"Tatort"-Kritik Mit Kopfschuss in Kärnten

  • von Cord Sauer
Ein Mordanschlag auf den Wiener Kommissar, zwei Leichen, ein Nazi-Dorf: "Unvergessen" hat einiges zu bieten. Doch leider bleibt es nicht dabei - eine irre Wende zum Schluss hinterlässt Fragen.

Kuriositätenkabinett in Kärnten: Im ersten "Tatort" aus Österreichs südlichstem Bundesland, dort, wo Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) in ihrem neusten Fall ermitteln, geschehen seltsame Dinge. Dorfpolizisten darten während der Arbeitszeit auf ein Foto der Kabarettisten Stermann und Grissemann, die sich nach dem Tod Jörg Haiders in Kärnten unbeliebt gemacht hatten, werden vom Kommissar scheinbar hemmungslos geohrfeigt, und als wäre das noch nicht genug, explodiert auch noch ein Steinbruch - "Unvergessen" hat einige Überraschungen zu bieten.

Bei der Menge an gesellschaftlich relevanten Themen, die Bigler in seinem ersten "Tatort" anschneidet, schafft er es leider nicht, ihnen den nötigen Tiefgang zu verleihen: Eine nicht aufgearbeitete Nazi-Vergangenheit, die Missgunst zwischen Wienern und dem "Rest von Österreich" (Kommissar versus Dorfbewohner) oder der klassische Generationenkonflikt - sämtliche Aspekte werden nur angerissen.

Und dann auch noch eine 180-Grad-Wende kurz vor Schluss: Als der Täter nach 75 Minuten eher schleppender Ermittlungsarbeit gefunden scheint, reißt Sascha Bigler, Regisseur und Drehbuchautor von "Unvergessen", das Ruder herum und gibt der Geschichte einen völlig neuen Dreh. Obwohl Kriminalgeschichten oft von genau solch einem erfrischenden Element leben, kommt es hier so irritierend daher, als wollte Bigler gen Ende schlicht einen Verblüffungseffekt aus dem Hut zaubern.

Falsche Fährte: Hakenkreuz und Frakturschrift

Wer wollte den Wiener Chefinspektor erschießen? Eisner selbst kann sich nicht erinnern, als er sich nach einer nächtlichen Verfolgungsjagd in Kärnten mit einer schweren Kopfschussverletzung im Krankenhaus wiederfindet. Also begibt sich der Ermittler verletzt und verwirrt auf die Suche nach der Wahrheit und seinen Erinnerungen. Der gelungene Start kommt zunächst sogar ohne Leiche aus.

Nach dem tollen Auftakt folgt allerdings ein Plot, der sich zieht wie Kaugummi. Der einsame Wolf Eisner, der eine ganze Gemeinde aufmischt und dennoch die Falschen verdächtigt, verrennt sich fast peinlich in Klischees und Vorurteile. Ein Hakenkreuz hier, ein wenig Frakturschrift dort und dazu eine konservative Dorfgemeinschaft, die in traditioneller Tracht gemeinsam musiziert. Fertig ist der braune Sumpf, der im Zweifelsfall immer ein Mordmotiv bietet. Ist Familie Wiegele schuld am Tod von Maja Jancic-Herzog (Bojana Golenac)? Die Journalistin wollte mit ihrem Dokumentarfilm "Unvergessen" ein früheres SS-Massaker im Dorf aufarbeiten und fand bei ihrer Recherche heraus, dass Opa Wiegele (Peter Mitterrutzner) aktiv beteiligt war an der damaligen Metzelei.

Am Ende ist der wahre Täter ein anderer, auch wenn die Auftritte von Richard Herzog (Merab Ninidze), dem Ehemann der getöteten Journalistin, im Vorfeld überschaubar waren. Aus dem Nichts kommt auch eine weitere Geschichte - Medikamententests gegen Alzheimer - doch der zusätzliche Handlungsstrang ist des Guten zu viel: Diese Wende wirft einen langen Schatten auf den Rest des "Tatorts".

Krassnitzer in Höchstform

Dafür sehr überzeugend: Harald Krassnitzer - der alteingesessene "Tatort"-Ermittler ist in seinem 30. Fall in Höchstform. Mal verstört, kauzig und eigenwillig, mal bissig, provokant, aggressiv und dann wieder so zahm, so liebenswürdig. Schauspielkollegin Neuhauser, diesmal eher im Hintergrund, besticht durch ihre fast mütterliche Fürsorge, als sie dem verletzten Kommissar zur Seite steht. Unglaubwürdiger wird ihre Rolle zum Schluss: Sie entdeckt an Eisners Reisetasche einen USB-Stick, identifiziert ihn sofort als Beweismaterial und stößt so auf die belastenden Dateien, die Herzog letztendlich überführen.

Trotz diversen Ungereimtheiten und an den Haaren herbeigezogenem Turnaround unterhält der "Tatort". Vor allem Eisners erstklassig inszenierte Traumsequenzen und die hervorragend umgesetzten Schnittwechsel, die den verwirrten Zustand des Kommissars zeigen, retten die Episode aus Österreich.

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