Stellen Sie sich vor, in ihrer Stadt steht eine ganze Häuserzeile in Flammen. Es brennt lichterloh. Vor Ort sind jede Menge Feuerwehrleute. Plötzlich packen alle ihre Gerätschaften zusammen und überlassen die Häuser einfach ihrem Schicksal. Entsetzte Passanten fragen nach. Warum geht ihr? Die Antwort: Wir gehen jetzt in Urlaub. Es war dieses Jahr schon so viel zu tun.
Völlig verrückt, oder? Aber so ähnlich machen das große ARD-Talkshows.
ARD-Talkshows: Ab Juni ist Corona-Pause
Seit vielen Wochen begrüßen uns Anne Will, Sandra Maischberger oder Frank Plasberg zum Krisen-Talk. Doch bereits im Juni soll damit Schluss sein. Sommerpause. Obwohl Deutschland und der Rest der Welt immer noch bis zum Hals in Problemen stecken.
Die Folgen der Pandemie sind nicht abzusehen. Es sind für Journalisten die spannendsten, die wichtigsten Zeiten. Zuschauer haben viele Fragen. "Anne Will" erreichte mit dem Thema "Die Corona-Krise – wie drastisch müssen die Maßnahmen werden?" am 15. März mit 6,09 Millionen Zuschauern einen Jahresbestwert. Aber die bekanntesten Journalisten Deutschlands packen trotzdem ihre Koffer.
Als Erste verabschiedet sich Sandra Maischberger aus der Krise. Ihre Mittwochssendung "Maischberger. Die "Woche“ ist am 3. Juni zum letzten Mal zu sehen. Die Sonntagstalkshow "Anne Will" wird am 14. Juni ein letztes Mal vor der Sommerpause ausgestrahlt, die Montags-Talksendung "Hart aber fair" mit Frank Plasberg am 22. Juni.

Frank Schmiechen
Seit mehr als 30 Jahren ist Frank Schmiechen Journalist. Unter anderem war er stellvertretender Chefredakteur der "Welt" und Chefredakteur von "Gründerszene". Heute berät er Politik und Wirtschaft in allen Fragen der Kommunikation. Schmiechen liebt Popmusik und Fußball.
Die weltweite Ausnahmesituation? Sie wird dann auf keinen Fall beendet sein.
Alles ist anders, aber nicht für die TV-Debatten
Oft wird über Talkshows gestritten. Sind sie für die öffentliche Meinungsbildung so relevant wie Feuerwehrleute für die Sicherheit? Oder nur ein eingeübtes Schauspiel, bei dem vorbereitete Statements von den immer gleichen Gästen abgespult werden?
ARD-Programmchef Volker Herres hat einen "Premium-Anspruch" an seinen Sender. Für ihn heißt das zum Beispiel: "Erstklassige Information durch die 'Tagesschau', Informationsverarbeitung durch 'Anne Will'."
Wenn er das ernst meint, wäre jetzt der perfekte Zeitpunkt, um allen Gebührenzahlern zu beweisen: Wir sind mit unseren politischen Diskussions-Formaten für euch da. Ja, es lief in diesem Jahr alles anders geplant. Deshalb senden wir auch in der Sommerpause und halten euch auf dem Laufenden.
Sommerpause von "Anne Will" sogar länger als 2019
Stattdessen verabschiedet man sich so früh wie noch nie in die Ferien und beschädigt so die eigene Relevanz.
ARD-Sprecherin Silvia Maric schreibt mir zu "Anne Will": "Wegen der Coronakrise wurden einzelne Ausgaben vorgezogen, die an anderer Stelle ausgeglichen werden müssen. All das führt im Ergebnis dazu, dass die Sommerpause nun länger ausfällt als in 2019." Ist es jetzt wirklich die Zeit, um Programm nach Dienstplan zu machen?
Es brennt weiter lichterloh. Die Wirtschaft, die Kitas, die Schulen, die Familien, die Selbstständigen und Künstler - was soll werden aus unserem Land, aus Europa und dem Rest der Welt? Aber die journalistische Feuerwehr geht von Bord und verabschiedet sich in die Ferien.
Außerdem stellt sich noch eine weitere drängende Frage: Was macht eigentlich Karl Lauterbach im Sommer?