Jackpot Goldene Zeiten

  • von Markus Götting
Ein Lottoschein bestimmt ihr Sein: Mithilfe der "Bild" knackten Petra und Fritz den Jackpot. Jetzt müssen sie sich an 15 Millionen Euro gewöhnen.

Heute Morgen im Hotel, sagt die Petra, ist sie mit dem Poldi im Aufzug gefahren. Mit dem Poldi? "Dem Fußballer", sagt die Petra, und ihre Augen leuchten, und der Fritz erzählt jetzt, zum zweiten Mal schon, dass er in der Lobby Jenny Elvers gesehen hat. Die Jenny Elvers, die jetzt Elvers-Elbertzhagen heißt. Und abends sind sie dann auf der Bühne gestanden. Beim Gottschalk. Petra und Fritz. Sie haben ein paar Hunderttausend Euro bei der "Ein Herz für Kinder"- Gala gespendet, da waren sie live im Fernsehen: Fritz in dem grauen Anzug, den er sich vor drei Jahren zur Hochzeit der Tochter gekauft hat, und die Petra trug einen neuen Hosenanzug von H & M. "Hundertfuffzich Euro", sagt sie. Es ist eine etwas irreale Zwischenwelt, in die sie das Schicksal da hineinkatapultiert hat, diese Welt mit den Kameras, den Scheinwerfern und den vielen Prominenten. Aber sie sind ja selbst ein bisschen berühmt jetzt: Petra und Fritz L. - die Lottomillionäre von der "Bild". Dem Fritz ist das irgendwie ungeheuer. Er hofft: "Übermorgen kennt uns kein Mensch mehr von denen." Petra seufzt. "Gott sei Dank."

Und dann fängt der Fritz einen sehr schönen Satz an: "Zwei Wochen bevor der Lottogewinn zu uns kam ..." Ein nettes Bild. Wie da so ein Lottogewinn vor der Tür steht von "dem klein Häusken", wie die Petra das nennt, wie er klingelt und sagt: Guten Tag, darf ich mich vorstellen? Ich bin der Lottogewinn. Ihr neues Leben! In Wahrheit waren das zwei Herren von der "Bild", die an jenem Mittwochabend in der Dunkelheit vor der Tür warteten, als Petra und Fritz von der Wassergymnastik im Hallenbad mit einer Plastiktüte nach Hause kamen, zwei Döner in Alufolie drin und Hunger im Magen. "Die Zahlen wollten wir uns im Videotext ansehen", sagt Petra, "Schwimmen geht vor!" Und als die Männer sagten, Petra und Fritz hätten den Jackpot geknackt, da ist der Fritz kreidebleich geworden im Gesicht. "Ach du Scheiße!", hat er gedacht. Und den Döner haben sie dann ganz vergessen. Den beiden ist das gelungen, worauf jede Woche 20 Millionen Deutsche hoffen. Das schnelle Glück und Reichtum ohne Arbeit. Es waren ein paar irre Wochen in diesem Spätherbst, selbst die kleinste Lottobude wurde zur Kathedrale der Illusion.

Die ersten zwei Nächte sind sie stundenlang wach gelegen

Draußen der kalte und verregnete Dezember, drinnen wärmten sich die Menschen an ihren Träumen. In den letzten beiden Wochen vor dem Big Bang hatte sich die Zahl der Einsätze mehr als verdoppelt, im ganzen Land redeten sie dauernd vom Jackpot und davon, was man wohl anfangen würde mit 45 Millionen Euro. Am Ende aber steht für die Gewinner gar nicht mehr die Frage, was man mit dem Geld macht. Sondern eher: Was macht das Geld mit ihnen? Petra und Fritz sitzen in einer Hotelsuite im Berliner "Adlon"; draußen das Brandenburger Tor, hier: feiner Teppich, die Wände mit dunklem Kirschholz vertäfelt. Zwei Menschen staunen. Fritz trägt blaue Jeans, einen hellblauen Pullover und Joggingschuhe von Adidas. Und nun also 15 Millionen, ein Drittel des Jackpots, den mit ihnen noch zwei weitere Tipper geknackt hatten. Fritz sagt: "Als Erstes hab ich gedacht: Jetzt wird sich unser Leben ändern. Das hat mir Angst gemacht." Und diese Angst, die sind sie auch noch nicht losgeworden. Das ist ja das Verrückte an 6 aus 49: Der Schein bestimmt das Bewusstsein. Man spielt in der Hoffnung auf Veränderung im Leben, und wenn das Glück einen dann tatsächlich erwischt, erschrickt man.

