Tragen rollen durch die Flure, Türen schwingen mit einem Knall auf, Ärzt*innen und Pflegepersonal stehen um Liegen und behandeln die Patientinnen und Patienten – und versuchen dabei nicht selten ihr Leben zu retten. "Defibrillator geladen! Achtung!" So ging es in fast jeder Folge von "Emergency Room" oder kurz "ER" zu.
"Emergency Room" spricht kritische Themen an
15 Staffeln und mehr als 300 Episoden lang lief "ER" – zum ersten Mal flimmerten die Fernsehdoktoren im September 1994 über die Schirme der Zuschauer. Bis 2009 rettete das medizinische Personal im "County General"-Krankenhaus in Chicago Menschenleben, kümmerte sich um kleine Wehwehchen und erlebte allerhand Katastrophen.
Dabei scheuten sich die Serienmacher nicht davor, die Realität ungeschminkt wiederzugeben. Drogensucht, Missbrauch, Bandengewalt, Rassismus, Suizid, Armut und häusliche Gewalt waren in beinahe jeder Folge Thema. Auch HIV und Aids wurden oft thematisiert – in den 1990er-Jahren etwas, das noch stark mit Stigmata behaftet war. Und zwischendurch der ganz normale Wahnsinn: Unfälle, Schnittwunden, Katastrophen, Herzinfarkte und auch der Tod. "ER" zeigte schonungslos, dass nicht jedes Leben gerettet werden kann und Ärztinnen und Ärzte auch scheitern können.
So etwa in der ersten Staffel, als Dr. Mark Greene (Anthony Edwards) bei einer Geburt vollkommen überfordert ist und versucht, eine werdende Mutter und ihr Kind zu retten:
Und dabei leider die Mutter verliert (Achtung, blutige Szene):
Realitätsnah und hervorragende Kameraarbeit
Besonders beeindruckend ist dabei die Nähe zur Realität, was auch daran liegt, dass für die Serie hervorragend recherchiert wurde und Fachberater zur Seite standen. Verletzungen werden detailgetreu gezeigt, mit Filmblut wird nicht gespart. Man hat das Gefühl, live im OP dabei zu sein und fiebert mit, bangt um die Patienten und wird emotional, wenn sie sterben oder Angehörige um sie weinen.
Die Serie geht außerdem weg vom Kitsch und den golfspielenden Halbgöttern in Weiß und zeigt Ärztinnen und Ärzte mit vielschichtigen Charakteren, die Fehler machen und mit moralischen oder gar ethischen Konflikten kämpfen – und zusätzlich noch Kämpfe im Privaten austragen müssen. Die schauspielerischen Höchstleistungen dabei sind noch die Kirsche auf dem Sahnehäubchen. Die Überforderung des US-amerikanischen Gesundheitssystems liegt dabei über der ganzen Serie, was sie auch glaubwürdiger macht. "ER" war deshalb beinahe eine Revolution im Bereich der Krankenhausserien und wurde dafür mit jeder Menge Preisen belohnt.

Darüber hinaus machen exzellente Kameraarbeit und spannende Handlungsstränge die Serie zu einem echten "must watch". Die Serienmacher und Drehbuchautoren scheuten dabei nicht davor zurück, gleich mehrere Stränge in einer Folge unterzubringen – und schafften es trotzdem, die Folgen von Anfang bis Ende spannend zu erzählen. "ER" wurde seinem Genre Drama gerecht.
Drama, Humor – und Romantik
Gleich in der ersten Folge stellt die Serie das unter Beweis, als die Oberschwester Carol Hathaway (Julianna Margulies) nach einem Suizidversuch mit einer Medikamentenüberdosis in die Notaufnahme des "County" eingeliefert wird:
Oder als Kinderarzt Dr. Doug Ross (George Clooney) einen Jungen vor dem Tod durch Ertrinken rettet:
Als Dr. John Carter (Noah Wyle) und Medizinstudentin Lucy Knight (Kellie Martin) von einem schizophrenen Patienten niedergestochen und von ihren Kolleginnen und Kollegen behandelt werden (Achtung, blutige Szene):
Oder als Dr. Carter und Dr. Peter Benton (Eriq La Salle) einen Mann behandeln, der von einer Hochbahn erfasst wurde – und dann merken, dass es ihr Freund und Kollege ist, der "auf dem Tisch" liegt:
Es könnten hier noch so viele Momente aufgezählt werden.
Doch neben all dem Drama, Tod und den Krankheiten gibt es auch immer wieder humorvolle Szenen, die die Atmosphäre auflockern und zeigen, dass Krankenhäuser auch Orte sein können, in denen es nicht nur ernst zugeht. Zum Beispiel, als die Leute aus der Notaufnahme ihre gestohlenen Reanimationswagen "zurückklauen":
Oder als Dr. Carter seinem Mentor Dr. Benton den Blinddarm rausoperieren darf:
Und natürlich darf auch das Zwischenmenschliche und Romantische nicht fehlen. Affären und Beziehungen sind neben den Not-Operationen quasi die Nebenhandlung. Eine Szene, die jedem Fan das Herz höherschlagen lässt, ist die Wiedervereinigung von Carol und Doug:
"ER" hat auch seine Schwächen, leider
Natürlich sind "Grey's Anatomy" oder "Dr. House" genauso interessant und auch spannend. Und auch "Scrubs" ist als humorvoll gestrickte Krankenhausserie sehr unterhaltsam. Doch "Emergency Room" glänzt mit seiner Realitätsnähe und dem fantastischen Drama, etwas, das nur wenige schaffen.
Bei aller Schwärmerei für "ER", so muss man dazu sagen: Sie bezieht sich nur auf die ersten Staffeln. Frühestens mit dem Serientod von Dr. Greene in der achten Staffel und spätestens ab der zehnten Staffel verliert die Serie den Blick fürs Medizinische, Figuren verlieren an Charakter und werden uninteressanter, ebenso die Geschichten. Die Serie wurde "seifenopriger" und konnte nicht mehr an seine Anfänge und seinen früheren revolutionären Charakter anknüpfen. "ER" hing irgendwann selbst am Tropf, bis schließlich der Stecker gezogen wurde.
Trotz des schwachen und pulslosen Endes der Serie: Wer gutes Drama mag, sollte diesen Meilenstein der Fernsehgeschichte binge-watchen. Wie heißt es so schön, alles kommt irgendwann wieder. Oder anders gesagt: Den Serien-Defibrillator laden!
Wenn Sie "Emergency Room" schauen wollen: Die Serie gibt es bei, Amazon Prime Video, Google Play, Maxdome, Youtube und iTunes – oder auch auf DVD.