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Fernsehjahr 2011 Sender setzen auf Jauch, Pflaume und Mittelalter

Auf die eigene Schulter klopfen, das macht Spaß. Das Fernsehjahr 2010 kennt viele Sieger, Verlierer im Grunde gar nicht, sieht man mal von der ARD ab, die trotz guter WM-Quoten ihre Marktführerschaft 2010 an RTL abtreten muss. Ein Ausblick 2011 kommt ohne Rückschau nicht aus.

Am 6. Oktober rieben sich einige Fernsehmanager, und besonders die bei Sat.1, verwundert die Augen. 9,75 Millionen Zuschauer? Kann das angehen? Ganz offenbar ja. Die Quotenmessung wies keinen Fehler aus. "Die Wanderhure", ein ganz gewöhnliches Mittelalter-Drama mit Alexandra Neldel in der Hauptrolle, sorgte für einen Senderrekord. Und vielleicht für einen neuen Trend.

Einige Wochen später fast das gleiche Resultat. Und wieder traf es Sat.1: Der erste Teil des opulenten Vierteilers "Die Säulen der Erde" verbuchte 8,10 Millionen Zuschauer, der zweite Teil eine Woche später, immerhin fast sieben Millionen. Sat.1 wird zumindest die Fortsetzung der "Wanderhure" fürs TV produzieren lassen und vielleicht auch Folletts "Tore der Welt". Der Trend ist erkannt: Einige TV-Sender denken für die Zukunft übers Mittelalter nach.

Aber nicht alle Fictionproduktionen aus dem ausklingenden Jahr 2010 schufen sichere Anhaltspunkte für kommende Aufgaben: "Stoffe, die die soziale Wirklichkeit reflektieren, haben es schwer", resümierte der Filmproduzent Nico Hofmann bereits. Das betreffe unter anderem seinen ambitionierten Helmut-Kohl-Film im ZDF. Auch das 1968er-Drama "Dutschke" (auch ZDF) war kein Publikumserfolg, der zum Weitermachen animiert.

Was also bleibt an Erkenntnissen aus dem TV-Jahr 2010 außer dem weitgehend unbeackerten Feld Mittelalter? Sicher ist, dass sich auch 2010 die Menschen weiter in audiovisuelle Gauklerparaden flüchten werden. Bestes Beispiel ist das bestens konfektionierte RTL-Casting- Paradepferd "Das Supertalent", ein Stück Voyeurismus oder auch ein bisschen Realitätsflucht. Den Alltag vergessen, Beine hochlegen, den Wahnwitz aus der Distanz betrachten. Das ist es.

Personelle Wechsel sorgten 2010 für Gesprächsstoff, der bis ins nächste Jahr anhalten wird. Vor allem die ARD-Ankündigung, Günther Jauch werde den Sonntags-Polittalk ab Herbst 2011 übernehmen, löste einen Wirbel in und außerhalb der Sendergemeischaft aus. Anne Wills Talk muss verschoben werden, auch Frank Plasberg ist betroffen. Bei RTL muss ein Ersatz für Jauch her, der zwar nicht das Quiz "Wer wird Millionär?", dafür aber "Stern TV" aufgeben wird und Steffen Hallaschka überlässt.

Die ARD sah im Show- und Unterhaltungsbereich lange wie der Verlierer aus. Jörg Pilawas Abgang zum ZDF kostete der ARD fast einen Prozentpunkt Marktanteil, schätzen Experten. Auch Harald Schmidt wird den Sender verlassen und bei seinem alten Arbeitgeber, Sat.1, wieder eine Late-Night-Show bestreiten. Doch nun ist auch die ARD auf dem ständig offenen TV-Transfermarkt fündig geworden. Kai Pflaume wird künftig abendfüllende Shows im "Ersten" moderieren und Pilawa vielleicht vergessen lassen.

Ob es der ARD durch diesen kleinen Coup gelingt, RTL die Marktführerschaft streitig zu machen? Schwer vorstellbar, denn trotz geballter Fußball-WM schaffte es die ARD schon 2010 nicht, Platz eins in der Senderliste zu erobern. Der Kölner Privatsender hat einfach einen Lauf. Das liegt nicht nur an Dieter Bohlens "Supertalent", das es inzwischen sogar mit "Wetten, dass..?" in direkter Konkurrenz aufnehmen kann, sondern auch an der sogenannten Scripted Reality, Dokusoaps nach Drehbuch, die im Tagesprogramm unschlagbar sind.

Dem Medium Fernsehen geht es ausgangs 2010 und eingangs 2011 deutlich besser als noch vor Jahresfrist. Der Werbemarkt hat angezogen. RTL kann sich 2011 sogar wieder eine Dschungelshow leisten - ein gutes Zeichen. Auch die Sehdauer nimmt nicht ab, sondern überraschenderweise sogar immer weiter zu - trotz der Internetkonkurrenz. Wird sich daran etwas ändern? Kurz- und mittelfristig wohl kaum, denn die Ideen, die kreativen Schübe und die Finanzierung für den Film, die Show und die Dokumentation kommen immer noch von den Fernsehsendern.

Carsten Rave, DPA DPA

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