Petra war wie immer kurz nach fünf aufgestanden an jenem Mittwochmorgen, sie hatte die "Bild" am Kiosk geholt, darin ein Gewinnspiel: Jede Stunde ein Lottoschein im Wert von 6000 Euro. Ein Systemschein - im Prinzip wie 8008 ausgefüllte Kästchen. Um sieben rief sie an, um elf klingelte ihr Handy: "Glückwunsch, sagen Sie mal Ihre Zahlen." Sie nannte Geburtsdaten, Hochzeitstag, die üblichen Ziffern, die einem so einfallen, und dann fragte sie, ob sie nicht einfach die 6000 Euro behalten könne. "Das wäre eine Menge Geld für uns gewesen." Zweimal Segen an einem Tag. Muss man auch erst mal verkraften so was. Die ersten zwei Nächte sind sie stundenlang wach gelegen, haben höchstens ein bisschen gedöst, und nachts um fünf ist der Fritz noch mal aufgestanden. Stück Kuchen aus dem Kühlschrank holen. "Hättest du da bloß nicht angerufen", hat er seiner Frau zugeflüstert. Und irgendwie denkt er das immer noch. Manchmal jedenfalls. Die Glücksboten von der Zeitung blieben über Nacht. Auf dem Wohnzimmersofa. Und dann ging’s schon auf große Reise: Amsterdam, Hamburg, Dubai. Es brauchte Bilder für diese gedruckte Seifenoper.

"Glücklich waren wir auch vorher schon"

Zwischenstopp in der Lottozentrale, Foto vor einem Geldberg. Fritz sagt: "Da sieht man erst mal, dass es gar nicht einfach ist, so eine Menge in bar aufzutreiben." Ein paar Bündel Fünfhunderter waren das, der Rest Pappkartons. Fritz und Petra lachen sich schlapp: "Und schwedische Kronen." Die Leute von der Lottozentrale raten den neuen Millionären, den Gewinn möglichst geheim zu halten. Oder nur einen Bruchteil zuzugeben. Aber wie soll das gehen, wenn man den Tippschein bei der Boulevardzeitung gewinnt? Es ist Teil des Geschäfts, sagen Petra und Fritz, und sie sind dankbar genug, sich nicht zu beklagen. Für 15 Millionen hält man auch die Presselümmel eine Weile aus. Die berühmtesten Lottogeschichten aber sind fast immer Verliererstorys. Lotto-Lothar wurde zur Legende, die Medien machten ihn für kurze Zeit zu einem Popstar. Lothar Kuzydlowski war ein Sozialhilfeempfänger aus Hannover, der sich mit Gelegenheitsjobs durchs Leben schlug, aber dieses eine verdammte Mal hatte er Glück. Danach investierte er seine Millionen in einen Lamborghini, teure Frauen, billiges Bier und Wodka. Bis ihn eine Leberzirrhose ins Grab brachte. Auf seinem Friedhofsstein steht: "Gekämpft, gehofft und doch verloren." Fritz sagt: "Aber der hatte doch auch eine Menge Spaß!"

