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"Tatort"-Kritik Controller sind sterblich

Der "Tatort" spielte zwar in der Medienbranche, das Thema - die Unmenschlichkeit "effizienzsteigernder Maßnahmen" - betrifft fast alle. Der Fall brachte den Optimierungswahnsinn auf den Punkt.
Von Sophie Albers

Es war einmal eine Zeitung, die angesichts moderner Entwicklungen wirtschaftlich fit gemacht werden sollte. "Fit for Fusion", um genau zu sein. Schließlich "sind die guten alten Zeiten vorbei", wie der feiste Personalchef proklamiert, während er gnadenlos Blätter vom Büro-Ficus zupft. Das Zusammengehen mit einem britischen Medienriesen soll noch mehr Gewinn bringen. Zwecks "Effizienzsteigerung" werden Controller ins Unternehmen geholt, die durch alle Abteilungen stöbern und gucken, wo, was und vor allem wer eingespart werden kann. Der Kölner "Tatort" "Unter Druck", eine Wiederholung vom 9. Januar 2011, erzählt von Menschen, die über Leichen gehen. Ganz wie in der richtigen Wirtschaft eben.

Die Kommissare Ballauf und Schenk werden früh morgens zum "Abendblatt" gerufen, weil ein junger Mann tot im Foyer liegt - den Blackberry noch umklammernd. Offenbar wurde Carsten Moll in einem oberen Stockwerk über das Geländer gestoßen. Sein Tod sorgt im Unternehmen allerdings für wenig Mitgefühl, schließlich gehörte Moll zum Team besagter Controller. Die Zahl der Verdächtigen steigt stetig. 20 Prozent der Belegschaft stehen auf der täglich aktualisierten schwarzen Liste der zu Entlassenden.

Der Tod steckt im Detail

Die Kommissare nehmen so ziemlich jeden unter die Lupe - vom Chef der Druckerei, der "Bullen" genau so ätzend findet wie Controller, bis zur betonharten Controller-Chefin, die außer einem lukrativen Folgeauftrag nichts zu interessieren scheint. Doch immer wenn Ballauf zu seinem etwas hölzernen "Ich erklär' Ihnen jetzt mal, was passiert ist" ansetzt, gehen seine Visionen ins Leere. Weder die Wut im Bauch über Anzugträger, die dauernd Englisch quatschen, weil sie meinen, dass es cool klingt, noch die enttäuschte Liebe eines jungen Stoffels reichen aus, um einen Mord zu motivieren.

Wirklich Spaß macht auf dem Weg zur etwas verschwurbelten Auflösung die Details: die feine Zeichnung der Charaktere. Dass der Tote früher gern kleine, fiese Karikaturen seiner Mitmenschen angefertigt hat, die bei der Aufklärung ganz hilfreich sind. Dass die harte Geschäftsfrau ausgerechnet gegenüber einer Putzfrau ihre weiche Seite zeigt. Dass das Opfer bei seinem Todessturz eine große Buchstabenskulptur umgerissen hat, ein A. Am Ende stehen die Ermittler neben einem großen B - die Optimierungswelle ist noch lange nicht vorbei.

Immer wiederkehrender Witz des Krimis ist die Frage, wie man eigentlich mit dem Druck des Alltags fertig wird - ob nun als Arbeiter, der um seinen Job fürchtet, entmachteter Verlagschef oder verhasste Controllerin. Und während sich alle Beteiligten Erklärungen aus den Rippen schneiden - Fische füttern, "indem man jeden Tag besser, schneller und souveräner wird", Yoga - ist von Anfang an klar, dass es eben dieser Druck ist, der die Menschen kaputt macht - der sie zum Äußersten treibt oder tötet.

Sogar Ballauf und Schenk - wobei der bärige Dietmar Bär den faden Klaus J. Behrendt komplett an die Wand spielt - müssen begreifen, dass mit ihrer "work life balance" etwas nicht stimmt. Vielleicht wäre ein Kommissar ja effizienter.

Die "Tatort"-Folge wurde erstmals am 9. Januar 2011 ausgestrahlt.

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