Die Medienkolumne Selbstmord-Videos auf Youtube

  • von Bernd Gäbler
Nach seinem Scheitern als Justizsenator forciert der Hamburger Rechtsanwalt Dr. Roger Kusch seine zweite Karriere als Selbstmord-Helfer. Jetzt zieht er alle Register: Er publiziert Videos seiner Gespräche mit Selbstmordwilligen auf Youtube. Sehen wir dort bald auch das erste Video zum Moment des Sterbens?

Selbstmord ist nicht strafbar. Gelegentlich ist er verständlich. Wer sich so entscheidet, verdient nicht selten Respekt. In jedem Fall aber ist es eine sehr intime und sehr individuelle Entscheidung. Oft allerdings würde es Auswege geben. 95 Prozent der Überlebenden von Selbstmordversuchen sind darüber froh und dankbar. Meist ist der Versuch ein verzweifelter Hilferuf. Das gilt auch für alte Menschen. Wer Selbstmord allein als Gipfel individueller Freiheit deutet, verzerrt zumindest die Wirklichkeit. Wer Selbstmord propagiert, handelt unverantwortlich. Denn so sagt Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung: "Suizid ist ansteckend. Berichte darüber lösen neue Suizide aus." Jede offene Diskussion über selbstbestimmtes Sterben muss deswegen zumindest zweierlei sein: sehr einfühlsam und sehr vorsichtig.

Der Tod: raus aus dem Alltag, rein in die Medien

Unsere Gesellschaft hat ein absurdes Verhältnis zum Tod. Er ist zwar kein "Tabu", wie gerne kolportiert wird, über ihn wird in allerlei Talk-Sendungen gerne endlos gequatscht, aber als rigoroses Faktum wird er weitgehend aus dem familiären Alltag verdrängt. In den audio-visuellen Medien ist er dafür präsent wie nie zuvor. Etwa achttausend Morde sieht ein Kind im Laufe einer normalen TV-Sozialisation - meist fiktiv oder fiktional. Immer häufiger allerdings wird der Tod, ja auch das Sterben, ohne jede Verfremdung dokumentarisch oder nachrichtlich gezeigt. Ganz selten natürlich in Echtzeit. Schon am 5. August 1992 aber hatte sich das Sat.1-Magazin "Akut" damit gebrüstet, unter dem Titel "Sterbehilfe - das Geschäft mit dem Tod" einen Selbstmord im TV zu zeigen. Vor einigen Wochen strahlte der britische Sender Sky Real Lives den Dokumentarfilm "The Suicide Tourist" des Oscar-Preisträgers John Zaritsky aus: mit dem Freitod des unheilbar kranken Craig Ewert. Szenen aus der Dokumentation waren zuvor bereits im schweizerischen Fernsehen zu sehen. Sie gibt es auch online.

Mit dieser Dokumentation ist es so einfach nicht. Sie versteht sich als Diskussionsbeitrag. Zaritsky ist ein respektvoller Könner. Aber auch hier gilt: keine Medienarbeit kann aus ihrem Kontext gelöst werden. In Deutschland ist die Debatte überhitzt; die Propaganda-Absichten von Geschäftsmachern mit dem Tod überlagern den Diskurs.

Zur Person

Bernd Gäbler, geboren 1953 in Velbert/Rheinland, ist Publizist und Dozent für Journalistik. Er studierte Soziologie, Politologie, Geschichte und Pädagogik in Marburg. Bis 1997 arbeitete er beim WDR (u.a. "ZAK"), beim Hessischen Rundfunk ("Dienstags – das starke Stück der Woche"), bei Vox ("Sports-TV"), bei Sat1 ("Schreinemakers live", "No Sports"), beim ARD-Presseclub und in der Fernseh-Chefredaktion des Hessischen Rundfunks. Bis zur Einstellung des Magazins leitete er das Medienressort der "Woche". Von 2001 bis Ende 2004 fungierte er als Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts in Marl.