Viele Lottospieler glauben an diese Einheit von Geld und Glück, aber Petra sagt: "Glücklich waren wir auch vorher schon." Sie sagt: "Wir sind seit 30 Jahren verheiratet." Es ist das deutsche Glück, das sie hatten, vorher, in ihrem alten Leben. Ein Häuschen am Rande der Großstadt im Rheinland, sanierungsbedürftig zwar, aber in einer netten Siedlung mit netten Nachbarn. Schützenverein und Hundesportklub. Sie arbeitet im Innendienst bei einer privaten Krankenversicherung, 14 Tage Sonderurlaub jetzt, aber Fritz, der wurde schon mit Mitte 30 zum Frührentner. Rheuma, Arthrose, künstliches Kniegelenk, seit 20 Jahren ist er schon zu Hause. "Manchmal", sagt er, "fällt einem die Decke auf den Kopf." Dann geht er mit den Hunden raus Das Geld hat immer gerade so gereicht. Für Urlaub in Bayern, und vor drei Jahren waren sie mal auf Mallorca. Weihnachtsgeschenke von Tchibo für die Tochter oder einen Gutschein vom Media Markt für den Schwiegersohn. Vor ein paar Wochen hatte Petra ihrem Fritz 300 Euro zugesteckt, damit er sich was kauft zum Fest, aber er hat sie aufgehoben. Man weiß ja nie. "Kurz vor Heiligabend kommt immer die Rechnung von den Stadtwerken."

"In 30 Jahren haben wir nie Schulden gemacht"

Das war die alte Lebensrealität bei Familie L.: die Sorge, dass die Stadt wieder den Bürgersteig aufreißt und die Anwohner abkassiert. Petra sagt: "In 30 Jahren haben wir nie Schulden gemacht." Fritz sagt: "Aber manchmal hat mir die Hand gezittert, wenn ich zum Briefkasten gegangen bin." So allmählich dämmert ihnen das: dass sie keine Angst mehr haben müssen vor der Post. Wer immer so gelebt hat, erdverbunden, aber nie ganz unten, der will auch nicht nach ganz oben. Diese Tour, das war alles sehr spannend und aufregend, aber auch irgendwie gaga. Man kannte so was ja nur aus dem Fernsehen. Luxushotels, teure Restaurants. "Diese Gourmet-Teller", sagt Petra, "auf denen nix drauf ist." Jetzt wissen sie schon mal, was sie nicht wollen. Petra will einen neuen Kleinwagen, mit Servolenkung und Airbag; ihr alter Fiat Cinquecento fällt eh bald auseinander, ein Wunder, dass der überhaupt 14 Jahre gehalten hat. Fritz hat früher für große Autos geschwärmt. Den Mercedes-Geländewagen kaufen sie aber erst mal nicht. Petra sagt: "Wir reißen unser Haus ab, da ist ja alles feucht und Schwarzschimmel überall.

Das hat vielleicht unsere Gesundheit ruiniert. Reißen wir ab und bauen ein neues." Für die Kinder haben sie schon ein Konto angelegt. Die Kinder. Petra und Fritz reden viel über ihre Töchter. Die Älteste ist 30 und mit einem Polizisten verheiratet. Der hat ein gutes Gehalt als Beamter, findet Fritz. Die beiden wohnen zehn Minuten entfernt und passen gerade auf das Haus auf und füttern die Hunde. Nur die 29-Jährige, die hat sich immer noch nicht gemeldet. Petra sagt: "Ich weiß, wo sie wohnt, und schreibe ihr auch immer, aber es kommt nichts zurück. Kein Kontakt." Dabei gab es nie richtigen Streit, sagt Petra, "sie will ihr eigenes Leben leben, Ruhe haben". Und dazu gehört wohl auch, dass sie aus der Zeitung erfährt, dass ihre Eltern jetzt sehr reich sind. Klingt nach einer klassischen No-win- Situation für das verlorene Kind. Wenn sie sich jetzt meldet, was sagt das dann über ihren Charakter? Petra sagt, das sei ihr völlig egal. "Wissen Sie, ich habe doch gar keine Wünsche. Aber dass meine Tochter sich meldet, das ist mein einziger Traum."

print

PRODUKTE & TIPPS