Miss Germany 2008 Köpfchen schützt vor Krönchen nicht

  • von Björn Erichsen
Die 18-jährige Kim-Valerie Voigt aus Hannover ist die neue Miss Germany. Sie setzte sich auf der gediegenen Galaveranstaltung gegen diverse Schülerinnen, Industriekauffrauen und eine Waffennärrin durch. Nicht jede der Verliererinnen nahm es mit Humor.

Auf Heidi Klum ist die 17-jährige Viviene Stutz gar nicht gut zu sprechen. Im letzten Jahr hatte sich die amtierende Miss Baden-Württemberg bei "Germanys next Topmodel" beworben - und war glatt abgelehnt worden. "Die wollen dort nur Mädels über 1,70 Meter und unter 50 Kilo und ich war eben zwei Zentimeter zu klein", schimpft die Medienkauffrau aus Karlsuhe, während sie sich im Backstage-Bereich der Miss-Germany-Wahl im Europapark Rust die "French Nails" feilen lässt. "Heidi ist bei mir unten durch. Sie hat immer gesagt, dass sie nichts von Magermodels hält und unterstützt das dann doch." Zum Glück ist bei der Wahl zu Deutschlands schönster Frau alles anders gewesen. "Wir sind super betreut worden und haben dreimal am Tag zu Essen bekommen. Meisten sogar viel zu viel."

Pummelchen sucht man allerdings vergeblich unter den 22 Finalistinnen zur Miss-Germany-Wahl. Modelmaße haben sie alle, doch wie Schönheitsköniginnen sehen sie am Nachmittag vor der Entscheidung nicht aus. Mit Lockenwickler in den Haaren und Schlabber-T-Shirts sitzen sie an langen Schminktischen, tragen Füßlinge statt sexy High Heels, Miss Bayern watschelt mit ein paar roten Puschen mit Pinguin-Motiv in Richtung Salatbar. Schwerstarbeit für die 60 Stylisten, Visagisten und Make-up-Artisten, die die Missen im Akkord abfertigen.

Dabei geht es nicht weniger professionell zu als in der Klumschen Fernsehshow. Nichts wird dem Zufall überlassen. In den letzten Wochen waren die Missen mit dem Tross des Veranstalters MGC unterwegs, unter anderem zu Fotoshootings in Ägypten. Dabei haben sie immer wieder Testfrisuren verpasst bekommen, der jeweilige Schönheitswert wurde in akribischen Fotoanalysen ausgewertet. Beim Make up wird nun ordentlich geklotzt: "Wir müssen ja auf Fernwirkung schminken" sagt Sandra Weber von der Firma Famous Face Academy. "Das heißt starke Grundierung, Konturen hervorheben und ganz viel Rouge. Von nahem betrachtet, sieht das fast aus wie eine Maske."

Bei der abendlichen Gala wird nicht weniger dick aufgetragen. Der "Dome" im Europapark wird sanftblau angestrahlt, windfeste Fackeln flankieren den roten Teppich. Im großen Innenraum machen sich die Ehrengäste über Rindermedaillons und soufflierte Süßkartoffeln her. Alles ganz gediegen, aber irgendwie anachronistisch: Zusammen mit Ex-Fernsehmoderator Ingo Dubinski führt Ex-Miss-Germany Ines Kuba durch die Veranstaltung und präsentiert ein gutes Dutzend anderer ehemaliger Missen und Mister, die erzählen, dass sie nun Bankdirektoren, Radiomoderatoren oder Mamis geworden sind. Im Showprogramm tritt ein Bauchredner auf und eine Sängerin namens Paloma - Miss Switzerland 2000 - singt im kurzen Jeans-Röckchen Lieder wie "Walkin' on sunshine" oder "I will survive".

"Gudnabend allerseits"

Die 22-köpfige Jury ist eine bunte Mischung aus Sponsoren und irgendwie Prominenten. Den meisten Applaus bekommt Box-Weltmeister Artur Abraham, Sportschau-Legende Heribert Fassbender lässt sich sein "Gudnabend allerseits" natürlich nicht nehmen. Giulia Siegel kündigt an, ihr Urteil "ausschließlich nach dem Gesicht der Mädchen" treffen zu wollen, und fängt sich dafür ein paar Buhrufe. Jemand wie Schönheitschirurg Werner Mang weiß natürlich, was eine Miss Germany braucht: "Ein harmonisches Gesicht und möglichst wenig Silikon. Kurzum, sie sollte noch nie bei mir gewesen sein."

