"MeToo"-Auslöser Nicht nur seine Gehhilfe ist eine Farce – was Harvey Weinsteins Deal wirklich bedeutet

Harvey Weinstein
Harvey Weinstein erschien vor Gericht mit einer Gehhilfe
© RW/MPI / Picture Alliance
Harvey Weinsteins Anwälte haben einen Vergleich ausgehandelt, der den Ex-Filmproduzenten von einem Schuldgeständnis in Sachen sexueller Belästigung befreien würde. Doch der Deal stinkt vorne und hinten. Was das bedeutet – und was Weinstein trotzdem noch droht.

Es mag wie eine hohe Summe klingen. 25 Millionen Dollar muss Harvey Weinstein an über 30 Frauen blechen. Das berichtete am Mittwochabend die "New York Times". Aber der Deal stinkt vorne und hinten. Denn Weinstein wird nicht einen Cent der Millionensumme selbst bezahlen müssen. Eine Versicherung seiner bankrotten Produktionsfirma wird das laut "TMZ" übernehmen. Noch schlimmer allerdings: Weinstein wird keinerlei Schuld eingestehen müssen.

Harvey Weinstein
Harvey Weinstein erschien vor Gericht mit einer Gehhilfe
© RW/MPI / Picture Alliance

Dass diese Handhabung bei vergleichbaren Deals nicht unüblich ist, macht die Sache nicht besser. Denn der Weinstein-Skandal brachte die MeToo-Debatte erst ins Rollen, von der sich Frauen auf der ganzen Welt erhoffen, dass sie eine Veränderung in den Strukturen (am Arbeitsplatz und anderswo) mitbringen könnte. Was hier entschieden wird, die Summen, die ausgehandelt werden, haben eine brisante und fatale Signalwirkung. 

Harvey Weinstein und sein Deal: "Mehr als ein Rechenproblem"

Enttäuscht zeigt sich auch die Opfer-Initiative "Time's Up", die wenige Monate nach den Weinstein-Enthüllungen ins Leben gerufen wurde. "Diese Einigung ist mehr als ein Rechenproblem - sie ist ein Symptom eines problematischen, kaputten Systems, das mächtige Täter auf Kosten der Überlebenden privilegiert", sagte Rebecca Goldman, Chief Operating Officer der Initiative. "Obwohl dieser Deal fehlerhaft ist, wissen wir, dass er die harte Arbeit mehrerer Überlebender von Harvey Weinstein darstellt. Wir hoffen, dass es ihnen und vielleicht auch anderen ein kleines Maß an Gerechtigkeit und Erleichterung bringt, das längst überfällig ist." Laut Berechnungen der "New York Times" dürfte keines von Weinsteins mutmaßlichen Opfern, die in dem Deal inkludiert sind, mehr als 500.000 Dollar bekommen. Unter normalen Umständen natürlich viel Geld - und trotzdem viel zu wenig, wenn man den Zusammenhang in Betracht zieht.

Die Summe: eine Farce

Was die zahlreichen Frauen verdienen, wäre eine Entschuldigung: dass Weinstein, der Karrieren mit einem Handschlag zerstören konnte, zugibt, dass er seine Macht über Jahrzehnte ausgenutzt hat. Abgesehen von einer finanziellen Entschädigung würde ein solches Eingeständnis das Mindeste sein, was Weinsteins mutmaßlichen Opfern zusteht.

500.000 Dollar ist eine Farce, stellt man sich vor, was die Frauen hätten verdienen können, hätte Weinstein ihre Karrieren nicht schon im Keim erstickt. 500.000 Dollar ist eine Farce, rechnet man sich aus, wie viel Geld Weinstein selbst über die Jahre eingenommen hat. 500.000 Dollar ist eine Farce, wenn man bedenkt, dass höchstwahrscheinlich noch viel mehr Frauen von dem 67-Jährigen geschädigt worden sind. Über 80 haben ihre Geschichten erzählt. Weinstein gehörte über Jahrzehnte zu den mächtigsten Männern Hollywoods. Unbenommen dürften es also weit mehr sein, die sich bislang nicht getraut haben, an die Öffentlichkeit zu gehen. 

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Mit Gehhilfe vor Gericht

Eine Farce war auch Weinsteins Auftritt vor Gericht. Mit einer Gehhilfe humpelte der ehemalige Filmproduzent in den Saal. Sein Anwalt sagte, er habe damit keineswegs Mitleid erzeugen wollen, aber er bräuchte die Hilfe wegen seines schmerzenden Rückens. Ein Problem, das er vor wenigen Wochen, als er in einem New Yorker Nachtklub mit Freunden eine Comedy-Show besuchte, augenscheinlich noch nicht hatte. Die Bilder erinnern an Bill Cosby. Cosby, der mittlerweile eine Haftstrafe absitzt, erschien ebenfalls mit einem Gehstock vor Gericht, erzählte damals kurz vor der Anhörung, er sei erblindet. 

Der einzige Hoffnungsschimmer ist der Strafprozess, um den Harvey Weinstein trotz des Deals nicht herumkommen wird. Denn seine Vereinbarung inkludiert nicht alle mutmaßlichen Opfer. In dem New Yorker Prozess soll es um die Anschuldigungen zweier Frauen gehen, die Weinstein eine Vergewaltigung im Jahr 2013 und erzwungenen Oralverkehr im Jahr 2006 vorwerfen. Im Januar wird er sich erneut vor Gericht verantworten müssen. Bei Verurteilung droht ihm lebenslange Haft.

Es wäre die einzige Möglichkeit, doch noch Gerechtigkeit für die zahlreichen Frauen zu erlangen. Denn Stand jetzt bedeutet Weinsteins Deal vor allem eines: Mit genügend Geld kann man sich rauskaufen lassen - und muss sich nicht einmal entschuldigen. 

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