Die Franzosen haben Brigitte Bardot, wir haben Boris Becker. Erstmals wurden wir unseres BBs im Jahre 1985 in England ansichtig; damals war er 17, hatte noch rote Haare, wirkte, als trage er nicht nur berufsbedingt kurze Hosen und gewann Wimbledon. Seither gehört Becker zu uns wie Tesa zu Film oder Dick zu Doof. Erst beschenkte er uns mit so aufregenden Siegen, dass der Brite Peter Ustinov fand, er habe uns den Patriotismus zurückgegeben. Bei insgesamt sechs Grand-Slam-Turnieren triumphierte er, gewann dazu noch kiloweise Klein-Pokale in aller Welt und war das fleischgewordene Bruttosozialprodukt Deutschlands.
Seit es vorbei ist mit dem Tennis, sorgt er dafür, dass beständig wonnige Schauer der Wollust durch die Hair-Extension-Studios unseres schönen Landes wabern: Dank seiner können wir regelmäßig so wunderbare Dinge lesen wie: "Seine maßlose Kraft wirkt verzaubernd" (Angela Ermakowa aus der Besenkammer), oder: "Liebes-Chaos im Wüstensand" ("Bunte" aus München).
Für alle, die in letzter Zeit kein Hair-Extension-Studio frequentiert haben, hier eine Zusammenfassung des Geschehens um und insbesondere auch in unserem BB: Im August verlobt sich der längst biergelbhaarige Boris, damals noch 40, mit einer gewissen Sandy Meyer-Wölden, 25, indem er sie mit einem 150000-Euro-teuren Ring beschenkt und zur Party bei "Käfer" in München bittet. Wir erfahren erstens, dass Boris die blonde Schöne schon kannte, als sie noch mit Barbies spielte - ihr verstorbener Vater war sein Manager gewesen - , und zweitens, dass sie Rühreier machen kann, und zwar in einer "Teflonpfanne", was ihn an seine Mutter Elvira erinnert haben soll. Worauf er spricht: "Vor allem ist sie die Frau, mit der ich Kinder haben möchte." Worauf sie sagt: "Mit der Liebe spielt man nicht."
Showdown im Wüstensand
Es folgt ein Auftritt auf dem Oktoberfest, er träg eine Hose aus Leder, sie ein Dirndl aus Stoff. Doch dann, im November, jäh: Schluss, aus, vorbei. Sie, zu "Bild am Sonntag": "Ich habe für unsere Liebe gekämpft, bis es nicht mehr ging." Er, zu "Bild": "Auf meiner Seele ist herumgetrampelt worden."
Hernach die chaotische Episode im bereits erwähnten Wüstensand. Eben dort, oder vielmehr in einem auf ihm gebauten Luxushotel in Dubai, stoßen die beiden aufeinander, ohne auch nur ein einziges Wort miteinander zu wechseln. Sie: vor Kummer verhärmt und infolgedessen "erschreckend zerbrechlich". Er: mopsfidel an der Seite seiner Ex-Freundin Lilly Kerssenberg. Worauf sie abreist. Worauf er noch ein bisschen bleibt, 41 wird, und anschließend in Zürich der "Bunten" beichtet: "Ich wäre froh, wenn mir jemand mal die Liebe erklären könnte", sowie: "Ich hoffe, bei den großen Philosophen der Liebe Trost und Ratschläge zu finden", und auch: "Yesterday is history, tomorrow is mystery, so live today."
Ein schönes, ja, ein geradezu kühnes Aperçu. Wozu braucht Boris Philosophen, wo er doch selbst einer ist? Und wie immer lässt er uns generös an seinen geistigen Zuckungen teilhaben. Freigiebig war er schon als Rothaariger, stets haben wir mehr von ihm genommen, als wir ihm je geben konnten. "Bumm-Bumm"- und "Blitzkrieg-Boris" wurde der Knabe damals kosend genannt, oder auch "Bobbele" sowie "der Leimener". Letzteres klang in unseren Ohren mit der Zeit gar nicht mehr nach Wolkenstore, sondern fast so weltläufig wie "der New Yorker".