Youtube

Nicht durch Film und Fernsehen, eher seit Youtube ist alles allen jederzeit zugänglich. Auch Selbstmord und Tod. Auf Youtube gibt es alles: kindliche Scherze ("Sad real suicide"), Kunst-Videos ("Kate commits suicide"), depressive Diskurse ("My last Video") und dokumentiert sind auch Gespräche von Menschen, von denen wir wissen, dass sie inzwischen - unterstützt, begleitet oder wie auch immer - den Selbstmord vollzogen haben. Der 95-jährige Max Steinbauer spricht mit Jacqueline Jacquel, erläutert seine Angst, auf eine Gehhilfe angewiesen zu sein und sein Wissen, dass es nicht mehr aufwärts gehen wird. Die Dame versteht seinen Selbstmordwunsch umstandslos. Herrn Thomas Wolff können wir im Dialog mit Dr. Roger Kusch sehen.

Wer hat das Video wohl bei Youtube eingestellt? Zu sehen ist auch das Gespräch mit Dr. Roger Kusch, das Frau Frieda Felger geführt hat. Die Datierung ist unterschiedlich - entweder fand es am 10. November 2008 oder am 14. November statt. Fest steht allerdings: am 28. November 2008 hat sich Frau Felger - unterstützt von Dr. Roger Kusch - in einem Hotelzimmer in Mülheim/Ruhr das Leben genommen. Dies war Ausgangspunkt der polizeilichen Ermittlungen gegen Dr. Kusch. Vorerst wurde ihm seine Selbstmord-Hilfe per Polizeiverfügung verboten. Dr. Kusch klagt dagegen. Die Publikation des Gesprächsvideos mag damit zu tun haben. Mit ihr will Dr. Kusch etwas beweisen. Er gibt sich nämlich zurückhaltend, zweifelnd, skeptisch. Ob sie auch an ihrem Todeswunsch festhalten würde, wenn er ihr ein ganz tolles Altersheim besorgen würde, dessen Leiter er persönlich kennt? So prüft er Frau Felger. Und dennoch erscheint keines der Gespräche so als sei der Selbstmord unabwendbar.

Entscheidung noch im Januar

Die Entscheidung über das Sterbehilfe-Verbot gegen Dr. Kusch soll noch im Januar fallen. Dr. Roger Kusch will mit allen juristischen und publizistischen Mittel dagegen angehen. Die Publikation des Gesprächs-Videos gehört womöglich dazu. Aber: im Besitz Dr. Kuschs sind noch andere Videobänder. Um nicht belangt werden zu können, verlässt er die Sterbenden, die seine Kunden sind, in den entscheidenden Momenten. Allerdings dokumentiert er dieses Sterben. Seine Absicht ist es, den jeweiligen Selbstmord als freiwillig, erfüllt, womöglich befreiend zu zeigen. Er will dem Sterben den Schrecken nehmen. Auf welchem Weg auch immer es dahin gelangen mag - wir sollten uns nicht wundern, wenn in den nächsten Tagen oder Wochen die ersten Sterbe-Videos bei Youtube abrufbar wären. Sie gehören nicht zum Diskurs, sondern wären ein Kampf- und Propaganda-Mittel.

Ein Aufruf zu rechtzeitiger Vorsicht

Auch Youtube ist kein rechtsfreier Raum Dokumente des Sterbens gehören da nicht hin. Es könnte kaum ein Hingucken geben, das nicht voyeuristisch ist. Selbst wenn es der erklärte Wille des freiwillig Sterbenden wäre, seinen Tod posthum auch noch auf Youtube dokumentiert zu sehen, Sterbehilfe ist nicht ein Handwerk wie andere. Trotz aller Versuche, die Bedrängnis der Betroffenen zu begreifen, sollte man immer auch daran denken, dass für Dr. Kusch um ein Geschäft geht. Wichtiger als das Recht wird am Ende vermutlich das moralische Urteil darüber bleiben.

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