Die meisten "Tatorte" und "Polizeirufe" spielen in einer mittleren Tonart: Sie sind spannend, sprechen oft ein gesellschtlich relevantes Thema, lassen den Zuschauer ein bisschen mitraten und mitfiebern - aber nie soviel, dass es ihm am Vorabend einer anstrengenden Arbeitswoche den Schlaf rauben könnte. Manche Sonntagskrimis haben dagegen eine sedierende Wirkung, wie die letzten Fälle vom Bodensee-"Tatort". Und dann gibt es Fälle wie diese "Polizeiruf"-Folge aus Rostock. Die den Zuschauer noch lange nach dem Ende beschäftigen und sie in im verfolgen.
"Familiensache" beschert dem Zuschauer gewiss keinen entspannten Wochenendausklang. Und doch ist es wichtig, dass das Fernsehen solche Filme zeigt, ab und an mal aus der Wohlfühloase ausbricht. Vor allem, wenn ein Film so gut gemacht ist wie diese Folge von Autor und Regisseur Eoin Moore.
Das Drama nimmt seinen Lauf
Im Mittelpunkt steht Arne Kreuz (großartig gespielt von Andreas Schmidt), der kürzlich von seiner Familie verlassen wurde und nun alles unternimmt, sie wieder zurückzuerobern. Dafür will er sogar ein neues Haus kaufen, obwohl er verschuldet ist und gar keinen Kredit bekommt - zumal er arbeitslos ist. All das erfährt der Zuschauer nach und nach in Rückblenden, während das Drama um Kreuz und seine Familie langsam seinen Lauf nimmt.
Als dem Verzweifelten klar wird, dass er seine Frau (Laura Tonke) und seine Kinder nicht zurückgewinnen wird, rastet er aus. Es ist filmisch großartig dargestellt, wie in seinem Kopf Traum und Wirklichkeit verschwimmen. Während er verzweifelt auf seine Frau einsticht, fantasiert er einen innigen Kuss, bis seine Frau leblos zu Boden fällt - und dem Zuschauer klar wird, was der Mann gerade getan hat. Es folgt eine Szene, die gleichermaßen anrührend wie unerträglich ist: Wir sehen, wie der liebende Vater mit blutbesudelten Händen sein Kind herzt. Um es anschließend ebenfalls zu töten.
Es gibt kein Zurück mehr
Von nun an gibt es für Kreuz kein Zurück mehr: Er muss den Rest der Familie und schließlich sich selbst auch umbringen, einen erweiterten Suizid begehen. Das hat inzwischen auch die Polizei herausgefunden, und es entspinnt sich ein Wettlauf um Leben und Tod. Der Täter ist den Polizisten immer einen Schritt voraus. Er fährt zunächst zur Gartenlaube, wo er seine Schwiegereltern und seine Tochter umbringt.
Die Tragödie kulminiert am Strand von Warnemünde, wo Kreuz seinen Sohn töten will. Diesmal kommt die Polizei pünktlich - und kann immerhin das Leben des Jungen retten. Auch Kreuz kann lebend gestellt werden.
Der Jäger ist dem Gejagten ähnlicher, als er wahrhaben will
Doch parallel zu diesem Fall spielt sich ein zweites Drama ab: das von Alexander Bukows (Charly Hübner) Ehe. In der vergangenen Folge hatte Vivian (Fanny Staffa) eine Affäre angefangen - mit Volker Thiesler (Josef Heynert), dem Arbeitskollegen ihres Mannes. Der erfährt davon ausgerechet während der Jagd auf den psychotischen Familienkiller. Der hervorragend geschnittene Film springt zwischen den beiden Handlungssträngen hin und her - und es wird schnell klar: Der Jäger Bukow ist dem Gejagten ähnlicher, als er wahrhaben will.
Für den Zuschauer stellt sich die Frage: Wie weit würde Bukow gehen, um seine Frau (und damit seine Kinder) zurückzubekommen? Die Antwort bekommt er am Ende: Nach einem Schusswechsel mit dem Täter liegt Volker Thiesler (Josef Heynert) angeschossen am Boden. Die Kugel in seinem Bein stammt aus Bukows Waffe. Ein Versehen? Die Kollegen haben da ihre Zweifel. Und auch die Zuschauer. Ein bis in die letzte Minute verstörender, ein großartiger Film.