Kommentar Aufstieg eines Lästerprofis

  • von Peer Schader
Oliver Pocher nervt. Und zwar bald bei der ARD, zusammen mit Harald Schmidt. Für Pocher ist das eine konsequente Weiterentwicklung, für seinen Haussender ProSieben ein harter Schlag - und für Schmidt vielleicht die letzte Chance, seinen Elan zurück zu gewinnen.

Komisch war das, als Gabi Bauer sich Mitte April im ARD-"Nachtmagazin" drei Minuten Zeit nahm, um mit Oli Pocher über die Premiere seines Kinofilms "Vollidiot" zu unterhalten. Pocher in der ARD? Ein ungewohntes Bild. Dabei hatte Bauer sichtlich Spaß daran, wie der selbsternannte Star sich in Szene setzte und nachher sprach: "Man muss auch mal über heiße Kohlen gehen, um zum Erfolg zu kommen."

Eigentlich hat Pocher bisher nichts anderes gemacht. Seine ganze Karriere ist ein einziges Über-heiße-Kohlen-gehen gewesen, weil er bei jedem Auftritt und jeder Moderation über Branchenkollegen und den eigenen Sender lästerte und dafür immer wieder Kritik einstecken musste. Als Außenreporter bei "Wetten dass…?" beleidigte er eine Zuschauerin vor zwei Jahren so sehr, dass die auf Schmerzensgeld klagte.

Ein unerschöpflicher Ehrgeiz

Das muss sich ja irgendwann mal auszahlen, wird der 29-Jährige gedacht haben. Jetzt ist es soweit: Lästerprofi Pocher geht zur ARD und moderiert künftig mit Harald Schmidt eine Art aufgepepptes "Schmidteinander" am Donnerstag. "Exklusiv", heißt es in der Pressemitteilung zu dem Coup. Das muss man erst einmal verdauen.

Oli Pocher im Ersten, das ist so, als würde Carmen Nebel ab Herbst bei ProSieben eine Musikshow am Samstagabend moderieren. Denn auf den ersten Blick passen Pocher und sein neuer Sender so gar nicht zusammen.

Für Pocher ist das dennoch ein konsequenter Schritt. Trotz aller Lässigkeit, die der ehemalige Viva-Moderator bei seinen Auftritten an den Tag legt, steckt in ihm vor allem eines: ein schier unerschöpfliches Maß an Ehrgeiz. Pocher glaubt an sich, er setzt sich durch, er bekommt, was er will. Und er will: Karriere machen.

Pocher kennt keine Grenzen

Die Rolle als Berufsprovokateur steht ihm gut. Das Problem ist bloß: Pocher kennt keine Grenzen. Es ist eine Sache, Leute auf der Straße oder Kollegen im Studio zu veräppeln - aber eine ganz andere, dabei so zu übertreiben, dass man sich als Zuschauer am liebsten wegdrehen möchte, um die peinlichen Situationen zu vermeiden. Doch es gibt immer wieder Momente, in denen zu ahnen ist, wie gut Pocher sein könnte, wenn er sich bloß ein kleines bisschen zurücknähme.

Mit Oli Petszokat hat es Anfang des Jahres beim "Gameshow Marathon" auf Pro Sieben solche Szenen gegeben, und bei "Rent a Pocher" auf Pro Sieben, als DJ Bobo zu Gast war, über den Pocher sich zuvor Wochen lang lustig gemacht hatte, dann aber auch nicht zu schade war, mit dem Schweizer gemeinsam eine Stunde durchzublödeln.

Pocher braucht einen Partner, der - höflich formuliert - seine Energien kanalisiert. Dann ist er nicht nur erträglich, sondern im besten Falle: unterhaltsam. Vielleicht ist Schmidt dafür der richtige Mann.

Weiß die ARD, worauf sie sich einlässt?

Für Schmidt wiederum ist die Zusammenarbeit mit Pocher die Chance, seinen Elan wieder zu entdecken, der nach jahrelangem Alleingang verloren gegangen ist. Seine ARD-Late-Night ist zur müden Wochenzusammenfassung verkommen, bei der man oft genug das Gefühl hat, Schmidt wolle bloß die Zeit bis zum Schluss überbrücken. Sidekick Manuel Andrack ist schon seit längerem keine Hilfe mehr, steht einer Regeneration eher im Weg - dass er bei "Schmidt & Pocher" überhaupt noch eine Rolle spielt, dürfte als unwahrscheinlich gelten.

Und dann ist da die ARD, die darauf hofft, für ein jüngeres Publikum attraktiv zu werden. Die Pocher-Verpflichtung ist ein mutiger Schritt, der viele ARD-Zuschauer entsetzen wird. Aber sie zeigt zugleich die Unfähigkeit der ARD, eigene Talente aufzubauen, die nicht auf Florian-Silbereisen-Kurs kuschelmoderieren. Ob sie beim Ersten wirklich wissen, worauf sie sich da einlassen?

Ein harter Schlag für Pro Sieben

Für ProSieben schließlich ist der Pocher-Wechsel, sollte er denn wirklich "exklusiv" sein, ein harter Schlag. Der Sender verliert ein wichtiges Gesicht seiner "Star Force" und einen Allzweckmoderator für die hauseigenen Events.

ProSieben hat - so scheint es - zu lange damit gewartet, Pocher eine Sendung anzubieten, die ihn wirklich gereizt hätte. Als "TV total"-Ablöse für Stefan Raab ist er gehandelt worden und hätte auf diesem Platz vermutlich nicht einmal eine schlechte Figur gemacht. Aber Raab ist bei ProSieben unantastbar. Und für eine weitere Late Night beim selben Sender sind er und Pocher sich in ihrem Humor zu ähnlich.

Jetzt macht Pocher "TV total" eben für die ARD. Eine Dauerlösung wird das auf keinen Fall sein. Nicht, wenn die ARD sich künftig auf ihren Intendantenkonferenzen mit Pochers Ausfällen befassen muss. Das zumindest dürfte höchst unterhaltsam werden.

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