Herr Yardim, in der vierten Staffel von "Jerks" spielen Sie wieder einen Mann namens Fahri Yardim, dem kaum ein menschlicher Abgrund fremd ist. Haben Sie vor Beginn der Dreharbeiten Angst, welche fiesen Dinge Ihnen Christian Ulmen ins Drehbuch schreibt?
Christian kennt mich gut. Ich habe vorher immer Angst, dass er meiner Figur Abgründe meiner selbst einpflanzt. "Jerks" zielt gnadenlos auf einen tiefenpsychologischen Aspekt: Je weiter wir uns von dem dänischen Serienvorbild entfernen, desto näher kommen wir unseren eigenen Abgründen. Aber man gewöhnt sich an sein Spiegelbild.
Die Figuren Christian Ulmen und Fahri Yardim in "Jerks" tragen also auch Züge von Ihnen selbst?
Ich kann den Unterschied gar nicht genau festmachen. Ich bin ein fluides Wesen. Die Schauspielerei hat meine Selbstwahrnehmung durcheinandergebracht. Es gibt keinen klaren Anker mehr zu einem eigentlichen Selbst. Es ist alles ein einziger großer Thermomix aus Anteilen, Facetten, Abgründen und Zivilisationskrankheiten. Ich bin auch das, was man bei "Jerks" sieht.
Viele Schauspieler sagen, sie können nur das spielen, was auch in ihnen ist.
Im Grunde ist Fahri ein Stellvertreter für eine hoffentlich sich langsam leerlaufende Idee von Männlichkeit. Da ist ganz schön viel Patriarchat aufgesogen. Und Intriganz, Faulheit, Feigheit, Wohlstandsverwahrlosung. Durchaus universell-menschliche Züge, allerdings verstärkt angehäuft hinter seiner hässlichen Fratze.
In der neuen Staffel sitzen Sie in Familientherapie und sind darin extrem fies zu ihrer Film-Mutter. Hat Sie diese Szene Überwindung gekostet oder war das für Sie einfach nur eine Rolle?
So abgespalten bin ich dann doch noch nicht, dass mir dies leicht fiele. Aber letztendlich muss man sagen: Man kann nicht alles haben. Fahri steckt da in einem Dilemma. Manchmal muss man für die gute Sache, auch wenn es pervers klingt, seine Mutter opfern.
Haben Sie mit Ihrer echten Mutter über die Szene gesprochen und erklärt, dass das nur Fiktion ist?
Wir haben an der zehnminütigen Therapie-Szene acht Stunden gedreht. Da entsteht dieser Big-Brother-Effekt: Man kann irgendwann nicht mehr nicht echt sein. Deswegen sind auch Anleihen echter Verhältnisse drin. Insofern war es wichtig, meine Mutter aufzuklären. Die Kunst ist es, die Filmmutter zu verraten und gleichzeitig die eigene zu würdigen. Dann wird es authentisch.
Wie finden Sie nach Drehschluss aus Ihrer Rolle heraus?
Das fällt nicht leicht. Nach "Jerks"-Dreharbeiten habe ich einen harten Blick auf die Welt. Es braucht bewusste Resozialisierung. Auch untereinander ertragen wir uns besser durch Zwiegespräche und Umarmungen. Insbesondere mit Emily Cox, zu der ich in der Serie ein kompliziertes Verhältnis habe, musste ich mich nach manchen Drehtagen abends zusammensetzen, um einen Ausgleich zu schaffen für den hässlichen Tag. Es ist ein ständiges Achtgeben, dass die Psychologie nicht kippt.
Haben Sie psychologische Betreuung am Set?
Nein. Vielleicht bräuchte es sowas. Andererseits ist es doch gerade das Besondere an "Jerks": Wir zeigen den Abgrund, den sich in Deutschland so wenige zutrauen. Humor muss hier sonst meistens guttun. Deutscher Humor ist zu oft noch ein lustiger Tollpatsch oder die quietschende Nase. Ich genieße, dass "Jerks" die Tragödie des Menschseins nutzt, um humorvoll zu enden. Das Gebrochene geradezubügeln würde der Idee zuwiderlaufen. Wir verhandeln immerhin das Urmenschliche, nicht nur dessen Überspitzung. "Jerks" ist ein Highlightfilm des Abgründigen. Insofern würden wir in der "Lindenstraße" landen, hätten wir einen Psychologen an Bord.
Das Fremdschämen geht weiter: Das passiert in der vierten Staffel von "Jerks"

Während der ersten Staffel von "Jerks" hat die "Bild"-Zeitung begleitend Aufklärungsstücke veröffentlicht und darin erklärt, ob die Geschehnisse in der Serie real sind.
Die Fragen sind ja berechtigt, weil wir wie gesagt aus dem Wesentlichen schöpfen. Man kann uns moralisch für das verurteilen, was wir in der Serie zeigen. Aber natürlich bin ich im Patriarchat sozialisiert. Natürlich ist in mir Sexismus und Rassismus vorhanden. Ich biete mich an, Mensch zu sein. Menschsein bedeutet in dieser Gesellschaft eben auch Patriarchat, Vorurteile und Feigheit. Am Ende ist das Eingeständnis der Anfang der Befreiung. Insofern halte ich "Jerks" für einen komplexeren Humor, als wir es sonst von Stimmenverstellern und Masken tragenden Clowns gewohnt sind. Dass Christian Ulmen fähig ist, so in Deutschland zu inszenieren, ist unfassbar erfrischend. In jedem anderen Land würde man diesen Halbgott mit Preisen zuscheißen.
Seit 18 Monaten befindet sich das Land in einer Dauerkrise. Corona, Klimawandel und jetzt aktuell die Tragödie um Afghanistan. Kann man sagen, dass "Jerks" noch nie so wichtig war wie heute?
Wir sollten es langsam über die Empörung hinaus schaffen. So wichtig sie ist. Natürlich müssen auf allen Ebenen Faschismus und andere Missstände bekämpft werden. Aber diese allzu beliebte Personalisierung von Schuld befremdet mich. Insofern ist "Jerks" nebenher eine politische Serie: Sie zeigt den Menschen als Konsequenz eines größeren Ganzen. Damit befreit sie von der individuellen Last und lenkt den Blick auf strukturelle Bedingungen. Anstatt nur politische Probleme zu personalisieren, wünschte ich mir mehr Hingabe beim Streit um die systematischen Voraussetzungen von Menschsein.
Die vierte Staffel von "Jerks" ist ab dem 26. August auf der Streamingplattform Joyn+ abrufbar.