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Sonntagabend-Krimi Fünf Gründe, warum der "Polizeiruf" der bessere "Tatort" ist

Die hervorragende Krimifolge aus Rostock hat es mal wieder gezeigt: Der "Polizeiruf 110" ist die bessere Alternative zum "Tatort". Fünf Gründe, warum das so ist.
Von Carsten Heidböhmer

Die aktuelle Folge des Rostocker "Polizeirufs 110" wollten gestern Abend 8,30 Millionen Menschen sehen. Ein für diese Krimireihe guter Wert – der dennoch deutlich unter der "Tatort"-Quote liegt, den sonntags regelmäßig mehr als zehn Millionen Zuschauer einschalten. Was absurd ist: Es müsste eigentlich umgekehrt sein - denn die Folgen aus der "Polizeiruf"-Reihe sind in aller Regel besser als der "Tatort", der seit der Sommerpause erkennbar schwächelt. Was sind die Gründe dafür?

1. Viele "Tatort"-Teams sind in die Jahre gekommen

Ob Lena Odenthal in Ludwigshafen (25 Jahre), Leitmayr und Batic in München (23 Jahre) oder die Kölner Dauerbrenner Ballauf und Schenk (17 Jahre) – viele Ermittlerfiguren haben sich im Dienst vor der Kamera arg verschlissen. Ihre Geschichten sind auserzählt. Das heißt nicht, dass hin und wieder großartige Fälle mit diesen Teams zustande kommen, aber die Figurenkonstellation ist verbraucht. Die Beziehungen Ballauf/Schenk sowie Leitmayr/Batic erinnert an ein altes Ehepaar, das sich nichts Neues mehr zu sagen hat und sich an Alltagsstreitigkeiten aufreibt. In beiden Fällen sollen wechselnde Assistenten frischen Wind reinbringen. Doch wäre es da nicht konsequenter, gleich einen kompletten Neustart zu wagen - mit frischen Figuren?

Der jüngste Ludwigshafen-"Tatort" hat vor einer Woche sogar die Lebenskrise von Lena Odenthal thematisiert. Doch auch sie wird weitermachen. Ganz anders der "Polizeiruf 110": Dort findet regelmäßig eine Verjüngung statt: Keines der vier amtierenden Teams hat mehr als vier Jahre auf dem Buckel.

2. Der "Tatort" ist oft zu schematisch

2. Die meisten "Tatort"-Fälle folgen einem strengen Schema, das der Fernsehkritiker Philipp Walulis vor zwei Jahren in seinem Clip genial auf den Punkt gebracht hat. Hier findet sich alles, was den "Tatort" so unflexibel und vorhersehbar macht: Am Anfang die Leiche, das Privatgeplänkel der Ermittler, die bewusst gestreute falsche Fährte und die obligatorische Verfolgungsjagd am Ende:

Natürlich folgt auch der "Polizeiruf" oftmals den Krimi-Konventionen, doch die Bandbreite dieser Reihe ist deutlich größer, die Macher nehmen sich mehr Freiheiten. Mal spielt ein Fall fast ausschließlich in einem Tunnel ("Denn sie wissen nicht, was sie tun" mit Matthias Brandt, 2011), im aktuellen Fall des Rostocker Teams ging es nicht darum, einen Täter zu ermitteln, sondern ihn zu stoppen.

Natürlich gibt es auch im "Tatort" solche Ausbrüche, etwa die grandiosen Fälle von Ulrich Tukur als Felix Murot. Insgesamt kommt der "Tatort" aber zu oft mutlos und bieder daher.

3. Der "Tatort" nervt oft mit gesellschaftlicher Relevanz

Ein weiteres Problem, das auch in dem oben gezeigten Video "Der typische Tatort in 123 Sekunden" angesprochen wird: Fast jeder Fall transportiert ein Thema von gesellschaftlicher Relevanz, hat einen "verkrampften sozialkritischen Einschlag". Der Bildungsauftrag der öffentlich-rechtlichen Sender schimmert auch an dieser Stelle durch, wo er gar nicht hingehört: beim Sonntagabendkrimi.

4. Es gibt zu viele "Tatort"-Folgen

Im vergangenen Jahr strahlte die ARD 36 neue "Tatort"-Fälle aus. Sogar an Neujahr, zu Ostern oder am 2. Weihnachtstag bekommt der Zuschauer inzwischen einen "Tatort" vorgesetzt. Und das nicht ohne Grund: Die Krimireihe boomt seit Jahren, das Publikum scheint davon nicht genug zu kriegen. Doch die Flut an immer neuen Folgen geht sichtlich auf Kosten der Qualität. Es wird immer schwerer, in der Menge brauchbare Drehbücher zu finden.

Deutlich reduzierter tritt dagegen der "Polizeiruf" in Erscheinung: Dort gab es im Vorjahr lediglich acht Neuproduktionen zu sehen. Davon war auch nicht jede ein Volltreffer, doch die Qualität war im Schnitt deutlich höher. Masse ist eben kein Garant für Klasse.

5. Der "Polizeiruf 110" bringt neue Städte ins Fernsehen

Berlin, Hamburg, Köln, München, Leipzig, Stuttgart, Bremen, Dortmund, Frankfurt, Hannover - der "Tatort" kommt zumeist aus den großen und bekannten (zumeist west-)deutschen Städten. Ganz anders der "Polizeiruf": Mit Ausnahme von München bringt diese Reihe ganz neue Städte und Gegenden auf die deutsche Fernsehlandkarte: Magdeburg, Rostock und Brandenburg. Alles spannende Orte, die der Zuschauer noch nicht in- und auswendig kennt. Vor allem kommt auf diese Weise der Osten stärker in den Fokus, wo viele gesellschaftlichen Entwicklungen und Widersprüche stärker in Erscheinung treten als im Westen.

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