Alles liebten wir an ihm, seine muskelbepackten Schenkel, seine knappen Shorts, das stets akkurat reingesteckte Turnhemd, seine insgesamt komplett an eine Teigware erinnernde Erscheinung. Anbetungswürdig fanden wir die "Becker-Faust" und den "Becker-Hecht", gelegentlich auch "Becker-Rolle" geheißen, berauscht lauschten wir seinen "Ähms" und "Öhs". Sein Kohl-Deutsch war Musik in unseren Ohren, und ähnlich wie der Alt-Kanzler vermochte er uns von Anfang an mit genialen Sprach-Schöpfungen zu begeistern. Sagte der eine, er wolle das Handtuch der Gemeinsamkeiten nicht zerschneiden, sprach der andere, er sei "mental grad net so gut drauf", was er Jahre später um ein Vielfaches übertreffen konnte mit der Kreation "Samenraub".
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Nicht nur war er selbst inspiriert, bis zum heutigen Tag befruchtet er auch uns. Unvergessen ist zum Beispiel die bezaubernde Schlagzeile "Der Leimener beim Urnengang". Und es ist sein Verdienst, dass die Redakteure der "BZ" kürzlich zu Lyrikern mutierten, die dichteten: "Der Herbst, in dem die Liebe starb", und auch: "Als die Blätter fielen, brachen die Herzen."
Anders als seine Tennis-Kollegin Steffi Graf hatte Becker stets Menschen an seiner Seite, die nicht sein Vater waren und unserem Bobbele und damit auch uns selbst einen Hauch von weltläufigem Glanz verliehen. Erst war es sein exotischer Manager Ion Tiriac mit dem aufregenden Schnauzbart, dann vielerlei Damen. Die waren zunächst noch braun oder blond - Bénédictine Coubertin, Karen Schultz - , und anschließend für lange Zeit dunkel, bis Sandy kam und ging.
Boris Becker: Ein "Global Player"
Barbara Feltus gebar ihm zwei Söhne, Angela Ermakowa raubte ihm in einer Londoner Besenkammer den Samen und schenkte ihm dafür eine Tochter, es folgten unter anderem Sabrina, Patrice sowie Lilly. Allesamt waren sie schwarzhaarig. Becker seinerseits wurde immer blonder und stetig tiefer. Er reifte zum Mann heran, wir reiften mit. Manch ein Leistungssportler führt nach dem Ende seiner Karriere ein Leben, so leer wie ein albanischer Parkplatz unter Enver Hodscha.
Nicht so unser BB. Randvoll ist der Terminkalender des "Global Players", und immer dürfen wir dabei sein, wenn er auftritt, ob in Stralsund oder bei einer Steuerhinterziehung, ob auf Mallorca oder bei einer Wohltat, ob bei Mandela oder bei "Beckmann" , ob in Florida oder bei einer Firmenpleite. Zwischendurch liest er unablässig, Günter Grass und Max Frisch, Norman Mailer, Martin Walser und Laotse; das wissen wir aus seiner Autobiographie "Augenblick, verweile doch", frei nach Goethe, den liest er natürlich auch.
Schreiben tut er nicht nur über sich selbst, sondern selbstlos auch darüber, "Was Kinder stark macht". Und wenn er nicht reist oder liest oder schreibt, dann denkt er. "In Religionen gibt es kein Richtig und auch kein Falsch", denkt er zum Beispiel, oder auch: "Mich stört, dass so viel Geld in die Rüstung geht", und des weiteren: "Ich glaube, ich bin jetzt nicht übergeschnappt, aber ich bin schon in gewisser Weise ein Botschafter des neuen Deutschland."
Das neue Deutschland
Wir denken mit und finden: Was heißt er übergeschnappt? Der Mann hat völlig Recht. Brigitte Bardot ist altes Frankreich, Boris Becker ist neues Deutschland. Die französische BB küsst nur noch Schäferhunde, wir aber können wieder und weiter darüber rätseln, wen Becker jetzt gerade küsst. Schwarz? Blond? Braun? Henna? Magenta? Somit ist er ein nicht enden wollendes Divertimento auf zwei strammen Beinen, das uns Trost spendet in schweren Zeiten der Krise. Kurz: Wir haben den besseren BB.