"X-Factor"-Sieger Sänger EES: "Die Leute sagen oft: Du bist weiß, du bist kein Afrikaner"

"X-Factor"-Sieger: Sänger EES: "Die Leute sagen oft: Du bist weiß, du bist kein Afrikaner"
Der Musiker und Produzent EES alias Eris Sell ist in seiner Heimat Namibia ein Star. Mit dem stern sprach er über seine ungewöhnliche Musikkarriere, seine Startschwierigkeiten in Deutschland und das Thema kulturelle Aneignung.

Seine 38 Jahre sieht man Eric Sell nicht an. Vielleicht liegt es an seiner lockeren, jugendlichen Art und seinen auffälligen Klamotten. Er lacht viel. Und wenn er redet, schwingt in seiner Stimme sehr viel positive Energie mit. Das erste E in seinem Künstlernamen EES steht für "Easy". "Easy Eric – so haben mich schon in der Schule immer alle genannt", erzählt er im Gespräch mit dem stern. Was seinen Kleidungsstil angeht, so liebt er es afrikanisch bunt und schrill. Meistens trägt er Käppi, Sonnenhut oder Mütze und dazu afrikanischen Schmuck. Sogar seine Schuhe sind in den Farben der namibischen Flagge – grün, rot, blau, gelb. Im ersten Moment mag mancher davon irritiert sein. Doch wenn er erzählt, wo er geboren und aufgewachsen ist, ergibt auf einmal alles Sinn: "Ich bin extrem stolzer Namibianer", sagt er.

"Viele halten mich für einen Deutschen, da ich weiß bin und deutsch spreche", so der Musiker und Produzent. "Wenn ich dann erzähle, wo ich herkomme, sind die meisten überrascht." Eric wird 1983 in Windhuk geboren. Seine Ur-Ur-Großmutter war im 19. Jahrhundert aus Norddeutschland in die Hauptstadt Namibias ausgewandert. Genau wie die Mutter seines inzwischen verstorbenen Vaters, die es kurz nach Kriegsende dorthin verschlug.

Eric Sell alias EES: "Ich habe quasi von morgens bis abends im Busch gespielt"

Er besucht einen deutschen Kindergarten und eine deutsche Grundschule. "Als ich 1990 eingeschult wurde, war meine Klasse die erste, in der Schwarze und Weiße wieder zusammen unterrichtet wurden, da mit der Unabhängigkeit Namibias von Südafrika auch die Apartheids-Strukturen aufgelöst wurden."  Die meiste Zeit seiner Kindheit verbringt er auf einer Farm. "Mein Opa, mein Onkel und die Eltern meines besten Freundes besaßen eine. Ich war im Prinzip dauernd auf irgendeiner Farm", erzählt er. "Ich habe quasi von morgens bis abends im Busch gespielt." Von den sogenannten "Buschmännern" (heute San genannt), lernt er, wie man mit Stöcken Feuer macht, Hütten baut, mit Pfeil und Bogen umgeht und wie man mit Hilfe von Tierspuren Wasserquellen findet.

Mit Bobby-Cars im Busch von Namibia: Eric und sein jüngerer Bruder 
Mit Bobby-Cars im Busch von Namibia: Eric und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Marc beim Spielen mit Kindern aus der Nachbarschaft
© privat

In der englischsprachigen Oberstufe kommt er als Teenager das erste Mal mit der Musik in Kontakt, die ihn später in seiner Heimat zu einem sehr erfolgreichen Künstler werden lässt: Kwaito. Eine Mischung aus Reggae, Hip-Hop und House, die als Symbol für die Veränderungen zwischen den Apartheid- und Post-Apartheid-Generationen steht und vor allem von schwarzen Jugendlichen gehört wird. "Ich hab auf dem Pausenhof mit vielen meiner schwarzen Freunde CDs ausgetauscht und hab diese Musikrichtung so gefeiert. Dabei war das halt gar nicht normal, dass ein weißer Afrikaner diese Art von Musik hört." Während seiner Ausbildung zum Tontechniker im südafrikanischen Kapstadt gründet er mit drei Studienkollegen seine erste Band "Odyssey Cru" und nimmt mit ihr ein Album auf. Ein Plattenlabel zeigt Interesse, doch als eines der Bandmitglieder für drei Monate im Gefängnis landet, platzt der Deal.

