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ARD-Doku zum Reinhardswald Lieber Hessischer Rundfunk, Naturschützer sind weder Reichsbürger noch Nazis

Protest gegen Windkraft im Reinhardswald
Proteste gegen die Windräder im Reinhardswald gibt es seit vielen Jahren. Bei dieser Demonstration im März in Trendelburg-Gottsbüren stellten Teilnehmer die Konturen eines Windrads in Originalgröße nach.
© Hartenfelser / Imago Images
Eine aktuelle ARD-Doku soll den Konflikt um den geplanten Windpark im Reinhardswald beleuchten. Nur leider ist der Film als Informationsquelle wenig geeignet.

Der Streit um den geplanten Windpark im nordhessischen Reinhardswald hat sich mittlerweile weit über die Region Kassel herumgesprochen. Umso schöner, wenn in der ARD-Mediathek eine Dokumentation zu dem Thema angeboten wird, die auch Nicht-Hessen erklärt, worum es geht. Abrufbar ist der Film, der eine knappe Dreiviertelstunde dauert, seit Anfang November und noch in den kommenden zwei Jahren.

Doch wer sich den Beitrag anschaut, ist am Ende verwundert und hat mehr Fragen als vorher. Dabei gäbe es genug Informationsbedarf zu "Grimms Märchenwald" – beispielsweise über die zunächst genehmigten 18 geplanten Windkraftanlagen, welche Auswirkungen Bau und Betrieb auf das Waldgebiet haben, wie sinnvoll die Anlagen sind und aus welchen Gründen das Projekt immer wieder gestoppt wird.

Laien würden wohl vermuten, dass der seit Jahren tobende Konflikt etwas mit unserem Rechtsstaat zu tun hat, in dem sich Bürger, Gemeinden oder Verbände an Entscheidungen beteiligen können und sich Unternehmen, Landesregierungen und Gerichte an Gesetze halten müssen, beispielsweise an das Bundesnaturschutzgesetz.

Doku will zeigen, wie "Klimawandelleugner" im Reinhardswald Windkraft verhindern

Der Beitrag mit dem Titel "Kampf im Reinhardswald – wie Energiewendegegner einen Windpark torpedieren" reißt diese Fragen an und stellt – filmisch geschickt gemacht – seine eigenen Thesen dazu auf. Filmemacher Stefan Venator hat ein klares Ziel, wie er es am Anfang formuliert. Er möchte ergründen, ob sich der Konflikt nur um die Natur und den Reinhardswald drehe oder ob auch politische Interessen und persönliche Eitelkeiten im Spiel sind. Für eine auch bundesweit ausgestrahlte Dokumentation klingt eine solche Arbeitsthese wenig ambitioniert – dürften beispielsweise den Zuschauern in Bayern die persönlichen Interessen eines nordhessischen Dorfpolitikers doch herzlich egal sein.

Doch Venators Film verfolgt dieses Ziel bis zum Schluss. Der Beitrag kulminiert in Aufnahmen von AfD-Mitgliedern bei einer Waldbegehung und dem nachgesprochenen Interview mit einer Windparkbefürworterin, die sich von Reichsbürgern bedroht fühlt und offenbar große Angst hat. Man fragt sich beim Zuschauen, was AfD oder Reichsbürger mit den Initiativen zu tun haben, die den Windpark verhindern wollen und bekommt leider keine Antwort.

Eingerahmt wird der komplette Film von Interviews mit einem der Projektierer des Windparks, der seine Sicht der Dinge ausführlich erklärt, wobei seine Aussagen kaum hinterfragt werden und der gegen Ende des Beitrags resümiert, es gehe bei dem Streit eher um emotionale Themen. "Da werden Sie mit Sachargumenten letztendlich niemanden überzeugen". In den Bürgerinitiativen gebe es Strukturen, denen es darum gehe, demokratische Strukturen zu zerstören.

Sollen hier Bürgerinitiativen und Naturschützer mit Reichsbürgern und Rechtsradikalen in Verbindung gebracht werden? Dieser Eindruck drängt sich auf. Dabei nützen unsere demokratischen Strukturen doch den Gegnern des Windparks, sonst hätten sie nicht diese juristischen Erfolge verbuchen können. Weshalb sollten sie diese staatlichen Strukturen also zerstören wollen? Auch diesen Widerspruch thematisiert der Film nicht.

Angriff auf Naturschützer

Wer den Film bis zum Ende sieht, den beschleicht ein mulmiges Gefühl – bei den Protesten von Bürgern, Naturschützern und Verbänden, bei den Verhandlungen vor Gericht und den juristischen Erfolgen gegen den Bau der Windindustrie-Anlagen könnten im Hintergrund Rechtsradikale und sogar Kriminelle am Werk sein, von "Klimawandelleugnern" ganz zu schweigen. Nein, mit solch einem Schmuddel möchten wohl die wenigsten etwas zu tun haben. Zumal – wie eingangs in der Dokumentation gesagt wird – dieser geplante Windpark die "Energiewende in Nordhessen einen großen Schritt voranbringen soll". 

Der Hessische Rundfunk bewarb die "spannende Doku zu unseren Recherchen" unter anderem auf Facebook und mit einer Pressemitteilung. Inhalt des Filmbeitrags seien "dubiose Interessen bei nordhessischen Windkraftgegnern". Nur – worin die "dubiosen Interessen" genau bestehen, bleibt nebulös. Es werden Verbindungen zur Lobby der "Kohle-, Gas- und Atomindustrie" angeführt. Aber wie diese genau aussehen und wie die Windparkgegner von solchen Verbindungen profitieren sollen, wird nicht konkretisiert. Auf Facebook gab es viel – auch fundierte – Kritik an dem Beitrag. Er wird als unseriös und tendenziös empfunden.

Naturschützer müssen sich nicht rechtfertigen und betonen, dass sie keine rechtsradikalen "Klimawandelleugner" sind. Es ist ihr gutes Recht, gegen Projekte zu kämpfen, die ihrer Ansicht nach die Natur zerstören. Auch, wenn dieser Beitrag des Hessischen Rundfunks etwas anderes suggeriert.

Quellen: Doku "Kampf im Reinhardswald – wie Energiewendegegner einen Windpark torpedieren" in der ARD-Mediathek, Pressemitteilung des Hessischen Rundfunks, Facebook-Seite des HR, Bericht der "Neuen Zürcher Zeitung" zum Reinhardswald in Hessen

Sehen Sie in der Fotostrecke: Vor 50 Jahren wurde die Idee Wirklichkeit: Deutschlands erster Nationalpark wurde gegründet. Zum Jubiläum des Nationalparks Bayerischer Wald zeigt ein neuer Bildband das größte Waldschutzgebiet Mitteleuropas zwischen Deutschland und Tschechien.

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