist Lehm eher ein Ritter der traurigen Gestalt, und das war's auch schon mit dem Vergleich der beiden Sendungen. Obwohl sie beide auch ihren Sinn für Tristesse, ihre unkonventionellen Erzählmuster und den hervorragenden Ruf teilen.

Leider muss der "Polizeiruf 110" mit deutlich weniger Zeit auskommen, weswegen jeder, der in der neuen Folge "Sturm im Kopf" irgendwie einmal wichtig wird oder auch nicht, in Nullkommanichts auftaucht und wieder verschwindet: Das Opfer, zack, tot im Auto. Der Täter, zack, daneben. Ein Botenkind, zack, der nervöse Vizechef, ein Journalist, die Karriereblondine, die Ermittler, zack, zack, zack. Und als wäre das nicht schon hübsch und flott genug, stellen Florian Oeller (Buch) und Christian von Castelberg (Regie) dem Ganzen noch einen Schnelldurchlauf der gesamten Episode voran, dynamisch unterlegt mit ein paar schweren Gitarrenriffs. Das wirkt alles modern und schön und schnittig, leider war es das aber auch schon mit dem Tempo. Was folgt ist ein Hörspiel für einen Abend mit Pfeife und Ohrensessel.

Denn nach diesen fulminanten Minuten folgen vor allem Dialoge. Schwere Dialoge, notwendige Dialoge, auch emotionale Dialoge, aber eben Dialoge - zäh, spannungsbremsend und oft anstrengend. Dabei ist die Geschichte nur leicht kompliziert: Der Windkraftanlagenbauer Achim Hiller wird ermordet in einem Auto gefunden. Der Killer hat dabei ganze Arbeit geleistet und deutlich mehr als nötig auf den Mann eingeschossen. Kurz darauf bricht ein gewisser Max Schwarz in den Armen einer Straßenmusikerin zusammen. Seine letzten Worte lauten: "Ich glaube, ich habe jemanden umgebracht." Er landet mit Amnesie in der Geschlossenen und kann sich weder an die Tat erinnern noch an sein Leben davor, selbst seine Frau bleibt ihm fremd. Was also nun?

Das alte Krimiklischee

Die Beamten Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und Alexander Bukow (Charly Hübner) wissen auch nicht so recht, warum Schwarz, der als Systemadministrator bei der Hilgro Wind AG arbeitet, seinen Chef ermordet haben soll. Weitere Probleme erscheinen ihnen in den Gestalten der Staatssekretärin Carola Willkotte (Barbara Schnitzler) sowie des Ex-LKA-Mannes Weigert (Hansjürgen Hürrig). Die beiden machen schnell deutlich, dass sich hinter dem Mord mehr verbirgt, seine Aufklärung auf ihrer Wunschliste aber nicht ganz oben steht.

Letztlich entpuppt sich der Fall als Erpressung nebst unappetitlicher Verquickung von Politik und Wirtschaft. Das alte Krimiklischee: Die höheren Hände waschen sich gegenseitig die Hände und die Ehrlichen sind am Ende die Dummen. Und doch - es folgt Rache über Bande und Bob Dylan. Sein Song "Blowin' in the wind" ist das von allen Beteiligten gesuchte Passwort, das die Erpressungsmaterialien freigibt. Kommissarin König spielt sie dem Journalisten zu und lässt ihn die weitere Aufklärung erledigen. Notgedrungen.

Was soll man von diesem "Polizeiruf" nun halten? Ja, die Beteiligten überzeugen allesamt als gequälte Seelen und Nervenbündel - Charly Hübner etwa, als frisch verlassener Bulle im Gewand eines Bären, dem niemand gerne nachts auf der Straße begegnen möchte. Auch Hilmar Eichhorn als lustloser Killer und Bluthochdruck-Patient Brock sind echte Highlights. Dazu Ole Schloßhauer als Döspaddel-Chef Lehm. Die eigentliche Geschichte aber zieht, völlig zerquatscht, mit dem Ostseewind ins Nirgendwo. Was bleibt, sind die zahllosen privaten Verwicklungen der Ermittler, die Lust auf den nächsten Einsatz der Rostocker machen. Wäre "Sturm im Kopf" die Folge einer US-Serie, bräuchte sich der Zuschauer nur eine Woche zu gedulden - so aber vergehen Monate, bis der nächste Teil diesen vergessen machen wird.

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