EES als Teenager mit einem Löwenbaby auf dem Arm
Als Kind verbrachte er viel Zeit auf der Farm seines Onkels und seines Opas. Hier hält er als Zwölfjähriger ein Löwenbaby auf dem Arm.
© privat

Eric Sell beschließt, als EES alleine weiterzumachen. Doch er muss sich seine Glaubwürdigkeit hart erkämpfen. "Es gab Leute, die hielten mich für einen Schauspieler. Ein Weißer, der die Rolle eines schwarzen Kwaito-Musikers spielt". Doch irgendwann stellt sich der Erfolg ein. Er wird im Radio gespielt und hat Fernseh-Auftritte. 2006 landet er zusammen mit dem kommerziell erfolgreichsten namibischen Musiker Gazza und dem Song "International" einen großen Hit. Knapp zwei Jahre später wird er beim wichtigsten Musikpreis in Namibia, den Sanlam NBC Music Awards, als "Artist oft the Year" ausgezeichnet. Etliche Preise folgen. Dabei war Eric Sell der Liebe wegen schon fünf Jahren zuvor nach Deutschland gezogen. Zu seiner heutigen Ehefrau, die er kennenlernte, als deren Eltern damals als Austauschlehrer in Windhuk arbeiteten. Seit 2004 lebt er mit ihr in einem Ort zwischen Köln und Bonn.

EES im Jahr 2006 mit seiner ersten Band "Odyssey Cru"
EES im Jahr 2006 mit seiner ersten Band "Odyssey Cru"
© Andre Kessler

Und obwohl er deutschsprachig aufgewachsen ist, hat er Anfangs Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden. Sprichwörtlich. "Ich hatte damals einen Job in einem Lager angenommen und musste an meinem zweiten Arbeitstag mit der Bahn von Köln-Zollstock bis Köln-Mühlheim fahren. Allerdings war ich bis dahin noch nie mit einer S-Bahn gefahren." Mit dem Streckennetz überfordert, spricht er am Bahnsteig eine ältere Dame an. "Entschuldigung, können Sie mir mal erklären, wie man hier mit der Bahn fährt? Die hat mich ganz doof angeguckt und gefragt: 'Junger Mann, sind Sie denn noch nie mit der Bahn gefahren?' Und ich meinte nur: 'Nee, ich komme aus Afrika'. Das fand die gar nicht witzig und ist einfach weggegangen."

"X"-Factor-Sieg mit seiner "Yes-Ja!"-Band 

Doch der damals 20-Jährige weiß sich zu helfen: "Ich wusste ja aus Namibia, wie man die Himmelsrichtungen liest und hatte mir gemerkt, über wie viele Brücken wir am Vorabend mit dem Auto gefahren sind. Also bin ich einfach losgelaufen". Zweieinhalb Stunden braucht er zur Arbeit. "Zwischendurch bin ich auf dem Radweg und der Straße gelaufen. Die Autos haben gehupt und ich verstand gar nicht, wieso".

EES bei einem Auftritt im Jahr 2007 in Namibias Küstenstadt Swakopmund
EES bei einem Auftritt auf der "Miss Palm Beach", dem größten Beauty-Contest des Landes, im Jahr 2007 in Namibias Küstenstadt Swakopmund
© privat

Mittlerweile fühlt er sich in Deutschland zu Hause. "Ich liebe Deutschland. Ich sage auch allen Leuten immer, wie krass superschön Deutschland ist und was für ein Schlaraffenland das ist, weil hier viele Sachen funktionieren." Und das hat seiner Meinung nach einen bestimmten Grund: "Im Vergleich zu Afrika funktionieren hier viele Dinge, weil hier so viele Leute maulen, wenn etwas mal nicht funktioniert. Da wird schon gemault, wenn der Zug fünf Minuten zu spät ist. Wenn das in Afrika passiert, sagt keiner was. Selbst wenn der Zug einen ganzen Tag zu spät ist, sagt keiner was."

