Gottschalks Musical-Show Casting-Wahn - und kein Ende

Von Alexander Kühn
Unbeeindruckt vom Misserfolg der Konkurrenz sucht nun auch das ZDF nach dem "Musical-Star 2008". Währenddessen hofft Sat1, dass Hugo Egon Balder die Quoten von "Ich Tarzan, Du Jane" mit Hilfe von Live-Shows nach oben bringen kann.

Irgendwann Anfang Mai wird Sat1 dann seinen Tarzan gefunden haben und seine Jane - und wenn's weiter so mies läuft, wird die Welt davon keinerlei Notiz nehmen. Gerade mal 1,5 Millionen Zuschauer haben sich in die ersten Ausgaben der Musical-Casting-Show "Ich Tarzan, du Jane" verlaufen. Eine Quote, die jeden Fernsehmacher daran denken lässt, sich die nächstgreifbare Liane um den Hals zu schnüren.

In der Berliner Senderzentrale erklärt man sich die Misere mit dem unübersichtlichen Dickicht von Casting-Shows: Ein neuer Uri Geller ist gerade entdeckt, ein Dschungel-König gekrönt, schon sucht Dieter Bohlen zum fünften Mal einen Superstar, Heidi Klum ihr drittes Topmodel, und vom 15. April an wird Bully Herbig auf ProSieben Darsteller austesten für seinen Film "Wickie und die starken Männer". Und man fragt sich, in welchem Labor die deutschen Privatsender sich ein derart stattliches Heer von Exhibitionisten heranzüchten.

Sat1 jedenfalls ist beim Rumble in the Fernseh-Jungle zu Boden gegangen mit seiner Show, in der Frauen Affen nachmachen und Männer mit freiem Oberkörper ein Rad schlagen, um eine Rolle in dem Disney-Musical "Tarzan" zu ergattern. Dabei schien der Erfolg sich im voraus logisch herleiten zu lassen, als wär's ein Syllogismus aus dem Organon des Aristoteles: Die Deutschen mögen Casting-Shows, die Deutschen mögen Musicals - also mögen die Deutschen auch Musical-Castings.

Was fehlt, sind Charaktere

Bloß interessieren Musical-Besucher sich für die Karriere der Darsteller ungefähr so sehr wie für den Werdegang der Klofrau. Und dann die Juroren: Langeweile mal drei. Kein Darling wie Heidi Klum. Kein Kotzbrocken von Bohlen-Format. Keine schrille Nudel wie Nina Hagen bei den "Popstars", nicht mal ein Edel-Proll vom Schlag eines Detlef D. Soost.

Vom Misserfolg der Konkurrenz unbeeindruckt, nimmt das ZDF diesen Montag seine Suche nach dem "Musical-Star 2008" auf. Wanted: ein Mann und eine Frau, die in Andrew Lloyd Webbers "Starlight Express" die Hauptrollen übernehmen. Er als Dampflok, sie als Erste-Klasse-Wagen. In Duisburg, München und Bremen waren Tausende zum Vorsingen angetreten. Zehn Glückliche ziehen dann in die von Thomas Gottschalk moderierten Live-Shows ein. Und das ZDF vermeldet beflissen, dass es in seiner Show netter und anständiger zugehen werde als bei "Deutschland sucht den Superstar".

Nettes Casting ist so prickelnd wie ein Tatort ohne Leiche

Nett und anständig, vielleicht so wie in den 50er Jahren, als Peter Frankenfeld in seiner Talentshow "Toi, toi, toi" Dieter Thomas Heck entdeckte und das Medium Terzett? Nettes Casting ist ungefähr so prickelnd wie ein "Tatort" ohne Leiche. Das Publikum will Kandidaten scheitern sehen. Es mag keine Seelenmassage, will Blamage, Karambolage. Wie vor zweihundert Jahren, als tausende von Schaulustige den öffentlichen Hinrichtungen beiwohnten, die unter der Teilnahme von Musikern und Harlekinen auf den Marktplätzen zelebriert wurden.

Bei "DSDS" sind die Quoten immer besonders stark am Anfang, wenn die bedauernswerten Geschöpfe mit gestörter Selbstwahrnehmung vor die Jury treten. Picklig, piepsig, keinen Ton treffend. Wenn Bohlen sie zurechtstutzt, tönt's zuhause auf der Couch: Endlich sagt's mal einer, wie es ist! "1. DSDS-Kandidat bricht zusammen", rapportierte "Bild" zu Beginn dieser Staffel - und fragte vorwurfsvoll: "Ist DSDS zu hart für 16-jährige?"

DSDS ist "niveaulos" und "menschenverachtend"

Die "Freizeitwoche " reanimierte daraufhin eine Handvoll Schlagerleichen - Mary Roos, Bernd Clüver, Nicole -, die "DSDS" als "niveaulos", "menschenverachtend" und "absolut krank" bezeichneten. Paul Kuhn, gerade 80 geworden und ehemals Präsentator des Talentwettbewerbs "Die Gong-Show", sagte in einer Talkshow: "Das ist brutal". Der gleichaltrige Gotthilf Fischer kritisierte, wer bei "DSDS" runtergemacht werde, traue sich nicht mehr auf den Schulhof. Weswegen es natürlich arg, arg nett zugehen wird, wenn Fischer und das ZDF diesen Sommer zum "Grand Prix der Chöre" rufen, bei dem 16 Gesangvereine antreten, aus jeden Bundesland einer.

Bei Sat1 hoffte man dagegen vergeblich auf den letzten Freitag. Da begannen, nach drei Wochen Casting-Konserven, die von Hugo Egon Balder präsentierten Live-Shows. Die Kandidaten mussten nunmehr vor Publikum beweisen, wie sehr Tarzan und Jane sie sind. Der Ur-Kino-Tarzan übrigens, Johnny Weissmueller, war irgendwann so eins geworden mit seiner Rolle, dass er als alter Mann im Pflegeheim nachts die Hände zum Trichter formte und seinen berühmten Affenschrei ausstieß. Worauf sie ihn schließlich vor die Tür setzen. Ein Schicksal, das man nicht mal dem nervigsten Casting-Bewerber wünschen möchte.

"Musical Showstar 2008" - die Sendetermine im Überblick: Montag, 31. März, Dienstag, 01. April, Mittwoch, 02. April, und Donnerstag, 03. April 2008, jeweils 19.25 Uhr im ZDF

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