Mehr als elf Millionen Menschen sahen im zurückliegenden Jahr die "Tagesschau", auch die "Tagesthemen" erreichen zu späterer Stunde noch ein Millionenpublikum. Keine Frage: Die Nachrichtensendungen der ARD gelten nach wie vor als der Goldstandard im TV-Journalismus. Wer hier gelandet ist, hat es geschafft. Mehr geht eigentlich nicht.
Dennoch musste die ARD in letzter Zeit gleich mehrere schmerzhafte Abgänge hinnehmen: Vor einigen Wochen moderierte Linda Zervakis ihre letzte "Tagesschau", nun hat auch "Tagesthemen"-Moderatorin Pinar Atalay ihren Weggang bekannt gegeben.
Während Zervakis bei ProSieben angeheuert hat und dort bereits die beiden Kanzlerkandidaten Olaf Scholz und Armin Laschet interviewen durfte, wird Atalay künftig das Nachrichtenangebot von RTL mitverantworten. Die ARD verliert damit in kurzer Zeit gleich zwei prominente und vor allem kompetente Journalistinnen.
Die Verdienstmöglichkeiten bei der "Tagesschau" sind bescheiden
Neben den reizvollen neuen Aufgaben dürften auch finanzielle Gründe bei dem Wechsel eine Rolle gespielt haben. Denn obwohl die "Tagesschau" eine der quotenstärksten Sendungen im deutschen Fernsehen ist, sind die Verdienstmöglichkeiten eher bescheiden.
2019 verriet der damalige ARD-Chefredakteur Kai Gniffke, welche Honorare der Sender den Sprecherinnen und Sprechern zahlt. Als freie Mitarbeitende stehe ihnen für die Hauptausgabe der "Tagesschau" 259,89 Euro zu, so Gniffke. Für kürzere Sendungen gibt es sogar noch deutlich weniger: die Kurzausgabe der "Tagesschau" (bis vier Minuten) wird laut ARD mit 142,62 Euro honoriert. Zwar sind am Tag mehrere Einsätze möglich, dennoch ist es erstaunlich wenig, was die ARD ihren Top-Journalisten zahlt.
Und so verwundert es wenig, dass andere Optionen interessant werden. Die Privatsender ProSieben und RTL bauen seit einiger Zeit ihr Nachrichten- und Informationsangebot auf. Insbesondere RTL meint es ernst. Trennte sich vom krawalligen Dieter Bohlen, der bislang den Jurys bei "DSDS" und "Das Supertalent" vorsaß. Gleichzeitig verpflichtete man den Ex-"Tagesschau"-Sprecher Jan Hofer, der eine wochentägliche Nachrichtensendung im Hauptabendprogramm bekommen soll. Nun kommt mit Pinar Atalay eine erfahrene Journalistin hinzu.
Kritik von Marc Bator
Für die ARD könnte das zum Problem werden. Sympathieträger wie Zervakis und Atalay lassen sich nicht so einfach ersetzen. Marc Bator, bis 2013 selbst "Tagesschau"-Sprecher, übt an seinem früheren Arbeitgeber Kritik: "Gleich drei den Zuschauern liebgewonnene Nachrichtengesichter an private TV-Sender zu verlieren, sollte der ARD zu denken geben," sagte der 48-Jährige dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Bei allem Respekt, muss sich die ARD auch mal hinterfragen, ob ihre Bezahlung und die Flexibilität in der Ausgestaltung der Dienstverträge noch zeitgemäß sind."

Bator selbst hat seine Konsequenzen daraus gezogen und ist zu Sat.1 gewechselt, wo er seit 2013 die Nachrichten moderiert. Bator gehört damit zu den ersten "Tagesschau"-Sprechern, die in den vergangenen zehn Jahren den Schritt von den öffentlich-rechtlichen zu den privaten Sendern vollzogen haben. Seither sind ihm weitere gefolgt - und bei der ARD sollte niemand davon ausgehen, dass der Exodus mit Atalay endet.
Verwendete Quellen: "Tagesschau"-Blog, RND