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Fast zehn Jahre nach seinem Durchbruch in Namibia nimmt auch in Deutschland seine Karriere Fahrt auf. 2018 erhält er zusammen mit seiner "Yes-Ja!"-Band eine Einladung zur Castingsendung "X-Factor". Zu seiner Überraschung gewinnt er die Sendung – und auch mehr Popularität. "Ich habe in der Zeit danach extrem viele Nachrichten bekommen. Ich glaube, ich hab die nie alle lesen können, obwohl ich es wirklich versucht habe. Die aus dem Sieg resultierende vertragliche Zusammenarbeit mit einem bekannten Major-Musiklabel kommt jedoch nicht zustande. "Ich glaube, sie hatten nie wirklich Lust auf meine Musik. Ich hatte mich schon während der Sendung gesträubt, einen Coversong zu singen. Aber mir ist es eben wichtig, authentisch zu sein."

Auch wenn er jetzt schon seit 18 Jahren in Deutschland zu Hause ist, so ist er mit seiner Heimat Namibia sehr verwurzelt. In seinem Online-Shop vertreibt er unter seinem Markennamen "Nam Flava" heimische Produkte wie zum Beispiel Biltong (Trockenfleisch) und Grill-Gewürze. Auch Klamotten, Schuhe, Taschen, Mützen und Accessoires gibt es dort zu kaufen. "Eigentlich ist es nicht erlaubt, die namibianische Flagge irgendwo draufzudrucken oder mit der Flagge auf der Bühne zu stehen, aber ich habe vom Präsidenten des Landes eine schriftliche Sondergenehmigung bekommen, dass ich das machen darf, weil er gesehen hat, wie krass ich Namibia immer wieder repräsentiere, egal wo ich bin und auf welcher Bühne ich stehe."

Als weißer Namibianer kommt es auch ab und zu mal vor, dass man ihm kulturelle Aneignung vorwirft. "Die Leute sagen oft: Du bist weiß, du bist kein Afrikaner. Dann entgegne ich: Oh, also du bist hier der Rassist, der meine Hautfarbe sieht, weil ich sehe hier keine Hautfarbe, ich sehe Kultur. Für mich sind auch Weiße mit Dreadlocks in Ordnung. Lass sie doch so rumlaufen, wenn sie das wollen. Ich verstehe das Problem nicht." Seine Musik jedenfalls, vereine alle Arten von Menschen. "Egal ob weiß oder schwarz, egal, welche Sprache oder welche Kultur: Alle Menschen feiern bei meinen Auftritten die gleichen Songs." In Zukunft möchte er auch versuchen, ein paar Songs auf Deutsch zu singen um auch hierzulande die "guten Vibes", wie er es nennt, zu versprühen. "Ich würde auch gerne mal beim ESC mitmachen und Deutschland repräsentieren." Einen deutschen Pass hat er jedenfalls. "Warum also nicht?"

Ein Gepard mit Jeep im Dusternbrook Cheetah Manor in Namibia
Nahe Begegnung mit Gepard auf Tour in Namibia – versucht in Wagen zu steigen
© Jason_YU / Getty Images
Schock-Moment mit Gepard auf Safari-Tour – Raubtier versucht, in Wagen zu steigen
© Teaserbild: Getty Images / Jason_YU

Sehen Sie im Video: Bei einer Safari-Tour in Namibia erlebt eine Gruppe Touristen einen Moment des Schreckens, als plötzlich ein Gepard versucht, auf den Wagen zu springen. 

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