Prozess gegen Leibarzt Murray Staatsanwalt zeigt den toten Michael Jackson

  • von Frank Siering
Ein Foto des Toten und eine erschütternde Tonbandaufnahme: Im Verfahren gegen Michael Jacksons früheren Leibarzt, Conrad Murray, fährt der Staatsanwalt gleich zu Beginn schwere Geschütze auf.

Ein stark abgemagerter Conrad Murray sitzt neben seinem Anwalt und kritzelt nervös Notizen in seinen Block, während Staatsanwalt David Walgren schon am ersten Tag der Verhandlung gegen den einstigen Leibarzt von Michael Jackson ganz schwere Geschütze auffährt. Im seinem Eröffnungsplädoyer zieht Walgren in rund 75 Minuten gekonnt und überzeugend alle Register der Anklagekunst.

Der Staatsanwalt lässt zum Auftakt des Prozesses, in dem sich Herzspezialist Murray wegen fahrlässiger Tötung verantworten muss, eine Tonbandaufzeichnung abspielen, auf der ein völlig desolater und leiernd sprechender Michael Jackson zu hören ist - der offenbar zu dem Zeitpunkt mit Drogen bis an den Kragenansatz zugepumpt war. Und Walgren schreckt auch nicht davor zurück, erstmals ein Foto vom toten King of Pop auf dessen Krankenhausbett im UCLA Medical Center zu zeigen.

Auf dem Bild trägt Jackson einen weißen Klinikumhang, unter der Nase hat er ein Pflaster. Der Kopf ist leicht nach hinten gebeugt, die Augen sind geschlossen. Die Hände liegen an der Seite. Ein zeitgeschichtliches Dokument. Walgren über das Bild: "Nur zwölf Stunden zuvor tanzte Jackson noch auf der Bühne."

Jackson auf Tonbandaufnahme offenbar völlig weggetreten

Besonders bewegend im vollbesetzten Gerichtssaal in Downtown Los Angeles - die Verhandlung begann mit fast 40-minütiger Verspätung, da ein Besuch von Präsident Barack Obama diverse Straßesperrungen zur Folge hatte - ist das Abspielen einer Tonbandaufnahme von Michael Jackson. Darin leiert ein offenbar völlig weggetretener Jackson im Gespräch mit Murray in Bezug auf seine bevorstehende "This is It"-Tour: "Wir wollen phänomenal sein. Wenn die Leute die Show verlassen, dann sollen sie sagen, dass sie so etwas noch nie zuvor im Leben gesehen haben. Geht dahin, geht dahin. Es ist wunderbar. Er ist der größte Entertainer der Welt." Immer wieder unterbricht Jackson seine kurze Rede, immer wieder scheint er abbrechen zu wollen.

Der Staatsanwalt hämmert in seiner Eröffnungsrede auf die zwölf Geschworenen ein, versucht durch detaillierte und datierte Aufzeichnungen deutlich zu machen, dass Murray die alleinige Schuld am Tod von Michael Jackson trägt. Der Angeklagte sitzt während der gesamten Zeit mit versteinerter Miene auf seinem Stuhl. Ab und zu greift er zum Stift, macht erneut eine kleine Notiz.

Vereinzelt lehnt Murray sich zu einem seiner Verteidiger hinüber. Nur einmal zeigt er eine emotionale Regung. Als sein Anwalt, Ed Chernoff, von der ersten Begegnung zwischen Jackson und seinem Mandanten berichtet, rollt Murray eine Träne die Wange herunter.

Murray soll laut Staatsanwalt mehrfach gelogen haben

Die Verhandlung wird live im US-Fernsehen und im Internet übertragen. Das Interesse der weltweiten Medien ist gewaltig. Gleich vier lokale TV-Sender in Los Angeles übertragen die Anhörung live ohne Werbeunterbrechung. "Das erinnert an O.J. Simpson", sagt Bob Straus, Entertainment-Reporter der LA Daily News.

Besonders spannend: Murray soll nach Aussage der Staatsanwaltschaft mehrfach gelogen haben. Kurz nachdem Jackson den Arzt im Frühjahr 2009 für 150.000 Dollar Gage im Monat anheuert (Murray hatte nach Aussage von Walgren ursprünglich fünf Millionen Dollar für ein Jahr verlangt), schließt Murray seine private Klinik in Las Vegas. Danach lässt der Arzt, so führt Walgren weiter aus, enorme Ladungen von dem Narkosemittel Propofol an die Anschrift seiner Praxis im kalifornischen Santa Monica liefern. Das Problem, so der Staatsanwalt: Murray hat keine Praxis in Santa Monica.

Tatsächlich gehen die Propofol-Lieferungen an die Privatanschrift von Murrays damaliger Freundin Nicole Alvarez. "In der Zeit vom 28.April 2009 bis zum 15.Juni 2009", so Walgren "ließ Dr. Murray insgesamt 155.000 mg Propfol in Flaschen à 25 ml und 100 ml in das Appartement von Frau Alvarez liefern. Das sind rund 15.5 Liter."

Propofol ist von enormer Bedeutung in diesem Prozess, da nach einem Obduktionsbericht Spuren des Narkosemittels in Jacksons Blut gefunden worden waren. Die Einnahme habe zu einer akuten Vergiftung und schließlich zum Herzversagen geführt, hieß es. Es war Murray, der Jackson Propofol - der Sänger nannte das Narkosemittel "Milch" - verabreichte. Der Prozess muss nun zeigen, ob Murray tatsächlich in der Todesnacht von Michael Jackson fahrlässig gehandelt hat und somit für den Tod des Weltstars verantwortlich ist.

Jacksons Sohn im Zeugenstand erwartet

Sowohl Anklage als auch Verteidigung haben für das Verfahren interessante Zeugen vorgeladen. So soll "This is It"-Produzent Kenny Ortega in den nächsten Tagen sowohl für die Anklage als auch für die Verteidigung aussagen. Auch der älteste Sohn von Jackson, Prince, soll in den Zeugenstand treten.

Die Verteidigung räumte ein, dass Michael Jackson ein Problem mit extremen Schlafstörungen hatte. Auch deshalb habe der Popstar im Frühjahr 2009 nach Hilfe gesucht und diese in Dr. Conrad Murray gefunden, so Anwalt Chernoff. Nicht der Leibarzt allerdings, sondern Jackson selbst habe sich die Überdosis Propofol injiziert. Murray habe versucht, Jackson von den starken Mitteln zu entwöhnen, doch der von Schlafstörungen geplagte Sänger habe ständig danach verlangt, so die Verteidigung.

Richter Michael Pastor hat die Prozessdauer auf einen Monat angesetzt. Sieben Männer und fünf Frauen im Alter von 32 bis 57 Jahren müssen als Geschworene über Murrays Schicksal entscheiden. Sollte der Arzt für schuldig befunden werden, könnte er für vier Jahre ins Gefängnis wandern.

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