Dann wird es Zeit für die Missen. Erst geht es im superkurzen Outfit, Marke "Sündige Krankenschwester" über den Catwalk, dann defilieren sie ganz elegant in bunten Abendkleidern. Die Frisuren sitzen, die Fernwirkung der Schminke funktioniert. Aber aufgeregt sind sie, das kann man sehen, bei manchen ist das strahlende Lächeln zementiert. Oder sollte Herr Prof. Dr. Dr. Mang hier etwa doch Hand angelegt haben?

"Wer Miss Germany werden will, darf nicht nur schön sein"

"Wer Miss Germany werden will, darf nicht nur schön sein, sondern muss auch Köpfchen haben", hatte Moderator Dubinski gleich zu Beginn angekündigt. Für die Juroren ist das nicht leicht herauszufinden: Bei einer Redezeit von einer Minute pro Miss klingt die Vorstellung so ähnlich wie eine Kontaktanzeige in der "Bravo": "Ich bin Olga Schmeichel aus Schwalbach, bin 20 Jahre alt, Studentin und meine Hobbys sind tanzen, lesen und shoppen", gibt etwa Miss Saarland zu Protokoll. "Bei uns war alles viel anspruchsvoller", meint dazu Jury-Mitglied Yvonne Schröder, die bei der ersten Staffel von "Germany’s next Topmodel" Zweite geworden ist. "Wir wurden ja monatelang gecoacht und standen viel länger unter Beobachtung."

Erst von den letzten zehn Kandidatinnen, die nach dem obligatorischen Bikiniauftritt übriggeblieben sind, erfährt man ein bisschen mehr. Zum Beispiel, dass die kickboxende Miss Süddeutschland im Hauptberuf biologisches Knuspermüsli herstellt und auf Skiern schon mal "zur Pistensau" mutiert. Ihr Pendant aus Norddeutschland hat dagegen "Benzin im Blut", findet also Autos gut, kann aber keinen Keilriemen wechseln. Köpfchen muss in jedem Fall Miss Ostdeutschland haben, denn die 22-Jährige hat als Chefin einer Werbeagentur schon acht Angestellte. Geradezu gefährlich dagegen Miss Berlin, die modernen Fünfkampf trainiert und dabei am liebsten mit der Neun-Milimeter-Pistole schießt.

Die Eltern mit den Nerven runter

Kurz vor der Entscheidung sind die Eltern von Miss Bayern Anne Lena Freyenhagen, die in Regensburg studiert, aber eigentlich aus Flensburg kommt, mit den Nerven runter. "Ich habe drei Kinder groß gezogen, mich bringt so schnell nichts aus der Ruhe", gibt sich ihre Mutter zwar gelassen, doch sitzt sie stocksteif und kreidebleich an ihrem Gala-Tisch. Vater Peter erklärt sogleich warum: "Wir haben Angst, dass sie gewinnt. Da hat sie doch endlos viele Termine. Sie soll lieber ihr Biologiestudium fertig machen."

Um 23.10 Uhr werden sie erlöst. Ihre Tochter ist nur Zweite geworden, knapp geschlagen von Miss Norddeutschland Kim-Valerie Vogt. Deren Vater Jürgen freut sich riesig über den Titel und ruft immer wieder "Wahnsinn, Wahnsinn, Wahnsinn, wir haben es geschafft", während sein Töchterchen, die Autonärrin, im Blitzlichtgewitter der Fotografen Handküsse verteilt. Natürlich alles reichlich staatstragend, mit Funkenlawine und Nationalhymne.

"Schmu! Andere waren doch viel schöner!"

Dass eine Mitvierzigerin - vermutlich eine enttäuschte Verwandte einer anderen Fast-Miss - bei der Siegesfeier sächsisch-resolut herumpöbelt ("Schmu! Andere waren doch viel schöner!"), stört niemanden so richtig. Über Schönheit lässt sich bekanntlich streiten, doch es hat schon irgendwie die Richtige getroffen. Der Titel jedenfalls ist Opa Benno gewidmet. Der ist im November mit 58 Jahren verstorben. "Er hat Kim Valerie immer seine "Sonne" genannt und vorhergesagt, dass sie gewinnen wird", sagt die Großmutter Vogt unter Tränen.

Geweint hat Miss Baden-Württemberg Vivienne Stutz nicht, dass sie den Titel nicht gewonnen hat. Aber es wurmt sie schon, fast so sehr wie die Absage bei den Topmodels. "Ich bin froh unter die letzten zehn gekommen zu sein und bin auch nicht enttäuscht", sagt sie und klingt dabei ziemlich enttäuscht. Aber sie gibt sich kämpferisch, die ehrgeizige Heidi Klum hätte ihre wahre Freude daran gehabt. "Ich komme wieder, in zwei Jahren trete ich hier noch mal an und werde dann gewinnen."

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